Deutschland ist eine Alkoholnation: Rund ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland trinkt regelmäßig bis zum Rausch, ca. 1,6 Millionen sind abhängig. Ein breites gesellschaftliches Problem – und doch fühlen sich Betroffene oft orientierungslos und alleingelassen. “Ein Leben ohne Alkohol ist schöner und intensiver, als ich es mir je hätte vorstellen können”, sagt Nathalie Stüben, die selbst betroffen war. Die Journalistin räumt nicht nur mit Irrtümern auf, sondern erzählt auch schonungslos von ihren eigenen Erfahrungen.
Thema
Gesellschaft | Gesundheit, Female Body, Soul & Mental Health
Angaben zur Referentin
Die 1985 geborene Journalistin Nathalie Stüben war alkoholabhängig. Mittlerweile lebt sie seit rund sieben Jahren nüchtern und gilt als Expertin rund um die Themen Alkoholsucht und Abstinenz. Die zweifache Mutter und SPIEGEL-Beststeller-Autorin betreibt unter dem Namen „Ohne Alkohol mit Nathalie“ diverse Social-Media-Kanäle und zwei Onlineprogramme, mit denen sie aufklärt und Menschen mit Alkoholproblem dabei unterstützt, dauerhaft mit dem Trinken aufzuhören. Natalie Stüben sagt: „Ich habe es lange für unmöglich gehalten, ohne Alkohol zu leben. Heute bin dankbar, nicht mehr trinken zu müssen. Weil ich etwas Entscheidendes begriffen habe: Ein Leben ohne Alkohol ist keine Qual, es bedeutet Freiheit.“
Angaben zur Moderatorin
Als Journalistin und Autorin beschäftigt sich Stefanie Hornung seit mehr als fünfzehn Jahren mit Fragen der Arbeitswelt und der Chancengleichheit. Sie schreibt regelmäßig zu Personal- und Management-Themen im Personalmagazin und im Magazin neues lernen.
Seit 2017 untersucht sie, wie Unternehmen Entlohnung fairer gestalten können, und veröffentlichte dazu in einem Autorenkollektiv die Bücher „New Pay“ (2019) und „New Pay Journey“ (2023). Sie treibt das Thema auch als Mitgründerin des „New Pay Collective“ voran, einem Netzwerk, das Organisationen bei der Neugestaltung ihrer Vergütungssysteme begleitet und Forschung zu Vergütungsprozessen anstößt. Außerdem ist sie Referentin des New Pay Campus zu den Schwerpunkten Leistung und Kommunikation. Aus ihrer Feder stammt der Newsletter „Gehaltvolle Zeilen“, der regelmäßig über neue Formen der Entlohnung und gesellschaftliche Entwicklungen rund um das Thema Geld und Gehalt berichtet.
In Freiburg i. Br. studierte Stefanie Hornung Germanistik, Romanistik (Spanisch) und Geschichte. Sie war viele Jahre Pressesprecherin der größten deutschen Personalfachmesse, der Zukunft Personal (heute: Zukunft Personal Europe), und Chefredakteurin des Online-Portals HRM.de. Heute lebe und arbeitet sie in Tübingen.
Der Beitrag wurde im Rahmen der herCAREER Expo 2024 aufgezeichnet und als Podcast aufbereitet.
[00:00:00] Nathalie Stüben: Also es gibt ja so viele schöne, natürliche Wege, in diese schönen Rauschzustände zu kommen. Ich finde das ein bisschen schwierig, zu suggerieren, Menschen müssen sich immer irgendwas einwerfen, um in irgendeiner Form mal abschalten zu können, mal rauszukommen, mal irgendwie was anderes zu erleben. Das habe ich halt nicht so erlebt.
[00:00:31] Kristina Appel: Willkommen beim HerCareer-Podcast. Du interessierst dich für aktuelle Diskurse aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft, und das insbesondere aus einer weiblichen Perspektive? Vielleicht wünschst du dir persönliche Einblicke in den Arbeitsalltag von Menschen und Unternehmen, die sich dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel stellen? Dann bist du hier genau richtig. Alkohol trinken ist total normal. Alkohlsucht dagegen ein Tabu. Dabei ist es wahnsinnig wichtig, darüber zu sprechen. Das sagt auch Nathalie Stüben. Sie ist Autorin und eine der prominentesten Stimmen der deutschen Sober-Bewegung. Mit der Moderatorin Stefanie Hornung spricht sie live über Ursachen und Dynamiken von Alkoholsucht. Sie erklärt, warum selbst beim Trinken keine Gleichberechtigung herrscht. Und sie gibt Impulse für alle, die ihr Trinkverhalten hinterfragen oder verändern möchten.
[00:01:34] Stefanie Hornung: So, hallo zusammen, Alkohol ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig, gleichzeitig: Probleme mit Alkohol oder Alkoholsucht, das ist eher ein Tabu. Hier werden wir gleich dieses Tabu so ein Stück weit brechen und darüber sprechen und zwar mit der Journalistin und Autorin des Buchs „Ohne Alkohol. Die beste Entscheidung meines Lebens“. Im Dezember erscheint ihr zweites Buch „Frauen und Alkohol“, das sie zusammen mit dem Suchtforscher Professor Dr. Falk Kiefer geschrieben hat. Sie wurde bekannt durch den Podcast „Ohne Alkohl mit Nathalie“, betreibt den gleichnamigen YouTube-Kanal und gilt als Begründerin der deutschen Sober-Bewegung. Einen Applaus für Nathalie Stüben, bitte.
[00:02:23] Nathalie Stüben: Dankeschön!
[00:02:26] Stefanie Hornung: Hört man Nathalie auch? Natholie, du bist seit 2016 jetzt nüchtern, hast aber auch vorher nicht unbedingt dem Klischee von einer Alkoholikerin entsprochen, also du warst erfolgreiche Journalistin, hast die Deutsche Journalistenschule hier in München besucht, als Freie warst du zum Beispiel bei der Dpa und bei der SZ und zuletzt als Landeskorrespondentin beim Bayerischen Rundfunk. Wie sah denn deine Alkoholsucht aus? Wie kann man sich sowas vorstellen?
[00:02:59] Nathalie Stüben: Ich habe wie sehr, sehr viele nicht den Klischee entsprochen, also die Allerwenigsten entsprechen dem Klischeedild. Bei mir sah das zuletzt so aus, dass ich so Absturztrinken betrieben habe. Ich habe so drei, ganz zuletzt, drei, vier Tage immer ganz gut funktioniert, konnte mich verkatert auch immer noch gut zur Arbeit prügeln und dann habe ich angefangen zu trinken und konnte nicht aufhören. Dadurch, dass ich aber so viele Boxen, die in unserer Gesellschaft als erfolgreich gelten, noch gecheckt habe, ist das nicht so aufgefallen. Also ich war halt bei der Arbeit immer noch on point. Ich war noch gepflegt, ich hatte noch einen guten Freundeskreis, ich hatte diese tolle Ausbildung und so weiter. Deswegen, es war kein Geheimnis, dass ich trinke. Es war eher so, ah, die kann halt feiern, aber die kann auch arbeiten. Und dann war das in Ordnung. Mir wurde dann bewusst, dass ich ein Problem habe, dadurch dass ich immer wieder versucht habe, so normal zu trinken. Ich habe mir immer wieder Trinkregeln aufgestellt und konnte die auf Dauer nicht einhalten. Es ging mal eine Woche, in meinen 20er ging das auch mal einen Monat oder es ging sogar mal ein Jahr. Sobald ich wieder angefangen habe zu trinken, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich wieder bei diesen Blackouts gelandet bin.
[00:04:17] Stefanie Hornung: Alkohol hat ja ganz unterschiedliche Gesichter und in deinen verschiedenen Kanälen schreibst du das ja auch immer wieder. Wie merkt man denn, dass man ein Problem hat mit Alkohl oder dass man alkoholabhängig ist? Das ist ja gar nicht so einfach.
[00:04:33] Nathalie Stüben: Nee. Und ich glaube, was einfach wichtig ist, zu verstehen bei Abhängigkeit, das ist nicht so, es legt sich ein Schalter um und du bist abhängig, sondern das ist ein langsamer Prozess. Abhängigkeit durchläuft Stufen, Alkoholprobleme durchlaufen Stufen. Es fängt oft mit so einem Gelegenheitstrinken an, das wird dann auch gern Genusstrinken genannt, dann geht das über in so eine Gewohnheit, wird zu so einer schlechten Gewohnkeit und dann wird das schneller, als man denkt, psychische Abhängigkeit und ganz zum Schluss dann körperliche Abhängigkeit. Und das Interessante finde ich, dass das Problem lange vor diesen sogenannten ICD-Kriterien anfängt, mit denen Fachleute eine Abhängigkeit diagnostizieren. Also so Warnsignale sind zum Beispiel sowas wie: Ich trinke, um zu. Ich trinke, um eine Wirkung zu erzielen, also um zu entspannen, um den Stress zu lindern, um einschlafen zu können. Gesellschaft von Menschen zu ertragen, die ich eigentlich nicht so gut ertrage, um Party zu machen. Also irgendeine Form, um mein Denken und mein Fühlen zu verändern. Das ist ja auch die Definition von Drogen. Es sind Substanzen, die unser Denken oder unser Fühle verändern, und wenn ich trinke, um das zu erzielen, betreibe ich Drogenkonsum. Das ein klares Warnzeichen. Ein anderes Warnzeugen wäre zum Beispiel, dass ich so meinen Konsum vergleiche mit anderen. Ah, wie süß! Trinkt Steffi denn heute? Wie viel hat denn Erik im Glas? Oder auch gerne in Form von, naja, die trinkt ja viel mehr als ich. Oder dass ich anfange, so meinen Konsum zu rechtfertigen. Na ja, gut, ich weiß, ein bisschen regelmäßig, aber ich lebe ja auch voll gesund. Und ich mache Yoga und so. Oder, was wirklich ein sehr klares Wahrzeichen ist, ist wirklich, ich fange an zu googeln. Wie viel ist noch normal? „Anzeichen Alkoholproblem“ – das sind so diese soften Anzeichen. Das sind jetzt keine medizinischen Kriterien, die beweisen, du hast ein Problem. Aber da leuchten die Alarmleuchten auf.
[00:06:36] Stefanie Hornung: Wenn es um die Ursachen geht oder die Diskussion darüber, wo jetzt ein Alkoholproblem herkommt oder warum man vielleicht auch eine Art und Weise hat zu trinken, die nicht mehr so ein Genusstrinken ist, dann denkt man häufig, naja, da hat jemand vielleicht persönliche Probleme oder es lag irgendwie ein Trauma vor oder irgendwas. Ist das eigentlich so oder ist das nur eine schlechte Gewohnheit?
[00:07:08] Nathalie Stüben: Total individuell, aber es ist nicht immer ein größeres Problem dahinter. Und das ist auch eine Hürde, gegen die so viele rennen, weil sie denken, eigentlich muss ich ein ganz anderes Problem lösen und dann klappt das mit dem Alkohol wieder. Meistens hat sich der Alkohl zu dem Zeitpunkt aber schon verselbstständigt. Und bei mir war es zum Beispiel nicht so, dass da irgendetwas Größeres war, sondern das Trinken hat zu meinem Leben gehört und hat sich dadurch zu einem Problem entwickelt. Es ist eigentlich in einem Land wie Deutschland, in dem es so normal ist, Alkohol zu trinken und in dem es ja komisch ist, nicht zu trinkten, auch relativ banal ein Alkohlproblem zu entwickeln. Und das war zum Beispiel eine Riesenerkenntnis. Also ich dachte, ja klar, wenn ich mein Hirn immer wieder mit so einer toxischen Droge füttere, dann führt das dazu, dass mein Hirn sich umbaut und dann führt dass auch dazu, dass das Schaden nimmt. Und dass ich plötzlich Dinge sage, die ich nicht sagen will und Dinge tue, die ich nicht tun will und mich verändere und anders drauf bin, wie krass Alkohol auf die Psyche schlägt, zum Beispiel, wusste ich lange nicht… Ich hatte zum Beispiel immer so ein Ziehen hier und hatte immer so diese Anxiety, so diese undefinierbare Angst vor dem Leben. Ich dachte immer so, oh Gott, Hilfe, irgendwie, bald passiert was oder wenn das Telefon geklingelt hat, dachte ich, oh Gott, wer ruft da jetzt an und so? Und es war irgendwann so präsent in meinem Leben, auch diese Traurigkeit, dass ich dachte, naja, gut, die gehört einfach zu mir. Und ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass das mit meinem Alkoholkonsum zusammenhängt. Ich wusste das nicht. Naja, und das sind aber so Auswirkungen, von denen ich jetzt weiß, heute wundert mich das nicht mehr, und es ist dann auch wieder gegangen, als der Alkohl gegangen ist. Und das ist, glaube ich, auch noch interessant bei dieser Frage. Was führt zu einem Alkoholproblem? Ganz oft fangen wir ja so früh an zu trinken, mit im Schnitt 15 oder 14, superfrüh, dass wir das gar nicht mehr auseinanderhalten können. Und schlussendlich ist es auch egal, ob die Depression oder der Alkohl zuerst da war, AlkoHol befeuert sämtliche psychischen Probleme. Und es ist immer der erste Schritt, erstmal mit dem Alkohol aufzuhören, dann regeln sich viele Dinge im Anschluss deutlich leichter und manchmal sogar auch von selbst.
[00:09:31] Stefanie Hornung: Du arbeitest oder hast jetzt an einem neuen Buch gearbeitet, „Frauen und Alkohol“, gibt es denn einen Unterschied wie Frauen und Männer trinken? Ich nehme an ja, weil sonst hättest du das Buch nicht geschrieben.
[00:09:45] Nathalie Stüben: Ja. Wie in so vielen medizinischen Themen wurden Frauen oft so als Abklatsch von Männern behandelt. Im Suchthilfesystem übrigens genauso, in der Selbsthilfe, in einer Suchtforschung, das überrascht wahrscheinlich keine hier. Was glaube ich erstmal wichtig ist zu verstehen, ist, dass Alkohol für Frauenkörper schädlicher ist als für Männerkörper. Weil Frauenkörper den langsamer verstoffwechseln. Und dadurch, dass wir mehr Fett und weniger Wasser im Körper haben, ist er einfach höher konzentriert. Also länger und höher konzertriert im Blut. Und das führt dazu, dass sie schneller die Folgen spüren. Also sowohl was psychische Erkrankungen angeht oder… Psychische Erkrankung ist immer so ein großes Wort. Es kann auch wirklich sowas sein wie: Ich fühle mich einfach krass gestresst, ich fühl mich krass gehetzt, ich habe so eine Unzufriedenheit in mir. Oder so ein Gefühl von Unzulänglichkeit. Dieses, ich kann mich zum Beispiel daran erinnern, dass ich immer dachte, ich bin doch eigentlich so viel mehr als das. Wieso fühle ich mich so abgehängt? Das ist noch weit entfernt von einer Angststörung oder von der Depression oder so, aber das sind so diese Wege dahin. Und sowas tritt bei Frauen schneller ein und tatsächlich auch körperliche Erkrankungen wie Brustkrebs, Magenschleimhautentzündungen oder eben auch Abhängigkeit. In der Fachsprache nennt sich das Teleskop-Effekt. Das ist glaube ich wichtig zu verstehen. Und dann trinken wir natürlich auch mit anderen Konsequenzen. Also wenn ich da jetzt an sexuelle Übergriffe zum Beispiel denke oder an mich zum Beispiel denke: Wie oft habe ich mit Männern geschlafen, weil ich einfach nicht mehr in der Lage war, meine Grenzen zu wahren? Weil ich nicht mehr im Lage war zu sagen, ich will das eigentlich gar nicht, ich möchte das eigentlich nicht? Das würde mir einfach nüchtern nicht passieren. Und das heißt nicht, dass irgendeine Frau selbst Schuld daran hat, aber das ist einfach ein Effekt, den Alkohol auf Frauen hat. Also das sind jetzt mal so zwei Beispiele, wo Frauen einfach anders trinken, mit anderen Folgen trinken und eben nicht gleichberechtigt trinken.
[00:11:45] Stefanie Hornung: Was vielleicht auch anders ist, wie man Frauen, die trinken, wahrnimmt im Vergleich zu Männern. Also Frauen, ich weiß nicht, ob das stimmt, neigen ja eher dazu, das vielleicht zu verstecken oder immer noch so irgendwie funktionieren zu wollen. Und bei Männern ist es ja schon irgendwie ein Stück weit auch okay, wenn die mal so ein bisschen einüberlösen.
[00:12:06] Nathalie Stüben: Ja, das ist ein bisschen generationenabhängig. Also je höher wir gehen in den Generationen, desto heimlicher ist der Konsum. In der Generation Z zum Beispiel hat sich der Rauschkonsum mittlerweile angeglichen und findet auch genauso öffentlich statt. Also da gibt es eine Veränderung. Und was aber interessant ist, Frauen sind dann, wenn sie abstinent werden, andere Dinge wichtig. Also alle wollen ihre Selbstbestimmung und Autonomie wieder haben. Das ist geschlechterübergreifend das Ziel Nummer eins, aber dann gibt es Unterschiede und bei Frauen folgt dann, dass sie Selbstwert wieder aufbauen wollen, dass die Sinn finden wollen, dass sie sich selbst verwirklichen wollen und da steht Alkohol in dem Weg. Und bei Männern ist es eher, dass diese ihren Rollenbildern gerecht werden wollen, das sie sich binden wollen. Und das finde ich so spannend, weil Winden können wir uns alle super, es anderen recht machen, so ungefähr. Aber Abstinenz ist eben oft so ein Schritt hin zu: Was will ich eigentlich? Was ist mir eigentlich wichtig? Wofür möchte ich stehen? Und das Schöne an Abstinenzen ist erstens, dass man dem auf die Schliche kommt, weil man wieder alles fühlt und dass man auch die Energie hat, um das dann umzusetzen in seinem Leben und das entstehen zu lassen.
[00:13:22] Stefanie Hornung: Aber noch mal zu dem Männer- und Frauenbild, also du beschreibst auch in einem deiner Kanäle so dieses Phänomen des „cool girls“, also dass man auch irgendwie das geil findet, wenn man irgendwie mehr trinken kann als Männer, wenn man das wegsteckt. Also ist das eher so ein Nischenphänomen oder ist das schon auch was, was du auch bei jungen Frauen teilweise so wahrnimmst?
[00:13:45] Nathalie Stüben: Ich glaube nicht, dass das ein Nischenphänomen ist. Hab ich heut morgen noch drüber gesprochen. Ich glaube, wir Frauen haben lange beigebracht bekommen, in Konkurrenzkategorien zu denken. Ja, wir sind Freundinnen, aber wenn es um den süßen Typen geht, dann soll er bitte mich wollen, so ungefähr. Und dieses „cool girl“ ist ein Symptom davon. Ich bin cooler als die Blümchenmädchen. Ich kann dich unter den Tisch trinken. Ich habe keine Bedürfnisse. Ich bin total unkompliziert. Das kannst du eigentlich nur durchziehen, wenn du dich irgendwie betäubst. Weil du bist ja nicht bedürfnislos. Du willst ja eine Beziehung zu anderen Menschen haben. Wenn du aber jegliches Bedürfniss nach gesehen werden, nach gehört werden, nach gehalten werden unterdrückst, dann brauchst du irgendetwas, mit dem du das machen kannst, sonst hältst du das gar nicht aus.
[00:14:36] Stefanie Hornung: Wir sind ja hier auf einer Frauenkarrieremesse und was Frauen oft zu hören bekommen, ist in der Arbeitswelt, gerade wenn sie in Führungspositionen sind: Du bist so emotional, du bist nicht tough genug. Häufig haben Frauen, so nehme ich das wahr, das Gefühl sie müssten noch besser performen als die Männer und oft ist es ja auch nicht ein Gefühl, sondern es ist tatsächlich so. Inwiefern kann das auch dazu führen, dass Frauen einen anderen Alkoholkonsum haben, oder sind das auch…
[00:15:10] Nathalie Stüben: Ja, sowas fördert natürlich Stresstrinken, ne? Also das ist zum Beispiel etwas, das wir im Buch beschreiben. Frauen, wie auch andere, ich sag jetzt mal, Menschen, People of Color oder Behinderte oder was, starten erstmal ein bisschen weiter unten als Männer. Einfach Default-Modus. Und müssen dann mehr leisten, um auf demselben Level zu landen. Es gibt ja diesen schönen Spruch, eigentlich haben wir Gleichberechtigung erst erreicht, wenn auch mittelmäßige Frauen in Führungspositionen sind, ne. Und das trifft es einfach so auf den Kopf. Und im Buch zitieren wir da einen Soziologen, der das „Gratifikationskrise“ nennt. Also du kriegst eigentlich für mehr Einsatz weniger Belohnung. Und das verführt auch dazu, das zu kompensieren mit einem Mittel, mit dem es abends schnell geht, schnell mal wegballern, dieses diffuse Gefühl von, so ganz gleichberechtigt ist das irgendwie doch nicht. Obwohl alle uns sagen, wie gleichberechigt das schon ist. Und ich glaube, das sind Dinge, die man oft gar nicht richtig in Worte packen kann. Das ist eher so ein, boah, ich renn da gegen Wände. Und ich kann es noch nicht mal richtig packen und diese Unzufriedenheit muss ich dann irgendwo loswerden. Und eine gesunde Variante wäre natürlich, das zu besprechen oder zum Sport zu gehen oder ich weiß nicht was, aber Alkohol ist in so mega vollgepackten Tagen halt oft auch eine Abkürzung. Ja, Gefühle still, Gedanken still, so, weg jetzt und weiter.
[00:16:36] Stefanie Hornung: Hast du das selber damals auch erlebt, im Journalismus? Also die Branche ist ja durchaus auch so, dass man da relativ viel Druck bekommt? Oder ist das jetzt mehr so die Geschichten, die du auch mitbekommst, die du jetzt gesammelt hast für das neue Buch?
[00:16:50] Nathalie Stüben: Da habe ich auch nochmal drüber nachgedacht, ob diese Drucksituation im Journalismus dazu beigetragen hat, dass ich so viel mehr getrunken habe. Ich glaube aber, ich war zu dem Zeitpunkt schon in einer Phase, in der sich meine Sucht so verselbstständigt hat. Ich glaube, es wäre vieles so viel besser gelaufen, wenn ich nicht getrunken hätte. Und ich weiß nicht, ob Alkohol dann Mittel war, um abzuschalten. Ich glaube, es war für mich eher ein Mittel. Ich habe mich zum Beispiel total unwohl mit meinem Aussehen gefühlt damals. Ich wollte unbedingt einen Partner, hatte aber nur so kranke Affären. Das habe ich eher weggetrunken. Journalismus war für mich eher noch so ein Bereich, in dem Dinge funktioniert haben. Sicherlich nicht so gut, wie sie dann funktioniert haben, als ich nüchtern war. Aber das war eher so ein sicherer Ort für mich. Ja, obwohl es da auch Ungerechtigkeiten gibt, also um Gottes Willen.
[00:17:42] Stefanie Hornung: Dann lass uns mal drauf schauen, welche Wege es gibt, aufzuhören, Alkohol zu trinken und was vielleicht Menschen, insbesondere auch Frauen, davon abhält. Es ist ja so, das beschreibst du ja auch immer wieder, dass Alkohlkonsum ja so ein Stück weit identitätsbildend ist. Also vielleicht nochmal so dieses Cool-girl-Prinzip: Na, man hat ja so ein bestimmtes Bild von sich.
[00:18:07] Nathalie Stüben: Ja bei mir war es nicht „cool girl“, bei mir war es „elegant girl“, mit dem schicken Glas Weißwein, aber das ist austauschbar.
[00:18:15] Stefanie Hornung: Kommt man denn davon los? Ist das erstmal die Erkenntnis, das brauche ich nicht oder das bin ich nicht? Was ist so der erste Schritt?
[00:18:22] Nathalie Stüben: Sich eine neue Geschichte zu erzählen. Und bei mir lautete diese Geschichte: Ich bin unabhängig und ich bin frei und ich bin stark und ich kann Dinge erreichen, die mir wichtig sind, und ich kann wieder Energie in Beziehungen und Projekte stecken, die mir wichtig sind. Ich finde es toll, mich kennenzulernen und herauszufinden, was mir wichtig ist. Also ich glaube es geht darum, sich beim Rauskommen etwas zu suchen, an dem man richtig Freude hat, also nicht dieses: Ich muss jetzt aufhören! Sondern: Was daran könnte mir richtig wichtig sein, was daran könnte wirklich etwas bedeuten. Und wenn man dann was formuliert bekommt, das einem allein beim Aussprechen schon so ein richtig tolles Gefühl gibt, das ist der allerschönste und erste Schritt.
[00:19:13] Stefanie Hornung: Es wird ja viel darüber gestritten oder es gibt auf jeden Fall viele verschiedene Methoden, die angeboten werden, wie man aus einer Sucht herauskommen kann, wie man vom Alkohol loskommen kann. Ob man jetzt eine Psychotherapie macht, ob man in Gesprächsrunden geht. Du bietest ja in deinen Onlinekanälen auch Tipps an, wie man rauskommt, hast du denn den richtigen Weg gefunden?
[00:19:43] Nathalie Stüben: Nein, also für mich habe ich den richtigen Weg gefunden, aber es gibt nicht den richtigen Weg. Das wäre eine Illusion. Deswegen, es gibt verschiedene Wege und die können alle zum Ziel führen. Ich ermutige Menschen immer dazu, irgendwo anzufangen und zu gucken, fühlt sich das nach etwas an, mit dem ich gut zurechtkomme. Reicht das? Oder ist es etwas, was mir gar nicht gefällt. Und dann einfach zu schauen, ok, was brauche ich, was hilft mir, wie komme ich da hin, wie komme zu diesem schön formulierten Ziel. Der Weg ist dann schlussendlich egal, aber ich glaube es ist so wichtig, sich von diesen absoluten Wahrheiten frei zu machen, die einem da häufig mal begegnen, im Sinne von, also ohne Therapie geht das nicht, oder ohne die Anonymen Alkoholiker geht das auch nicht, oder so. Jeder und jede kann da seinen individuellen Weg rausfinden. Und ich würde alles mitnehmen, was guttut.
[00:20:38] Stefanie Hornung: Also die erste Anlaufstelle ist ja für viele bzw. sind die Anonymen Alkoholiker.
[00:20:44] Nathalie Stüben: Ich glaube, mittlerweile ist die erste Anlaufstelle das Internet.
[00:20:47] Stefanie Hornung: Vielleicht der Arzt, ja. Aber trotzdem ist das natürlich schon auch verbreitet, dann das mal auszuprobieren. Du hast es ja auch gemacht. Gleichzeitig gibt es da ja auch Kritik an den Anonymen Alkoholikern, obwohl sie weltweit etabliert sind, dass sie sehr stark patriarchalisch organisiert wären und dass es eigentlich nicht für Frauen passen würde. Also zum Beispiel Holly Whitaker hat das ja in „Quit Like a Woman“ auch so kolportiert. Du hast da ein bisschen eine differenzierte oder andere Meinung dazu…
[00:21:20] Nathalie Stüben: Ja, Holly Whittaker ist eigentlich ganz interessant. Die sagt halt, das haben zwei weiße Männer in den Fünfzigern gegründet. Der eine war Investmentbanker und der andere Arzt. Und dieses Programm sagt halt, du musst das Ego brechen. Und Holly Whitaker sagt, also du musst praktisch deine Charakterfehler suchen und das Ego brechen, und Holly Whitaker sagt, wir sind Frauen, wir kennen jeden einzelnen unserer Charakterfehler. Also du musst unser Ego nicht brechen, wir wissen ja genau, was mit uns nicht stimmt. Das ist vielleicht Medizin für einen Investmentbanker und einen Arzt in den 50ern, aber nicht für uns. Und ich verstehe, was sie damit meint. Was mich an den Anonymen Alkoholikern gestört hat, war dieses ich bin Alkohliker, weil ich nicht mit Alkohol umgehen kann. Und das ist für mich ein falsches Verständnis von Gesundheit. Wieso? Also, weil nur gesunde Menschen können mit Alkohol umgehen – das ist so dieses Narrativ, was dahinter steckt. Und da denke ich mir halt so, hä? Also da gehe ich halt nicht mit. Ich bin doch nicht gesund, weil ich irgendwie mit einer Droge umgehen kann. Das ist auch in der Wissenschaft nicht mehr state of the art. Und mir persönlich gefällt auch nicht dieses heimliche Verschämte, weil das eben auch dazu beiträgt, dass es irgendetwas… Also, dass wir meinen, wir müssen uns dafür schämen. Das gefällt mir nicht. Wir müssen uns selbst aufgeben. Ja, und um Gottes Willen, also die Anonymen Alkoholiker haben so vielen Menschen geholfen. Mir persönlich war das auch zu sehr auf Krankheit fokussiert. Ich will mich nicht mein Leben lang Alkohlikerin nennen. Ich will positive Sprache. Ich will mir von diesem Alkohol nicht auch noch den Rest meines Lebens bestimmen lassen. Ja, aber sie helfen vielen. Also, ich habe eine Freundin, Mia Gatow, die hat auch gerade ein Buch geschrieben. Die geht da voll gern hin, ne? Die sagt auch, ach, in den Gruppen, in manchen Gruppen ist das auch gar nicht mehr so. Da ist das eigentlich eher ein nettes Zusammentreffen. Also deswegen würde ich jetzt auch nicht per se sagen, auf gar keinen Fall dahingehen. Nee, alles mal ausprobieren.
[00:23:17] Stefanie Hornung: Vielleicht hat ja auch die eine oder andere von euch schon mal drüber nachgedacht, weniger zu trinken, aber zum Beispiel auch in Frauennetzwerken ist es ja durchaus auch üblich, beispielsweise zu trinken. Was wäre da dein Tipp? Also, soll man dann irgendwie gar nicht mehr hingehen oder muss man sich dann andere Netzwerke suchen?
[00:23:34] Nathalie Stüben: Ich finde es durchaus legitim, wenn man so aufhört zu trinken und nicht direkt erzählen möchte, woran das liegen könnte oder so, dass man einfach so was sagt wie, nee, ich achte jetzt auf meine Gesundheit. Ich höre jetzt gerade so einen Longevity-Podcast, das ist mega, probier ich jetzt auch mal aus, oder ich muss morgen früh raus oder so was in der Art. Was ich auch erlebt habe, wenn mal dann irgendwann anfängt, darüber zu reden, dann hören auch viele zu, dann sind auch viele interessiert. Also es ist durchaus auch möglich, da ein Vorbild zu werden und oft sind die Frauen, die Motor waren, wenn es ums Trinken geht, dann oft auch Motor, wenns ums Nicht-Trinken geht, also früher, wenn ich zu meinen Freundinnen gekommen bin, war immer so, ja okay, Nati ist da, heute trinken wir. Und heute ist so, na okay, dann gehen wir halt irgendwie spazieren und machen was.
[00:24:26] Stefanie Hornung: Ja, interessant. Wie ist das denn in der Arbeitswelt? Also es ist ja nicht nur ein Netzwerktreffen, sondern man hat man einfach auch am Arbeitsplatz, keine Ahnung, irgendeine Feier, natürlich gibt es da auch Alkohol. Was würdest du sagen, können Unternehmen denn tun, um auch so eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der Menschen, die ein Problem haben mit Alkohl oder die keinen Alkuhol trinken möchten, die nicht abzustoßen oder auch nicht zu gefährden, dass sie das haben?
[00:24:53] Nathalie Stüben: Ja, also es gibt ja mittlerweile so coole alkoholfreie Drinks und ich rede da nicht von alkoholfreiem Bier und alkoholsfreiem Wein, sondern von allen möglichen Kombucha-Varianten und Limonaden und ich weiß nicht was. Also vielleicht schon mal für ein richtig attraktives alkoholfreies Angebot zu sorgen, das auch cool aussieht, wenn man da mit rumsteht und was ich halt echt auch geil fände: Wenn eine Weihnachtsfeier oder eine Firmenfeier nicht einfach darin besteht, dass man sich trifft, um zu trinken, sondern, dass man sich trifft, um vielleicht was Cooles zu machen, ein Quiz oder irgendwie, es gibt so lustige Gummibälle, in die man steigen kann und also irgendwas, was halt auch richtig Bock macht und wo man lachen kann und wo man sich halt auch wirklich begegnet. Vielleicht sind das so zwei Anstöße, die es erleichtern, da dann auch eine richtig coole Feier daraus zu machen.
[00:25:45] Stefanie Hornung: Du hast jetzt, als du dann festgestellt hast, ja, ich habe da ein Problem und ich möchte nicht mehr trinken, hast du dir ja auch am Anfang schwer getan, das öffentlich zu machen in deinem Umfeld. Hältst du das dann für ratsam, das zu tun? Weil man kann ja durchaus damit, vielleicht hat man dann negative Konsequenzen, was die Karriere betrifft, oder muss ein Karriereknick fürchten.
[00:26:11] Nathalie Stüben: Also ich hatte richtig Sorge, ich wollte diesen Podcast starten, 2019, und ich habe drei Jahre gebraucht, bis ich das gemacht habe, also ich hatte schon das Gefühl, ich muss das machen, ich möchte das unbedingt machen, aber ich dachte, oh Gott, jetzt geht das gerade richtig geil los hier mit meiner Fernsehkarriere, dann kann ich ja nicht so einen Podcast starte, weißt du? Und ich habe das dann gemacht, und es kamen total positive Reaktionen. Also das hat mich so überrascht, schlussendlich. Dass das eigentlich eher förderlich war. Ich meine, gut, ich habe dann die Karriere gewechselt. Ich glaube, dass es häufig eher positive Reaktionen hervorruft. Es gibt aber auch Berufsgruppen, in denen es natürlich schwierig ist. Ich hatte jetzt zum Beispiel eine Ärztin im Podcast, die sagte, wenn ich da jetzt offen drüber rede, kann es sein, dass ich eine Kommission bekomme, die meine Berufsfähigkeit überprüft. Und dann hängt da plötzlich irgendwie ein 14-jähriges Studium dran. Das ist natürlich eine Situation, ja, das ist eher schwierig. Das ist aber auch krasse strukturelle Diskriminierung, muss man jetzt auch mal dazu sagen. Aber ich habe jetzt insgesamt, ich meine, mittlerweile haben so viele Leute bei mir auf Youtube gesprochen und im Podcast gesprochen. Und ganz oft war das auch eine Befreiung. Das macht halt auch die Hände so frei, das macht den Kopf so frei. Wenn du sagst, das ist meine Geschichte. Ich bin eine Heldin, weil ich habe das da rausgeschafft und ich muss auch sagen, die Leute, die das geschafft haben, haben halt auch so tolle Kompetenzen, weil abstinent zu werden ist kein Zuckerschlecken, und das verschafft einem so eine Klarheit und so eine Selbstsicherheit, dass man mit Herausforderungen halt zurechtkommt.
[00:27:57] Stefanie Hornung: Ich habe gesagt, das war eine super Entscheidung, auch nicht mehr zu trinken. Wenn man sich dann so ein Leben vorstellt ohne Alkohol, denkt man vielleicht manchmal, naja, könnte ja auch so ein bisschen langweilig sein und ab und zu möchte ich vielleicht schon mal so einen kleinen Rausch. Und manche Suchtexperten sagen das ja auch, Menschen hätten ein Recht auf Rausch, nur der Alkohol ist halt aus gesundheitlichen Gründen vielleicht nicht so das richtige Mittel. Wie ist deine Meinung dazu? Hast du jetzt irgendwie vielleicht auch manchmal noch einen Rausch?
[00:28:29] Nathalie Stüben: Aber ich hab den halt, wenn ich Lachkrämpfe kriege mit Freundinnen, wo ich mich fühle, wie als kleines Mädchen, wo ich nicht mehr aufhören konnte zu lachen. Oder ich mach mega gern CrossFit, ich weiß nicht, ob das jemand von euch kennt, wenn ich da rausgehe, das ist halt auch geil. Oder nüchterner Sex ist erstmal richtig, richtig schlimm und wird dann richtig, richtig schön. Also es gibt ja so viele schöne, natürliche Wege, in diese schönen Rauschzustände zu kommen. Ich kenne dieses Interview, das du da gerade zitierst, ich finde das ein bisschen schwierig zu suggerieren, Menschen müssten sich immer irgendwas einwerfen, um in irgendeiner Form mal abschalten zu können, mal rauszukommen, mal irgendwie was anderes zu erleben. Das habe ich halt nicht so erlebt. Und ich muss auch sagen, das Schönste an diesem Nüchtern-Werden war, dass ich gemerkt habe, ich habe wieder Freude an diesen kleinen Dingen. Ich habe Freude, wenn ich irgendwie auf einer Zugfahrt nach Hause fahre und ich höre ein geiles Lied und die Sonne geht unter und ich denke mir einfach so, mein Gott, ich bin einfach glücklich. Ich bin zufrieden. Zufrieden, da steckt ja schon der Frieden drin. Und ich weiß, für mein Partygirl damals hätte das super langweilig geklungen, aber es ist sehr schön, diese kleinen Momente, die das Leben so beinhaltet, auch wieder zu erkennen. Und in allen Facetten wieder so fühlen zu können. Also das ist wunderschön.
[00:29:54] Stefanie Hornung: Also ich habe mich bezogen auf Gernot Rücker und das Buch „Rausch. Was wir über Drogen wissen müssen“, der dann halt sagt, naja, es müsste halt auch Cannabis oder Ecstasy oder LSD zugänglicher sein, weil das überhaupt nicht so gesundheitsschädlich ist wie Alkohol. Und Alkohol müsste man weniger zugänglich machen. Also was wäre da so dein Vorschlag auch vielleicht von den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die wir bräuchten, um den Alkoholzugang vielleicht auch einzuschränken?
[00:30:23] Nathalie Stüben: Dass wir Alkohol weniger zugänglich machen sollten, da gehe ich mit bei Ihnen, bei den anderen Drogen lassen wir das mal stehen. Ja, die Weltgesundheitsorganisation hat da Empfehlungen, Verfügbarkeit einschränken. Also momentan können wir Alkohol hier rund um die Uhr kaufen, sogar an Tankstellen. Muss man sich mal verdeutlichen, da fahren Menschen hin mit dem Auto. Und können um vier Uhr nachts noch Alkohol kaufen. Das ist eigentlich völlig absurd, wenn man das mal, also wenn man jetzt mal ausklammert, dass man damit aufgewachsen ist und einem das normal erscheint. Alkohol ist superbillig, also im Vergleich zum Rest Europas ist Alkohol im Verhältnis zum Einkommen hierzulande am billigsten. Und er darf halt krass vermarktet werden. Im Supermarkt steht er zwischen Nudeln und Milch. Du hast Rabattaktionen, die dich dann mit drei Sixpacks rausgehen lassen, obwohl du eigentlich nur eine Flasche kaufen wolltest. Du hast es auf sämtlichen Sporttrikots stehen. Irgendwelche Fußballstars machen Werbung dafür. Das sind so die drei Punkte, an denen man gut ansetzen kann und was auch evidenzbasiert ist. Das heißt, das ist in anderen Ländern schon durchgeführt worden und hat eine Wirkung gezeigt. Verfügbarkeit einschränken, das könnte sein, dass Alkohol in einem separaten Teil vom Supermarkt verkauft wird oder in eigenen Stores. Steuern hoch, das führt auch dazu, dass insgesamt weniger getrunken wird und dass dadurch auch insgesamt die Krankheitslast in der Bevölkerung sinkt, weil Alkohol macht ja nicht nur abhängig, er fördert und verursacht ja über 200 Krankheiten. Also das ist auch einfach ein Gesundheitsthema. Etliche Fälle von Bluthochdruck und Demenz und ich weiß nicht was, gehen eigentlich auf Alkoholkonsum zurück. Und der dritte Punkt ist: Werbung und Marketing einschränken oder im besten Fall verbieten. Und dann könnte man noch sowas machen wie Promillegrenze auf null senken und Warnhinweise anfügen. Das sind so die Dinge, die möglich sind. Da sind wir immer noch weit entfernt von einem Verbot. Die Alkohollobby schreit dann direkt, oh Gott, sie will den Alkohl verbieten! Ne, es geht einfach darum, den so zu behandeln, dass deutlich wird, es handelt sich hier nicht um Lebensmittel, sondern um Zellgift, um eine Droge.
[00:32:38] Stefanie Hornung: Habt ihr Fragen?
[00:32:41] Zuhörerin 1: Hi, wenn du dir vorstellst… hattest du damals einen Partner?
[00:32:46] Nathalie Stüben: Ne.
[00:32:47] Zuhörerin 1: Angenommen, du hätteste einen gehabt – was hättet du dir gewünscht? Was hätte dir Unterstützung gegeben vielleicht?
[00:32:54] Nathalie Stüben: Boah, das ist schwierig. Wenn Leute mich darauf angesprochen haben, bin ich meistens sehr aggressiv geworden. Also verbal aggressiv, weil ich mich natürlich angegriffen gefühlt habe. Aber es war auch meistens in Form von, hey, willst du jetzt noch was trinken? Es waren dann irgendwelche Dates oder so. Fachleute ermutigen dazu, das immer anzusprechen, aber am besten mit sogenannten Ich-Botschaften. Also nicht im Sinne von, ey, du trinkst zu viel, du lässt dich gehen, guck dich doch mal an, sondern: Ich beobachte, das ist mehr geworden in letzter Zeit, und ich mache mir Sorgen um dich und ich möchte, dass du weißt, wenn du das lassen möchtest, dann stehe ich hinter dir und dann unterstütze ich das. Ich kann das jetzt nicht mehr so richtig sagen, ob mir das geholfen hätte, wenn ein hypothetischer Partner mir das gesagt hätte, aber ich könnte mir vorstellen, dass das eine Art und Weise ist, wie das nicht so als Vorwurf rüberkommt, sondern eben auf Augenhöhe und wo du merkst, ich bin da jemandem wichtig. Und was eben noch eine Möglichkeit ist, es gibt mittlerweile so viele deutsche Podcasts und meiner ist ja nicht der einzige, es gibt noch „Soda Club“ und ich weiß nicht, was alles, meiner heißt „Ohne Alkohol mit Natalie“. Man kann auch durchaus mal eine Folge, wo man merkt, ah, das Thema, das passt zu dem, damit könnte der oder die sich identifizieren, mal einen Link schicken mit einem Hinweis, hey, ich hab mir das angehört, ich fand das voll interessant, vielleicht interessiert dich das ja auch. Das ist so noch ein bisschen unterschwelliger. Weil der oder diejenige dann entscheiden kann, wann er sich das anguckt. Weil ich könnte mir vorstellen, es gibt immer mal wieder so einen Moment, in dem da vielleicht ein Zeitfenster für offen ist. Und so kann er dann so ein bisschen softer da reingleiten. Also das stelle ich mir so wahnsinnig schwer vor.
[00:34:43] Stefanie Hornung: Ja, gibt’s noch eine Frage? Ah, so, es gehen ganz viele Hände hoch…
[00:34:48] Zuhörerin 2: Vielen Dank für Ihre Inspiration, Natalie. Ich bin seit sechs Jahren trocken, hab mich jetzt selbstständig gemacht und spiele auch mit dem Gedanken, meine Geschichte mit einfach nach außen zu tragen. Jetzt nicht an erste Front, aber einfach das mit einzubringen. Ich denke auch, das ist eine Ressource. Aber ich hab Angst davor. Haben Sie ein Rat für mich?
[00:35:11] Nathalie Stüben: Ich würde dieses Gefühl wachsen lassen. Was kann ich gewinnen? Was kann im Idealfall damit erreichen? Und vielleicht aber auch mal Katastrophenszenarien durchspielen und gucken, was könnte denn im schlimmsten Fall passieren und was könnte im besten Fall passieren? Und dann vielleicht mal im kleinen Rahmen ausprobieren. Vielleicht bei einem Kunden oder einer Kundin, bei der du weißt, die ist gut oder der ist gut. Das ist ein empathischer Mensch. Und dann vielleicht sich da so rantasten und kleine Schritte gehen und so an Sicherheit gewinnen. Herzlichen Glückwunsch zu sechs Jahren! Das ist ja mega.
[00:35:51] Zuhörerin 3: Hattest du einen Moment, wo du gemerkt hast, du hattest vielleicht einen Absturz oder so? Gab es das irgendwie mal? Und dass du dann gesagt hast, ich will aufhören? Also gab es so einen Moment oder war es eher ein Prozess? Das wäre meine erste Frage. Und die zweite: Du hast ja gesagt so, wozu? Also ich trinke selber gar keinen Alkohol, aber es gibt ja viele Leute, die ja so Weinschorlen trinken, um sich zu entspannen oder irgendwie als Belohnung oder so. Muss man sich da schon Sorgen machen?
[00:36:17] Nathalie Stüben: Das ist ein Warnsignal, ja. Also wie gesagt, das ist kein hartes wissenschaftliches medizinisches Diagnosekriterium im Sinne von: Ja, das beweist, du hast ein Alkoholproblem, aber das ist das, das sind so diese Warnzeichen, die zeigen, auf diesem Kontinuum bewegst du dich eindeutig Richtung Probleme. Und was die erste Frage angeht, ich hatte… das letzte Jahr meiner Alkoholzeit über war mir klar, ich habe ein Alkohlproblem. Vorher habe ich mir das lange, konnte ich mir da gut einen in die Tasche lügen. Da habe ich halt geschrieben, da habe ich getrunken, weil ich so toll schreiben kann, nüchtern betrunken und so. Und das letzte Jahr über war ich mir bewusst, okay, ich hab ein Problem, dass ich aufhören wollte. Das kam an diesem einen Morgen, aber das war jetzt kein besonderer Morgen, also das war eigentlich so ein altvertrauter, normaler Horror, in dem ich da aufgewacht bin. Und an dem Morgen war es ein Horrormorgen zu viel. Und da habe ich dann plötzlich diese Kraft gefunden, zu sagen, okay, jetzt ist es soweit. Und jetzt höre ich ganz auf, egal ob ich dann raus bin aus dieser Gesellschaft, egal wie ich mich nennen muss. Egal ob mein Leben dann langweilig ist und vorbei ist, ich mach das jetzt. Es ist erstaunlicherweise bei Menschen selten so ein Riesenknall und dann ist es soweit. Das gibt es auch, aber ich höre häufiger dieses irgendwann, ich weiß nicht was es war, aber irgendwann war es dann soweit.
[00:37:50] Zuhörerin 4: Wir waren ja vorher gerade bei dem Thema Manager-Mama, jetzt sind deine Kinder, wie auch meine, noch relativ klein, aber was wird deine Strategie sein, deine Kinder in Richtung Alkohol zu erziehen, denn, wie du schon gesagt hast, wir leben in einer alkoholisierten Gesellschaft, wir können es ja nicht einfach zensieren, was tun wir denn, Nathalie?
[00:38:10] Nathalie Stüben: Boah, was tun wir denn? Ich habe lange auf diese Frage geantwortet: Ah, meine Kinder sind auch so klein. Ich hab noch ganz viel Zeit, eine Antwort zu finden. Jetzt ist meine Tochter, wird die sieben und sagt letztens, also wenn ich groß bin, dann trinke ich Wein. Und mir ist das Blut in den Adern gefroren. Und ich so, wo hast du das denn her? Und ja, jetzt muss ich mir was überlegen. Also ich glaube, ich hoffe wirklich sehr, dass alleine die Tatsache, dass ihre Mama und ihr Papa nicht trinken und ein sehr glückliches Leben führen, ihr irgendwie mitgibt, das ist kein zwangsläufiger Bestandteil eines guten Lebens. Ich hoffe, dass ich damit schon mal so eine gute Grundlage schaffe. Und ich glaube, wenn es wirklich dahin geht, dass sie dann anfängt zu trinken, oder er, mein Sohn, dann werde ich Klartext reden, dann werde ich sagen, du, ich hatte ein Alkoholproblem und das macht dich wahnsinnig gefährdet dafür. Du kannst damit nicht spaßen, tut mir leid. Also da muss ich dann glaube ich einfach offen reden und eben auch aufklären, dass es ein Zellgift ist, dass es das Hirn umbaut, dass sich zwischen die Kinder und ihre Ziele stellt, dass es vieles zerstört. Aber wenn sie sich dann dazu entscheiden zu trinken, ich weiß es nicht, keine Ahnung, oh Gott. Mal gucken, wie das dann wird, aber vielleicht ist es bis dahin ja auch voll uncool.
[00:39:41] Stefanie Hornung: Ja, also der Gesprächsstoff geht uns nicht aus. Man sieht schon häufiger jetzt auf LinkedIn oder in anderen sozialen Netzwerken, dass Frauen posten, ja, ich trinke keinen Alkohol. Das heißt auch manchmal so von den jüngeren Frauen, sie würden weniger trinken. Formiert sich da schon eine Bewegung oder siehst du das eigentlich nicht?
[00:40:01] Nathalie Stüben: Ja, ich glaube, da formiert sich aus zwei Richtungen eine Bewegungen. Einmal die neue Nüchternheitsbewegung, die sagt, hey, wir sind sober und wir sind mega stolz darauf, wir finden es mega geil und wir feiern uns und unser Leben. Und es formiert sich gerade auch so diese Longevity-Bewegung. Also diese sober-curious, diese Frauen, die einfach sagen, ich will mir meine Gesundheit nicht ruinieren. Es ist mittlerweile einfach so klar, wie stark Alkohol in sämtliche Prozesse und Systeme unseres Körpers eingreift. Und da habe ich keinen Bock drauf. Ich will wach sein, ich will klar sein, ich will da sein. Und diese Bewegungen passen natürlich auch super zueinander. Also insofern habe ich auch die Hoffnung, auch durch dieses Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, das ja mittlerweile auch ganz klar sagt, am besten für die Gesundheit ist es einfach, gar nicht zu trinken. Da habe ich die Hoffnung, dass sich diese Debatte auch immer stärker mal löst von diesem Fokus auf Sucht als alleinige Konsequenz von Alkoholkonsum hin zu: Es ist einfach auch ein generelles Gesundheitsthema. Also ich habe manchmal den Eindruck, dass wir schon wahnsinnig weit gekommen sind. Ich bin allerdings auch in meiner Bubble unterwegs. Ich kann es nicht so richtig einschätzen, aber als dieses Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Ernährung rauskam, dachte ich, na ja, wenigstens sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse jetzt mal in eine offizielle Empfehlung übergegangen. Also das war echt ein Meilenstein.
[00:41:28] Stefanie Hornung: Ganz vielen Dank, Nathalie, für das Interview.
[00:41:32] Nathalie Stüben: Danke für euer Interesse.
[00:41:52] Kristina Appel: Danke, dass du dabei warst. Wenn dir die Folge gefallen hat, schenk uns ein Like und empfehle uns weiter. Oder noch besser, abonniere gleich den Podcast. Und wenn du mehr über HerCareer erfahren möchtest, besuche uns im Web unter her-career.com und abonnier den Newsletter unter her-career.com/newsletter. So bleibst du informiert über neue Beiträge der HerCareer Academy, aktuelle Podcast-Episoden und Programm-Highlights der kommenden HerCareer Expo in München. Wir freuen uns sehr, wenn du Teil unseres Netzwerks wirst.