Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden. Probleme mit langfristigen Auswirkungen entstehen, wenn eine:r der Partner:innen während der Beziehung und durch die Trennung benachteiligt wird. Und seien wir ehrlich: Meistens ist das die Frau und Mutter. Warum ein Ehevertrag heutzutage unbedingt notwendig ist und welche Punkte dringend darin ausgehandelt sein sollten, erklärt die Scheidungsanwältin und Autorin Saskia Schlemmer.
„Keine:r der Partner:innen sollte je kleingehalten werden. Beide Ehepartner:innen sollten Vorteile aus einem Ehevertrag ziehen.”
herCAREER: Basierend auf deinen persönlichen Erfahrungen: Mit welcher Erwartungshaltung gehen in Deutschland Frauen in die Ehe?
Saskia Schlemmer: Ich glaube, die allermeisten heiraten immer noch mit der rosaroten Brille. Sie haben die romantische Vorstellung: „Wir geben uns jetzt das Ja-Wort und bleiben für immer zusammen.“ Die Realität ist allerdings, dass jede dritte Ehe geschieden wird.
herCAREER: Welche Konsequenzen zieht das nach sich?
Saskia Schlemmer: Sie beschäftigen sich möglicherweise am Tag der Trennung zum ersten Mal mit der vertraglichen Verbindung, die sie eingegangen sind. Im Scheidungsprozess merken die meisten Partner:innen, dass sie an viele Dinge nicht gedacht haben, die sie hätten bedenken müssen. Das hat oft überraschende und unangenehme juristische und finanzielle Folgen.
herCAREER: Ich gehe davon aus, dass vor allem um Geld und um Kinder gestritten wird?
Saskia Schlemmer: Definitiv. Das sind die unangefochtenen Top 2 der Streitpunkte.
herCAREER: Es heißt, die Planung und der Stress einer Hochzeit sei die Probe aufs Exempel für ein Paar. Nachdem ich dein Buch gelesen habe, bin ich der Meinung, dass die Verhandlung eines Ehevertrags der ultimative Härtetest für eine anstehende Ehe ist. Wie siehst du das?
Saskia Schlemmer: Der Ehevertrag ist eine wichtige Prüfung, denn er zeigt, ob du für einen langen Zeitraum – wir denken ja heute eher in Lebensabschnitten als für die Ewigkeit – auf Augenhöhe zusammenleben kannst. Und man sollte sich nichts vormachen: Ehevertragsverhandlungen sind knallhart. Romantik spielt hier keine Rolle, auch wenn oft gesagt wird, es gebe nichts Romantischeres, als den Partner oder die Partnerin absichern zu wollen. Das verklärt aber die Situation, denn in einem Ehevertrag geht es in erster Linie darum, die eigene Position zu sichern. Er ist einfach notwendig. Punkt.
herCAREER: Oft wird übersehen, dass bei jeder Ehe ein Ehevertrag abgeschlossen wird – nämlich beim Standesamt. Da macht es doch Sinn, vorher ein Wörtchen mitzureden, oder?
Saskia Schlemmer: Der Ehevertrag, den du beim Standesamt unterschreibst, ist ein gesetzlicher Standardvertrag für alle. Und ein Vertrag, der für alle gleich ist, kann nicht für alle gut sein, denn wir und unsere Beziehungen sind alle unterschiedlich. Darum macht es unbedingt Sinn, ihn an die eigene Lebenswirklichkeit anzupassen.
herCAREER: Muss ein Ehevertrag vor der Eheschließung aufgesetzt und unterschrieben werden? Ist der Zug dann abgefahren?
Saskia Schlemmer: Nein. Genauso wenig wie eine Ehe fürs Leben halten muss, kann und muss ein Ehevertrag, der bei der Hochzeit abgeschlossen wurde, für immer und ewig passend sein. Lebensumstände verändern sich: Paare bekommen Kinder, Partner:innen gründen Unternehmen oder verändern sich beruflich. Oder das Gefühl von „was ist fair“ verändert sich einfach. Darum sollte man unbedingt Anpassungen am Vertrag vornehmen, wenn sich die Lebensumstände oder die finanzielle Dynamik in einer Beziehung verändern.
herCAREER: Was ist denn fair?
Saskia Schlemmer: Fair ist immer subjektiv, weil wir alle unterschiedlich sind. Wichtig ist, dass beide Partner:innen die gleiche Vorstellung von Fairness haben. Wenn ein Partner 50/50 für fair hält, der oder die andere aber „anteilig am Einkommen“ für fair hält, dann entstehen Probleme.
herCAREER: Wir können alle nicht in die Zukunft schauen. Wie lässt sich also eine faire finanzielle Absicherung planen?
Saskia Schlemmer: Die Ehe ist eine Verantwortungsgemeinschaft und man muss sich darüber einigen, wie diese Verantwortung untereinander aufgeteilt wird. Hierbei lohnt es sich, zwischen zwei Phasen einer Partnerschaft zu unterscheiden: Zum einen die Partnerschaft ohne Kinder und zum anderen die Partnerschaft mit Kindern. 50/50 ist nur schwer umsetzbar, aber ohne Kinder oder andere Care-Arbeit ist es leichter, eine für beide Partner:innen faire Aufteilung zu finden.
herCAREER: Und mit Kindern?
Saskia Schlemmer: Ich rate Frauen, sich zu überlegen, wie sie ihr Leben und ihre Karriere gestalten würden, wenn sie keine Kinder bekommen würden. Daraus kann man ableiten, welche Gehaltseinbußen und damit einhergehende Renteneinbußen während des Mutterschutzes und der Elternzeit und auch im weiteren Lebenslauf (Teilzeit) entstehen würden. Wie hoch wäre euer Elterngeld? Was kosten dich der Mutterschutz und die Elternzeit an Zeit, Erfahrung und Einkommen? Welche Einbußen entstehen durch die Rückkehr in Teilzeit- statt Vollzeitarbeit? Was bedeutet es, dass du deinen Karriereweg für mehrere Jahre nicht konsequent verfolgen kannst? Zusammengefasst: Was würde dich eine Familiengründung persönlich kosten? Die mögliche Kompensation dafür muss man dann mit dem*der Partner:in aushandeln.
herCAREER: Diese Kosten oder dieses „Investment“ der Care-gebenden Person werden also ausgerechnet und im Idealfall finanziell durch den oder die Hauptverdiener:in ausgeglichen. Bedeutet das, dass der Care-Arbeit in einer Beziehung mit einem oder einer Gutverdiener:in unter Umständen mehr Wert beigemessen werden kann als der Arbeit eines oder einer Geringverdiener:in?
Saskia Schlemmer: Überspitzt gesagt, ja. Und nun kann es dazu kommen, dass ein erfolgreicher Unternehmer seinen Beitrag schmälern möchte, indem er sagt: „Nun ja, aber ohne mein Einkommen wäre dein Einkommen niedrig, denn du hast ja nichts Anständiges gelernt.“ Da stellt sich die Frage: Will man mit so jemandem sein Leben teilen? Das muss man sich gut überlegen. In dieser Aussage steckt auch indirekt mit drin: Du wärst nie erfolgreich gewesen. Aber woher weiß er das? Derartige negative Zukunftsprognosen zeigen, dass keine Augenhöhe und Wertschätzung des Partners vorhanden sind. Darüber hinaus wird auch völlig verkannt, dass der „Erfolgreiche“ eben nur diese Leistung erbringen kann, weil ihm der Rücken freigehalten wird. Karriere ist selten ein Solo-Projekt mit Familie.
herCAREER: Kann man im Zusammenleben faire Strukturen schaffen? Ist zum Beispiel ein gemeinsames Konto eine faire Sache?
Saskia Schlemmer: Für die meisten ist das Gemeinschaftskonto eine vor allem pragmatische Lösung. Die Alternative, nämlich jeden Monat eine Abrechnung zu erstellen und die individuellen Konten auszugleichen, sodass am Monatsende beide Partner:innen gleich viel Geld zur Verfügung haben, ist unpraktikabel. Trotzdem bin ich persönlich ein Fan von getrennten Konten.
herCAREER: Weshalb?
Saskia Schlemmer: Das Gemeinschaftskonto stellt ein Risiko dar, denn der oder die Partner:in könnte es im Ernstfall missbrauchen. Solche Fälle habe ich bereits erlebt: Einer kann einen Dispokredit aufnehmen und der oder die Partner:in haftet dann für die gesamte Summe mit. Im besten Fall kann man sich das in einem privaten Verfahren zurückholen, aber gegenüber der Bank haftet jede:r zu gleichen Anteilen.
herCAREER: Du hast in einem Social-Media-Post eine Situation geschildert, in der eine Frau ihrem Partner Miete gezahlt hat, weil das Paar in dessen Immobilie lebte. Das fandest du nicht so fair. Warum?
Saskia Schlemmer: In vielen Partnerschaften mit traditioneller Rollenaufteilung übernimmt der Mann ständig viele kleine Ausgaben. Es erscheint daher auf den ersten Blick fair, wenn die Ehepartnerin Miete zahlt – oft auch dann, wenn sie gerade in Elternzeit ist oder weniger verdient. Aber: Das Resultat ist, dass die Frau Care-Arbeit leistet und mit ihrer Miete den Kredit des Mannes abbezahlt, ohne einen Mehrwert davon zu haben. Würde er im Gegenzug ihre Care-Arbeit monatlich finanziell ausgleichen, sähe das anders aus. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass eine Immobilie gemeinsam gekauft wird, der Partner die Raten abbezahlt und die Partnerin, die die Care-Arbeit leistet, ebenfalls im Grundbuch steht. Aber Vorsicht: Auch da kann es nach einer Trennung sein, dass der Teil des Kredits vom Unterhalt abgezogen wird. Das sind alles Aspekte, die unbedingt im Vorfeld geklärt werden müssten.
herCAREER: Diese Fallbeispiele zeigen, wie wichtig es ist, unabhängige Beratung zur Seite zu haben, wenn man den Ehevertrag verhandelt. Ein Gespräch am Küchentisch tut’s da nicht, oder?
Saskia Schlemmer: Auf die Gefahr hin, dass man mir Anwaltswerbung vorwirft: Ich rate immer, zu einem Anwalt oder einer Anwältin zu gehen und sich zumindest beraten zu lassen. Ganz wichtig ist: Wenn eine Partei Rechtsberatung hat, braucht die andere Seite unbedingt auch eine! Das ist allein deshalb wichtig, weil die Praxis zeigt, dass Menschen den juristischen Jargon nicht verstehen und so die Konsequenzen gewisser Klauseln nicht einschätzen können. Darüber hinaus ist es wichtig, dass jemand mit Erfahrung das große Ganze im Blick behält und die Forderungen zueinander in Relation setzen kann. Oft höre ich von Mandant:innen in einer Beratung: „So habe ich das noch nie gesehen.“ Und das ist durchaus verständlich, schließlich sind wir alle in eigenen Glaubenssätzen gefangen.
herCAREER: Viele Mütter machen sich nach der Elternzeit selbstständig, weil Arbeitgebende ihnen nicht die Flexibilität bieten, die sie brauchen, um Kinder und Beruf vereinbaren zu können, gerade weil die Betreuungsinfrastruktur fehlt. Gehören Selbstständigkeit und Unternehmertum in einen Ehevertrag?
Saskia Schlemmer: Es ist immer schwer, so etwas pauschal zu beantworten. Wenn deine Frage lautet: Was tun mit einem Unternehmen in der Ehe? Dann ist die kurze Antwort: schützen!
herCAREER: Was bedeutet das konkret für eine selbstständige Mutter?
Saskia Schlemmer: Wenn du dich selbstständig machst, brauchst du Schutz für dich und dein Unternehmen, denn sonst fällt die Selbstständigkeit in den Zugewinnausgleich. Bei einer Ehe ohne besonderen Ehevertrag hieße das: Das Vermögen, das während der Ehe erwirtschaftet wurde – also auch der Wert eines selbst aufgebauten Unternehmens –, wird im Fall der Scheidung zwischen den Ehepartner:innen im Zugewinn mit berücksichtigt. Am Ende muss derjenige, der mehr erwirtschaftet hat, einen Zugewinnausgleich zahlen. Und dieser Ausgleich erfolgt immer in Form von Geld. Das heißt, wenn du das Geld für einen solchen Ausgleich nicht hast, musst du möglicherweise Vermögensgegenstände oder auch dein Unternehmen liquidieren.
herCAREER: Und für einen selbstständigen Vater?
Saskia Schlemmer: Der Schutz einer Selbstständigkeit ist immer richtig und wichtig. Wichtig ist aber auch, dass der andere Partner ebenfalls geschützt wird. In typischen Unternehmer-Eheverträgen kommt die Absicherung des Partners meistens zu kurz. Ich finde es generell wichtig, schon während einer bestehenden Ehe für einen Ausgleich zu sorgen. Wie genau der Ausgleich aussieht und ob das in Form großer Abfindungszahlungen oder in monatlichen Zahlungen erfolgt, ist Verhandlungssache.
herCAREER: Diskriminiert das deutsche Eherecht die Frau?
Saskia Schlemmer: Ich denke, das muss man differenzieren. Die Ehe setzt derzeit Anreize, sich finanziell so aufzustellen, dass der oder die finanziell Schwächere systematisch benachteiligt wird. Das ist in unserer Gesellschaft aus unzähligen Gründen oft die Frau. Da das gesellschaftliche Ideal einer paritätischen Aufteilung von Care-Arbeit, Hausarbeit und anfallenden Kosten nicht realisierbar ist, muss die Gesetzgebung mit dem sogenannten Halbteilungsgrundsatz einen Ausgleich schaffen. Das Problem ist nur, dass die Umsetzung dieses Gesetzes meist zu Nachteilen für die Frau führt.
herCAREER: Welche zum Beispiel?
Saskia Schlemmer: Eine Frau hat beispielsweise 20 Jahre lang Care-Arbeit geleistet und bekommt am Ende der Ehe möglicherweise einen Ausgleich dafür. Warum bekommt sie diesen nicht schon während der Ehe? Das ist ungerecht. Dazu kommt, dass es sich um ein stichtagsbezogenes Prinzip handelt. Das heißt, ob ich den Zugewinn-Ausgleich tatsächlich erhalte, hängt unter anderem vom Tag der Eheschließung und dem Tag der Zustellung des Scheidungsantrags ab. Das System ist anfällig für kreative Strategien.
herCAREER: Es wird praktisch das Soll und Haben an diesen zwei Stichtagen miteinander abgeglichen und am Ende der Ehe wird geprüft, wer mehr Zugewinn erzielt hat, und der- oder diejenige muss einen Ausgleich zahlen?
Saskia Schlemmer: Genau. Allerdings kann ich nicht einfach sagen: „Ach super, da ist ein Haus im Wert von 500.000 Euro, jeder kriegt die Hälfte.” Das ist falsch, denn man fragt: Was ist da noch? Dann sagt der andere: „Na ja, ich habe das Haus für 500.000 Euro gekauft, aber ich habe ja auch noch meine Firma, die gerade Verluste macht. Außerdem habe ich Schulden bei meinen Eltern, denn die haben uns damals 250.000 Euro als Kredit für das Haus gegeben.“ Das wird alles verrechnet. Und es gibt Mechanismen, mit denen sich derartige Ansprüche geschickt minimieren lassen. Darum finde ich es so wichtig, Regelungen zu finden, die einen Ausgleich bereits während der Ehe ermöglichen.
herCAREER: Worauf ist zusammenfassend zu achten?
Saskia Schlemmer: Keine:r der Partner:innen sollte je klein gehalten werden. Beide Ehepartner:innen sollten Vorteile aus einem Ehevertrag ziehen. Darum ist mein Appell: Überleg dir gut, was sich für dich fair anfühlt. Werde dir darüber bewusst, was Geld für dich bedeutet, wie Wohlstand für dich aussieht. Und dann geh immer wieder ins Gespräch und in die Verhandlung. Das ist nicht nur Altersvorsorge, das ist Selbstfürsorge.
Das Interview führte herCAREER-Redakteurin Kristina Appel.
Über die Person
Saskia Schlemmer ist Rechtsanwältin und ausschließlich im Familienrecht tätig. Darin hat sie ihre Berufung gefunden. Als Ehefrau und Mutter kennt sie die Nöte ihrer Mandant:innen. Einvernehmliche Lösungen haben für sie oberste Priorität. Ihr Credo lautet: „Nutzt die Phase der Verliebtheit und Vertrautheit und schafft präventiv eine Grundlage für ein faires Trennungsszenario. Das ist nicht unromantisch, sondern schlau! Und im besten Falle müsst ihr niemals Gebrauch davon machen.“
Neugierig geworden? Beim Podcast-MeetUp auf der herCAREER Expo 2025 wird Saskia Schlemmer am 9. Oktober mit Rechtsanwältin Sandra Runge über die Dinge sprechen, die Frauen vor ihrer Hochzeit wissen müssen (und auch nach der Hochzeit noch klären können).