Dem teils schlechten Image zum Trotz ist Journalismus ein Beruf mit Sinn, findet die Autorin, Dozentin und Beraterin Alexandra Borchardt. Die Gründerin des Frauenwirtschaftsmagazins Plan W, die lange als Führungskraft bei Financial Times Deutschland und Süddeutsche Zeitung tätig war, attestiert den Redaktionen allerdings mangelnde Vielfalt. Am Donnerstag, 16. September 2021, präsentiert sie auf der Messe herCAREER ihr Buch „Mehr Wahrheit wagen“, in dem sie Probleme und Lösungsstrategien für Journalismus der Zukunft beschreibt.

„Es ist Aufgabe des Journalismus, die Gesellschaft so abzubilden, wie sie ist“

Vertrauenskrise, miese Arbeitsaussichten, teils Gefahr für Leib und Leben – warum sollten sich Menschen für einen Job im Journalismus entscheiden? Weil es ein Beruf mit Sinn ist, in dem man viel lernt und zu einer funktionierenden Demokratie beiträgt, meint Alexandra Borchardt. Zudem ist Journalismus laut der Autorin und Beraterin inzwischen sehr vielfältig und digital. „Wer sich im Journalismus qualifiziert, dem werden auch anderswo die Türen offenstehen. Man braucht kein Journalismusstudium, um die Karriere einzuschlagen“, sagt die Politikwissenschaftlerin.

Doch Verlage seien als Arbeitgeber oft nicht attraktiv genug. „Vor allem Leute mit technischem Background gehen lieber zu Google, Facebook oder anderen Plattform-Unternehmen, wo die Gehälter höher und die Arbeitsbedingungen angenehmer sind.“ Nicht nur in puncto Geschäftsmodelle, sondern auch in der Art und Weise der Berichterstattung sieht die ehemalige Chefin vom Dienst der Süddeutschen Zeitung Luft nach oben. Ein Problem sei mangelnde Vielfalt: „In Deutschland hat jede vierte Person eine Einwanderungsgeschichte. Im Journalismus hingegen spiegelt sich das überhaupt nicht wider – vor allem in den leitenden Positionen nicht.“

Chefredakteure seien meistens ältere Männer und die meisten Redakteur:innen orientierten sich nicht an den Bedürfnissen ihres Publikums, sondern daran, wie sie den Chefredakteur oder ihre unmittelbaren Vorgesetzten beeindrucken könnten. Die Folge: Manche gesellschaftlichen Gruppen kommen in den Medien kaum vor. Das führe laut dem neuen Digital News Report etwa dazu, dass Frauen sich weniger fair behandelt fühlen als Männer. „Es ist Aufgabe des Journalismus, die Gesellschaft so abzubilden, wie sie ist, und da hat er ganz schön Nachholbedarf.“

So sei etwa die Journalisten-Ausbildung eine sehr homogene Sache. „Redaktionen haben sich immer weiter akademisiert und die Vielfalt in den Redaktionen hat über die Jahre abgenommen“. Früher konnte man laut Alexandra Borchardt noch ohne Studium Journalist:in werden, heute hat man als Nicht-Akademiker:in kaum Chancen, ein Volontariat zu bekommen. Es gibt auch positive Beispiele, doch sie kommen meist nicht aus Deutschland. Die BBC oder die New York Times setzen etwa Ziele für verschiedene Gesellschaftsgruppen. Die Lokalredaktionen hätten es da schwerer. Sie könnten froh sein, wenn sie überhaupt jemand finden, der oder die dort den Job machen möchte. „Insgesamt hat der Journalismus zunehmend ein Personalproblem. Junge Menschen fragen sich, ob sie sich das antun möchten.“

Alexandra Borchardt sieht gerade für Frauen viele Vorteile in einer Führungskarriere: Sie biete mehr Zeitsouveränität als der Job als Reporter:in. „Als Führungskraft kann man den Alltag besser strukturieren“, so die zweifache Mutter, deren Mann ihr „den Rücken freihielt“. Heute bemühten sich die Redaktionen um flexible Arbeitszeitmodelle. Doch in Bezug auf Altersdiversität ist die Medienexpertin skeptisch, die mit 50 Jahren selbst noch eine neue Karriere beim Reuters Institute begann und Fortbildungsprogramme für Führungskräfte entwickelte. Gerade wenn es um Digitalthemen geht, kämen in Redaktionen vorwiegend Dreissigjährige in Führung, weil man denen mehr Digitalkompetenz zutraue – Stichwort Digital Natives. Alexandra Borchardt ist jedoch fest überzeugt: „Lernbereitschaft ist keine Frage des Alters.“

Auf der Messe herCAREER in München spricht Alexandra Borchardt im Authors-Meetup über ihr neuestes Buch „Mehr Wahrheit wagen“: am Donnerstag, 16. September 2021, von 11.50 bis 12.30 Uhr.

Über die Person

Prof. Dr. Alexandra Borchardt ist Autorin, Dozentin und Beraterin. Sie war mehr als zwei Jahrzehnte im tagesaktuellen Journalismus tätig – zunächst bei der Deutschen Presse Agentur, später bei der Financial Times Deutschland. Zuletzt war sie Chefin vom Dienst der Süddeutschen Zeitung. Heute unterstützt sie als Coach des internationalen Medienverbandes Wan-Ifra lokale und regionale Medienhäuser in Europa bei der digitalen Transformation. Außerdem engagiert sich die Politikwissenschaftlerin, die einen Doktortitel von der Tulane University New Orleans hat, als Co-Leiterin des Masterstudiengangs Kulturjournalismus an der Universität der Künste in Berlin sowie des Journalism Innovators Program an der Hamburg Media School. An der TU München unterrichtet sie als Honorarprofessorin Leadership und Digitalisierung. Dem renommierten Reuters Institute for the Study of Journalism der University of Oxford ist sie als Senior Research Associate verbunden geblieben. 2020 veröffentlichte sie ihr zweites Buch mit dem Titel „Mehr Wahrheit wagen – Warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht“.

Das komplette Programm und die Ausstellerliste der Messe herCAREER ist unter www.her-career.com verfügbar.

Im Interview mit der herCAREER erklärt Alexandra Borchardt, warum Diversity für Medien ein Gebot der Stunde ist und sich trotz angekratztem Berufsimage eine Karriere im Journalismus noch immer lohnt.