Es macht mich fassungslos zu sehen, wie Menschen in diesem Land daran arbeiten, kluge und integre Frauen aus dem Weg zu räumen.
Was wir gerade erleben, ist ein Angriff auf unsere demokratische Kultur, auf die Wissenschaft und auf das Recht von Frauen, führende Rollen in unserer Gesellschaft einzunehmen. Die Causa Brosius-Gersdorf zeigt mit aller Härte, wie schnell eine integre Frau – trotz Qualifikation, trotz Rückhalt – zum Spielball von Desinformationskampagnen, rechtsextremen Netzwerken und politischem Opportunismus werden kann. Und zur Zielscheibe: bis hin zu Morddrohungen.
Zum Glück bin ich mit meiner Empörung nicht allein.
In ihrer Stellungnahme zur Causa Brosius-Gersdorf protestieren fast 300 Rechtswissenschaftler:innen nachdrücklich „gegen die Art und Weise, wie im Rahmen der Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht in der Politik und in der Öffentlichkeit mit Frauke Brosius-Gersdorf umgegangen wurde. Dieser Umgang ist geeignet, die Kandidatin, die beteiligten Institutionen und mittelfristig über den Verfall der angemessenen Umgangskultur die gesamte demokratische Ordnung zu beschädigen.“
Es sei in Fachkreisen völlig unstreitig, dass die Kandidatin eine hoch angesehene Staatsrechtslehrerin ist. „Alle Äußerungen, die ihre wissenschaftliche Reputation in Frage stellen, sind daher schlicht unzutreffend und unsachlich. Das schließt es selbstverständlich nicht aus, dass man einzelne ihrer juristischen Positionen kritisieren oder andere Meinungen vertreten kann. Darstellungen aber, die diese Positionen als von vornherein abseitig oder radikal einordnen, sind jedenfalls durch Unkenntnis der rechtswissenschaftlichen Diskussion geprägt.“
Die Vorgänge Ende letzter Woche sehen die Autor:innen so:
„Im Richterwahlausschuss eine Kandidatin zunächst zu bestätigen, um dann gegenüber ideologisierten Lobbygruppen und mit Unwahrheiten und Diffamierungen gespickten Kampagnen zurückzurudern, zeugt zumindest von fehlendem politischem Rückgrat und mangelnder interner Vorbereitung. Dass dann ausgesprochen unglaubhafte Plagiatsvorwürfe als Vorwand für eine Vertagung herhalten müssen und dadurch eine weitere Beschädigung der Kandidatin in Kauf genommen wird, ist ein Angriff auf das Ansehen der Wissenschaft und ihrer Vertreterinnen und Vertreter.“
Gestern hat sich die vielfach angefeindete Betroffene selbst zu Wort gemeldet. Laut Deutschlandfunk schreibt Frauke Brosius-Gersdorf in ihrer Erklärung, die Berichterstattung über sie und ihre Standpunkte sei in Teilen der Medien unzutreffend, unvollständig, unsachlich und intransparent gewesen. Einstufungen wie die, sie sei „ultralinks“ oder „linksradikal“, bezeichnet die Juristin als diffamierend und realitätsfern. Eine eingehende Befassung mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit zeige vielmehr, dass ihre Positionen im Ganzen betrachtet der demokratischen Mitte zuzuordnen seien.
Wie Ronen Steinke in der Süddeutschen Zeitung erklärt und mit Beispielen belegt, kann eine perfekte Verfassungsrichterin links sein – oder auch konservativ oder liberal. Nur nicht: Parteipolitikern hörig. Das Prinzip der Unabhängigkeit stehe jetzt nach dem Eklat auf dem Spiel.
Im Vorfeld gab es offenbar eine regelrechte Kampagne. Für ein Social Media Monitoring hat polisphere ab dem 1.7. Daten gesammelt und ausgewertet: mehr als 40.000 X-Posts mit diffamierendem Inhalt über Brosius-Gersdorf. Besonders NIUS war sehr aktiv, auch die A*D mischte mit sowie diverse „Lebensschützer“-Organisationen wie die „Aktion Lebensrecht für alle“ (ALfA), die auch die Postfächer von Abgeordneten flutete. Die Analyse zeigt, wie systematisch und gezielt vorgegangen wurde, wie der rechtsextreme Einfluss sich in die politische Mitte hinein verbreitete und schließlich dazu führte, dass Teile der CDU sich gegen ihre eigene Führung wandten und den von dieser befürworteten Nominierungsvorschlag nicht mehr unterstützen wollten.
Dabei hatten sich die Angreifer zunächst – mit durchschaubarer Absicht – auf Brosius-Gersdorfs Befürwortung eines A*D-Verbots fokussiert. Als das offenbar nicht genug zog, verlegten sie sich auf das Thema Abtreibungsrecht und unterstellten der differenziert argumentierenden Juristin, Abtreibungen bis kurz vor der Geburt zu befürworten.
Ein leider besonders kampagnentaugliches Thema. Die taz schreibt: „Ultrakonservative ChristInnen, die mit der autoritären und extremen Rechten gemeinsame Sache machen, arbeiten seit Jahren an einem Rollback von Frauenrechten und Rechten von LGBTIQ in Europa.“ Ein weit verzweigtes finanzstarkes Netzwerk macht demnach mobil gegen Gender Equality. Dazu zählt die Organisation CitizenGo, die z.B. schon 2013 im EU-Parlament eine Aktion zum Abtreibungsrecht durchführte, die laut taz frappierend an die konzertierte Kampagne gegen Brosius-Gersdorf erinnert.
„Das Thema Geschlechterpolitik funktioniert dabei als Scharnier. Es ist zum einen anschlussfähig an die gesellschaftliche Mitte, zum anderen Kernthema der Rechten. Rechte Politik ist ohne die Kontrolle weiblicher Körper nicht denkbar, schließlich geht es dabei auch um Reproduktion von Bevölkerung, um eine ‚Willkommenskultur für Kinder‘, wie etwa die A*D in ihrem Wahlprogramm schreibt – deutsche Kinder, versteht sich.“
Zum Abschluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass 80 % der Deutschen für eine Entkriminalisierung von Abtreibungen sind und 46 % ein Parteiverbotsverfahren gegen die A*D begrüßen würden.

Posted by Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER | Recipient of the FTAfelicitas Award from Femtec.Alumnae e.V. | LinkedIn Top Voice 2020 | Editor of the “Women of the Year” books published by Callwey Verlag
published on LinkedIn on 17.07.2025
Quellen:
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- https://www.polisphere.eu/de/analyse-zur-kampagne-gegen-frauke-brosius-gersdorf/
- https://taz.de/Rechte-Hetze-gegen-Brosius-Gersdorf/!6097369/
- https://www.oer.ruhr-uni-bochum.de/oer/mam/content/stellungnahme-richterwahl.pdf
- https://www.deutschlandfunk.de/diffamierend-und-realitaetsfern-spd-kandidatin-brosius-gersdorf-aeussert-unmut-ueber-berichterstattu-100.html