“Die Kugel ist für dich, Mo Asumang.“ Diese Zeile stammt aus dem Lied einer Neonazi-Band. Diese öffentliche Drohung war ein Schlüsselmoment, an dem Mo erkannt hat: Sie will durch ihre Angst durch, dem Hass ins Gesicht schauen und ihre Hater kennenlernen. In ihren Dokumentarfilmen und mit dem Verein Mo:Lab e.V. lehrt sie Dialogfähigkeit in Zeiten der Polarisierung. Im Gespräch mit herCAREER-Redakteurin Kristina Appel spricht Mo Asumang über Neugierde und die Macht, die entsteht, wenn man lernt, bei sich zu bleiben.

„Wenn ich meinem Gegenüber mit Neugierde begegne, statt mit Defensive, dann macht es nicht nur mit mir etwas, sondern auch mit meinem Gegenüber.“

herCAREER: Mo, bei all dem Hass, der gerade in Deutschland und der Welt grassiert – wie geht es dir?

Mo Asumang: Ich versuche ja immer, aktiv zu bleiben, aber manchmal ist das schwer. Es gibt Tage, an denen spreche ich mit Freund:innen und sie überlegen, ob sie resignieren und die Koffer packen sollen. Ich kenne auch Leute, die tatsächlich einen gepackten Koffer in der Ecke stehen haben, und andere, die schon weggezogen sind.

herCAREER: Was sind konkrete Ängste, die euch beschäftigen?

Mo Asumang: Würde die A*D weiter an Macht gewinnen, würde unsere Demokratie kippen und mit ihr alle unsere Errungenschaften: die sukzessive Gleichstellung der Frau, die Gleichstellung aller Menschen – das würde willkürlich durch neue Regeln ersetzt. Wir beobachten das gerade in den USA. Wenn Anti-Demokraten an die Macht kommen, könnten auch hier jederzeit Dekrete verabschiedet werden, die Menschen wie mich in das Heimatland ihrer Eltern – bei meinem Vater wäre das Ghana – ausweisen. Aber ich bin ja hier geboren.

herCAREER: Es klingt unvorstellbar …

Mo Asumang: Ja, aber gleichzeitig ist es in den USA längst Realität. Es erscheint uns unvorstellbar, weil die Vorstellung, dass auch bei uns Menschen einfach auf offener Straße verhaftet und eingesperrt werden, zu sehr schmerzt.

herCAREER: Oft hört man den Satz: „Haters gonna hate“, was so viel heißt wie: „Lass sie reden, die sind von ihrem Hass eh nicht abzubringen.“ Wie stehst du dazu?

Mo Asumang: Nein, da bin ich ganz anderer Meinung. Ich funktioniere am besten, wenn ich aktiv werde und nicht reaktiv bleibe. Als Objekt solchen Hasses habe ich mich gefragt: Werden diese Hater etwa so geboren? Was treibt sie an? Und wie würde es sich für mich anfühlen, wenn sie es mir ins Gesicht sagten? Könnte ich das aushalten? Oder würde ich zusammenbrechen?

herCAREER: Was war dein Ziel? Hast du dir davon eine Veränderung versprochen?

Mo Asumang: Nein. Ich wollte die Menschen nicht verändern, sondern ich wollte lernen, in den Situationen, in denen ich mit ihrem Hass konfrontiert werde, bei mir zu bleiben. Das ist ein großer Unterschied.

herCAREER: Bevor du bewusst in den Dialog gegangen bist: Was sahen deine Begegnungen mit Rassisten aus?

Mo Asumang: Ich habe schon so viel Gewalt erfahren, einzig aufgrund meiner Hautfarbe: Ein Nazi hat meinen Kopf auf ein Taxidach geknallt, ein anderer hat mich in der Straßenbahn von einer bis zur nächsten Haltestelle gewürgt. Eine Neonazi-Band hat mein Leben bedroht: „Diese Kugel ist für Dich, Mo Asumang“, haben sie gesungen. Ich hatte einfach Angst damals und wollte mich davon nicht beherrschen lassen. Ich wollte herausfinden, wie ich in solchen Begegnungen bei mir bleiben kann.

herCAREER: Trotzdem bist du immer wieder auf Hasserfüllte zugegangen. Was hast du – abseits dieser akuten Bedrohungssituationen – erlebt?

Mo Asumang: Wenn ich meinem Gegenüber mit Neugierde begegne, statt mit Defensive, dann macht es nicht nur mit mir etwas, sondern auch mit meinem Gegenüber. Das ist total spannend! Ich habe diese Art des neugierigen, intentionslosen Nachfragens immer wieder geübt und irgendwann perfektioniert. In meinem Verein MoLab e.V. haben wir diese Methode später das mo:lab-Prinzip genannt.

herCAREER: Diese Methode kann man in deinen Dokumentarfilmen sehr gut beobachten. Du argumentierst nicht, verteidigst dich nicht, klagst nicht an, sondern fragst immer wieder nach dem Warum. Weshalb wirkt das?

Mo Asumang: Neonazis oder Frauenhasser wünschen sich natürlich, dass du ihren Hass erwiderst. Sie wollen etwas Aggressives von dir hören, um (verbal) zurückschlagen zu können. Mit Hass kommen sie gut durchs Leben, aber wenn du interessierte Fragen stellst und sie vielleicht sogar anlächelst, dann nimmst du ihnen völlig den Wind aus den Segeln und verunsicherst sie.

herCAREER: Kann das jeder und jede lernen?

Mo Asumang: Das werde ich immer wieder gefragt. Auch, wie ich es schaffe, so ruhig zu bleiben. Die Leute sagen: „Ich könnte das nicht!“ Irgendwann habe ich beschlossen: Wir bilden Dialogbotschafter: innen aus. Gemeinsam mit meinem Vereinspartner, Coach und Verhaltenstrainer Frank Labitzke habe ich Übungen – sowohl Körper- als auch Interviewübungen – entwickelt, die auf seiner Expertise und meinen Erfahrungen basieren. Die unterrichten wir in meinem Verein Mo:Lab e.V. und üben es in unseren Motz-Buden, wo Menschen sich mal richtig auskotzen können.

herCAREER: Gerade heißt es häufig, uns sei die Debattenkultur verloren gegangen. Aber haben wir vielleicht sogar den Dialog verlernt?

Mo Asumang: Für die meisten Menschen ist ein Gespräch mit „Andersdenkenden“ ein Wettkampf – und den wollen sie auch gewinnen. Das Problem ist, dass dabei nichts Konstruktives herauskommt. Am Ende haben sich die Beteiligten ausgepowert, aneinander abgearbeitet und gehen ohne Lösung auseinander. Wenn man sich überlegt, wie viel Energie eingeflossen ist, um die eigene Meinung mit Händen und Füßen zu verteidigen, auwaia! Ob in der Schule, am Arbeitsplatz oder in Vereinen – mit Streit und Debatte verpulvern wir gute Energie, die man nutzen könnte, um Menschen näher zusammenzubringen.

herCAREER: Also gilt es, nicht zu trainieren, wie wir unsere Meinung bei anderen platzieren …

Mo Asumang: …, sondern eine neue Haltung zu trainieren. Das heißt nicht, dass man etwas hinnehmen muss in solchen Situationen oder die eigene Haltung aufgeben. Jederzeit kannst du einleiten mit: „Ich bin nicht deiner Meinung.“ Und dann fragst du nach: „Ich frage mich nur: Wie bist du da hingekommen, dass du so etwas denkst?“

herCAREER: Das klingt sehr empathisch …

Mo Asumang: Ich würde es als empathisch-fordernd bezeichnen. “Wenn deine Welt so aussieht, dann erkläre sie mir bitte.” So entlarven wir deren Floskeln.

herCAREER: Hast du ein Beispiel?

Mo Asumang: Wenn jemand sagt: „Sollen die Geflüchteten doch im Mittelmeer ertrinken“, dann fragen wir nach: „Beschreib mal, wie stellst du dir vor, wie ein Mensch im Meer ertrinkt?” So habe ich das in allen meinen Filmen und Gesprächen zu diesem Thema gemacht – mit Rassisten, queerfeindlichen Menschen, Frauenhassern oder auch gewaltbereiten Linken.

herCAREER: Gibt es Unterschiede zwischen misogynen, antisemitischen, rassistischen und querfeindlichen Menschen? Oder sind sie im Grunde alle gleich?

Mo Asumang: Gewaltbereitschaft ist ein eigenes Kaliber, aber nach meiner Erfahrung ist die Schnittmenge bei den anderen Gruppen sehr groß. Diese Leute versuchen meistens, über ihren -ismus, mit dem sie anderen etwas überstülpen und sie in eine Schublade packen, ihre eigenen Probleme auszublenden.

herCAREER: Beobachtest du in diesen Dialogen eine Wirkung an Ort und Stelle oder verlässt du dich darauf, dass sie nachwirken?

Mo Asumang: Sie wirken nach. Wer in diesem anti-demokratischen Spektrum unterwegs ist, wird permanent mit destruktiven Inhalten bespielt. So verfestigt sich ein Feindbild. In einem offenen Gespräch merken die Menschen: “Wow, da hat sich jemand für mich interessiert. Die hat mich nicht verurteilt, die wollte einfach wissen, wie ich denke. Sie hat mir Gelegenheit gegeben, selbst noch weiterzudenken.” So kommen die meisten automatisch zu dem Schluss, dass sie nicht wirklich wollen, dass ein Mensch im Mittelmeer ertrinkt.

herCAREER: Den Menschen zu begegnen, die einen verabscheuen, macht Angst und Angst lähmt. Wie bist du deiner Angst entgegengetreten?

Mo Asumang: Ich kenne dieses Gefühl, und es ist ganz natürlich. Diese Angst ist seit jeher dafür zuständig, dass wir bei Gefahr um Leib und Leben kämpfen, davonrennen oder uns totstellen. Keine dieser Optionen kam für mich infrage. Ein Beispiel: Bei einer Demo mit 3.000 Neonazis war mir vor Angst schlecht und ich hatte mich nicht mehr richtig im Griff. Aber ich wollte unbedingt weitergehen und mit den Menschen dort sprechen. Deshalb habe ich mir ein inneres Bild geschaffen und mir vorgestellt: Ich bin eine Dampfwalze. Gemächlich bin ich weitergelaufen und habe mir meine Wucht und meinen Metallpanzer vorgestellt. So habe ich durchgehalten mich zu motivieren, bis ich vor ihnen stand. Im Nachhinein ist mir aufgefallen, wie schön dieses Bild ist, denn hinter einer Dampfwalze entsteht schließlich eine Straße, auf der die folgenden Generationen laufen können.   

herCAREER: Ein machtvolles Bild, das sich vermutlich jede und jeder auf ähnliche Art aneignen kann?

Mo Asumang: Ja, solche Bilder können sehr hilfreich sein. Etwa wenn ein:e Kolleg:in einen antisemitischen Witz reißt oder eine Frau in der Besprechung wieder einmal überhört wurde. Aber der nächste Schritt ist noch viel entscheidender: die Dampfwalze ablegen und sich in solchen Konfrontationen zu erlauben, wirklich hinzuschauen.

herCAREER: Was meinst du damit?

Mo Asumang: Gib dem Reflex, Angst zu bekommen, wütend zu werden, dich fremdzuschämen, nicht nach. Schau hin! Trau dich zu schweigen und dir die Zeit zu nehmen, die Person ganz genau anzusehen. Dann wirst du die Angst auf der anderen Seite sehen. Das ist ein echter Gamechanger und das kannst du lernen.

 Das Gespräch führte herCAREER Redakteurin Kristina Appel.

Über die Person

Mo Asumang widmet sich seit Jahren dem Thema Rassismus. Auslöser dafür war eine Morddrohung einer Neo-Naziband „White Aryan Rebels“ die in einem Lied sangen „Die Kugel ist für Dich, Mo Asumang“. Dieser Schock inspirierte Mo (2006) zu ihrem Regiedebüt „Roots Germania“ (2007) und nach weiterer Recherche zu dem Film „Die Arier“ (2014) über Rassisten weltweit (beide Filme „Grimme Preis“ nominiert). Ihr Buch „Mo und die Arier“ (2016) wurde ein Spiegel Bestseller und ist wie der Film bei der Bundeszentrale für politische Bildung wichtiger Lehrstoff. Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit besucht Mo seit 2007, weltweit Schulen und Universitäten, bringt ihre Expertise als Keynote Speakerin ein und moderiert Panels. Mo geht das Thema Rassismus mutig von einer neuen Perspektive anzugehen.
Aktuell hat sie den Verein Mo:Lab e.V. gegründet, mit dem sie Menschen zu „Dialog Botschafter*innen“ in Workshops ausbildet, um Schüler/Student*innen und vielen Demokrat*innen das Handwerkszeug in die Hand zu geben, unsere Demokratie auch an den Rändern aktiv und auf Augenhöhe zu verteidigen und stabilisieren. Seit 2023 hält Mo Asumang als Gastprofessorin eine Spitzenprofessur der Bayrischen Hightech Agenda inne und lehrt an der Filmhochschule München, HFF, fachbereichsübergreifend für das Thema „Hybride Erzählform“. In 2024 war Mo „Harris Distinguished Visiting Professor“ am Dartmouth College in den USA und hielt Lectures am Massachusetts Institute of Technology MIT, Brown University, Williams College etc. Für ihren Mut, ihre Demokratie- und Antirassismusarbeit wurde Mo Asumang 2019 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Auf der diesjährigen herCAREER Expo wird Mo Asumang am Freitag, den 10. Oktober beim Podcast-MeetUp mit Moderatorin Kristina Appel ein Gespräch über Dialog, Demokratie und Anti-Diskriminierung führen.