Rente? Uff. Wer steigt da schon durch? Prof. Dr. Ute Klammer! Sie ist Renten- und Gleichstellungsexpertin. Ihr Plädoyer für eine nachhaltige Rentenreform lautet vor allem: mehr Solidarität. Das bedeutet auch: mehr Umverteilung und ein Abrücken vom Äquivalenzgedanken, denn wir leben nicht in äquivalenten Umständen. Warum sie dennoch ein Fan der deutschen Rentenversicherung ist, wieviel Eigenverantwortung in der Altersvorsorge steckt und wo sie sich dringend mehr politische Konsequenz wünscht, teilt sie in diesem Interview.

„Mein Plädoyer für eine nachhaltige Rentenreform ist vor allem: mehr Solidarität.“

herCAREER: Frau Dr. Klammer, seien Sie ehrlich: Ist die Rente sicher?

Prof. Dr. Klammer: Ja, das ist sie. Vielleicht überrascht Sie diese Antwort. Aber eigentlich stellen Sie die falsche Frage, denn sie muss lauten: „Ist die Rente auskömmlich?”

herCAREER: Und – ist sie das?

Prof. Dr. Klammer: Nicht für alle.

herCAREER: Brauchen wir ein neues Rentensystem?

Prof. Dr. Klammer: Wenn wir „Rente” im Sinne dieses Gesprächs als unsere gesetzliche Rente definieren, dann ist die gesetzliche Rentenversicherung ein gutes und ein sicheres System. Es fallen zum Beispiel nur niedrige Verwaltungskosten an und niemand aus der Finanzwirtschaft verdient sich damit eine goldene Nase.

herCAREER: Woher kommen dann der schlechte Ruf und das schwindende Vertrauen in die Rente?

Prof. Dr. Klammer: Medien und Politik haben aus Eigeninteresse zu dieser großen Verunsicherung beigetragen. Ich will auch nicht behaupten, dass das System in allen Punkten gut ist. Für viele Erwerbsbiografien ist die Rente nicht auskömmlich, das ist ein Problem. Die Rentenhöhe für Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien, für Teilzeitbeschäftigte oder für diejenigen, die nicht regelmäßig einzahlen, reicht nicht für eine gute Absicherung im Alter.

herCAREER: Das sind zu einem großen Teil Frauen. Was bedeutet das für sie und andere – teils mehrfach diskriminierte – Gruppen?

Prof. Dr. Klammer: Wir brauchen einerseits zusätzliche Säulen der Sicherung und müssen die Menschen andererseits dafür sensibilisieren, dass sie frühzeitig privat für die eigene Altersvorsorge aktiv werden.

herCAREER: Wenn Menschen mit geringem Einkommen oder aus prekären Verhältnissen aber keine Möglichkeit zur privaten Vorsorge haben, während sich wohlhabende Menschen zusätzlich absichern können, vergrößert das doch die Schere, oder nicht?

Prof. Dr. Klammer: Mir geht es nicht nur um das Sparschwein oder ein ETF-Depot, sondern auch darum, sich grundsätzlich mit Alterssicherung zu befassen und das eigene Erwerbsverhalten zu reflektieren. Nur wenige meiner Studierenden können oder wollen sich vorstellen, mehr als 40 Jahre lang zu arbeiten. Das müssen sie auch nicht, solange sie in den Jahren, in denen sie berufstätig sind, entsprechend Kapital aufbauen und so viel arbeiten, dass sie ordentlich Rentenansprüche aufbauen, auch über die Betriebsrente. Das kann auch durch freiwillig höhere Beiträge oder durch die Auswahl eines Arbeitgebers, der eine Betriebsrente anbietet, geschehen.

herCAREER: Rente ist also weniger als retrospektives Ergebnis von geleisteter Erwerbsarbeit zu betrachten, sondern eher als proaktives Ergebnis sorgfältiger, langfristiger Planung?

Prof. Dr. Klammer: Ja. Im Grunde muss ständig etwas für die Absicherung des eigenen Alters getan werden. Und wenn ich nicht selbst ins Rentensystem einzahlen kann, muss gegebenenfalls der oder die Partner:in einspringen. Und in manchen Fällen eben auch der Staat – aber es muss eingezahlt werden! Darum plädiere ich seit vielen Jahren für eine durchgängige Rentenversicherungspflicht. Ohne diesen Druck nehmen Menschen einerseits nicht versicherungspflichtige Jobs an und andererseits entsteht kein Druck auf Arbeitgebende, Menschen so zu bezahlen, dass genug für die Nacherwerbszeit übrigbleibt. Denn Jobs, die nichts für die Altersvorsorge abwerfen, sind nicht nachhaltig.

herCAREER: Aber davon gibt es einige: Viele Menschen in Dienstleistungs- und Handwerksberufen sowie Künstler:innen und Sozialarbeiter:innen können kaum etwas von ihrem Einkommen abzwacken. Und natürlich die Selbstständigen.

Prof. Dr. Klammer: Selbstständige sind besonders gefährdet, im Alter arm zu sein. Viele hängen mit Herzblut an ihrem kleinen Geschäft, aber es wirft nicht genug für eine Altersvorsorge ab. In einem Forschungsprojekt sind wir sogar auf Fälle gestoßen, in denen Selbstständige ihre private Rentenversicherung verkauft und alle Ersparnisse aufgelöst haben, um ihr Geschäft am Laufen zu halten. Diese Leute müssen wir meiner Meinung nach pflichtversichern, damit sie sich gegebenenfalls rechtzeitig umorientieren.

herCAREER: Die Konsequenz aus Pflichtbeiträgen wäre auch, dass Selbstständige höhere Rechnungen für ihre Leistung stellen müssen.

Prof. Dr. Klammer: Genau! Und darum muss das kollektiv und übergreifend geregelt sein, denn sonst könnten Mitbewerber:innen, die nicht freiwillig vorsorgen, ihre Leistungen günstiger anbieten und hätten einen Wettbewerbsvorteil. Dennoch wird gestritten: Soll es eine Versicherungspflicht geben – wobei jede:r entscheiden kann, wo und wie er*sie sich fürs Alter versichert – oder eine Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung, also eine Pflichtversicherung? Mein Plädoyer ist schon lange: Zum Schutz der Personen selbst, aber auch der Gemeinschaft muss man sie dort einbeziehen. Ganz anders verhält es sich aber bei den gut gesicherten Selbstständigen: Ärzt:innen, Rechtsanwält:innen und andere Gutverdienende. Die haben sich ihre eigenen Versorgungswerke geschaffen und zahlen keine Beiträge in unser Solidarsystem – haben aber gute eigene Renten. Und da sehe ich auch ein Gerechtigkeitsproblem.

herCAREER: Sie fordern also Solidarität und ein Umdenken der gesamten Gesellschaft?

Prof. Dr. Klammer: Zumindest ein kollektives Bewusstsein. Auch dafür, dass die Probleme, die wir zweifellos bei der Rentensicherung haben, auch aus der erfreulichen Entwicklung einer höheren Lebenserwartung resultieren.

herCAREER: Aber ist die Rentenversicherung adäquat zu dieser und anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen gewachsen? Gerade wenn es um Gleichstellungsfragen und die finanzielle Absicherung von Frauen und Müttern geht, scheint das nicht der Fall zu sein.

Prof. Dr. Klammer: Da gebe ich Ihnen recht. Ich war Vorsitzende der ersten Gleichstellungskommission der Bundesregierung und beschäftige mich schon sehr lange mit den verschiedenen Faktoren, die da hineinspielen. Es ist eine Verkettung der Umstände: Firmen lassen Frauen seltener an Karriereprogrammen teilnehmen, weil sie befürchten, sie mit einer Schwangerschaft zu verlieren. Mütter bleiben als Care-Personen zu Hause, weil sie aufgrund des Gender Pay Gaps ohnehin schlechter bezahlt werden. Dort schleicht sich oft die Retraditionalisierung der Rollenverteilung ein. Das liegt unter anderem an der schlechten Infrastruktur und Unzuverlässigkeit in der Kinderbetreuung. Langfristig tragen so die Frauen die Kosten gemeinsamer familiärer Entscheidungen, weil sie in Minijobs und Teilzeit bleiben, statt in ihre Karriere und Zukunft zu investieren. So entsteht Altersarmut.

herCAREER: Vor allem, wenn die Ehe scheitert.

Prof. Dr. Klammer: Für diesen Fall gibt es zwar für die Zeiten der Ehe einen Versorgungsausgleich, bei dem die während der Ehe erworbenen Rentenansprüche zu gleichen Teilen aufgeteilt werden. Doch der hilft Frauen letztlich nicht dabei, wieder in den Beruf zurückzukehren und in der verbleibenden Zeit selbst angemessen in die Rentenversicherung einzuzahlen. Deshalb brauchen wir eine Umverteilung der Arbeitszeit zwischen Frauen und Männern. Das haben wir im Zweiten Gleichstellungsbericht deutlich gemacht. Wir brauchen ein Modell, das Anreize für eine egalitäre Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit setzt, sodass nicht der eine Vollzeit plus arbeitet und die andere höchstens einen Minijob hat. Das ist natürlich auch ein Problem der Aushandlung zwischen Partner:innen, aber um hier gerecht verhandeln zu können, brauchen wir einen Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, eine Verringerung des Gender Pay Gaps und eine veränderte Besteuerung von Eheleuten. Hinzu kommt, dass wir immer mehr Alleinerziehende haben, meist Frauen mit kleinen Kindern.

herCAREER: Sieht der Staat hier Unterstützung vor?

Prof. Dr. Klammer: Nur zum Teil. Zwar haben wir mit der Hinterbliebenenrente ein gutes Instrument, um verwitwete Mütter abzusichern, aber unverheirateten und getrennten Müttern bringt die nichts. Insofern ist das Rentenrecht nicht mit der Zeit gegangen.

herCAREER: Heißt das, der Generationenvertrag ist gescheitert?

Prof. Dr. Klammer: Das ist eine komplexe Frage. Was bedeutet denn Generationenvertrag? Es ist ja eigentlich ein Drei-Generationen-Vertrag, der nicht nur das Einzahlen der Jüngeren für die Älteren bedingt, sondern auch, dass wir Kinder bekommen, die wiederum für uns einzahlen. Aber – dazu besteht natürlich keine Verpflichtung. Somit ist unser Umlageverfahren anfällig für den demografischen Wandel.

herCAREER: Wie sähe die Alternative aus?

Prof. Dr. Klammer: Ein Kapitaldeckungsverfahren, auf das Länder wie etwa Großbritannien, Schweden oder Norwegen viel stärker setzen als Deutschland, klingt zwar attraktiv, ist aber ebenfalls anfällig. Die Krise am Kapitalmarkt 2008 oder die Verwerfungen, die gerade durch Donald Trumps Wiederwahl entstanden sind, haben beispielsweise die Rentengrundlage für Rentner:innen in England erheblich beeinträchtigt. In vielen Ländern – wie der Schweiz – hat die Suche nach Kapitalanlagemöglichkeiten zudem maßgeblich zur immensen Steigerung der Immobilienpreise beigetragen.

herCAREER: Wie steht die deutsche Rente im internationalen oder europäischen Vergleich da?

Prof. Dr. Klammer: Wir haben vergleichsweise hohe Zuschläge für Erziehungszeiten. Auch bei den Berücksichtigungszeiten für Teilzeitarbeit von Eltern sind wir gut: Bis das jüngste Kind zehn Jahre alt ist, werden die Rentenbeiträge aus Teilzeit bei uns höher bewertet. Aber wir haben auch ein System, das sich besonders stark an der Beitragsäquivalenz orientiert.

herCAREER: Was bedeutet das?

Prof. Dr. Klammer: Das heißt: Wer mehr einzahlt, bekommt auch mehr heraus. Darin unterscheidet sich Deutschland von einigen anderen europäischen Ländern. Ich finde ein echtes Drei-Säulen-System, wie zum Beispiel in den Niederlanden, eigentlich angemessener. Die erste Renten-Säule orientiert sich dort an der Dauer des Wohnbürgerstatus. Das bedeutet, dass Personen, die lange dort gelebt haben und steuerpflichtig waren – selbst wenn sie nur geringe Steuern gezahlt haben –, zumindest Anspruch auf eine Art Grundrente haben. Damit kann man keine großen Sprünge machen, aber man hat eine würdevolle Basis fürs Alter. Ein weiteres Beispiel ist die Schweiz, die ein System der Teilhabe-Äquivalenz hat und in der ersten Säule stärker umverteilt, zugunsten der Menschen mit geringerem Einkommen. Die Schweizer Lösung kombiniert ein existenzsicherndes Umlageverfahren mit einer kapitalgedeckten Pflichtvorsorge für die breite Bevölkerung. Und trotz einer sehr hohen Teilzeitquote bei Frauen werden die Schweizer:innen im Rentenkontext dafür weniger bestraft. Auch in Österreich stehen Geringverdiener im Alter besser da. Davon können wir lernen.

herCAREER: Welche zentrale Schwäche hat unser System also?

Prof. Dr. Klammer: Wir sind nicht gut im Schutz der Schwächeren, das zeigen auch Vergleiche wie die der OECD immer wieder. Wir müssen vor allem im unteren Einkommensbereich besser umverteilen. Das machen Österreich, die Schweiz oder auch die Niederlande besser.

herCAREER: Im Koalitionsvertrag steht, man wolle eine Stabilisierung des Rentenniveaus vorsehen. Die dadurch entstehenden Mehrausgaben würden von Steuermitteln gedeckt. Wie ist das zu verstehen?

Prof. Dr. Klammer: Das ist sehr komplex. Es geht um diesen Richtwert von 48 % Rentenniveau, der allerdings eine durchgängige Erwerbsbiografie voraussetzt. Das bedeutet, dass jemand, der 45 Jahre lang den Durchschnittslohn verdient und Beiträge gezahlt hat, 48 % des aktuellen Durchschnittsverdienstes aller Versicherten als Rente erhält. Das Rentenniveau ist seit 2001 langsam abgesenkt worden. Das Ziel war, die private Vorsorge parallel aufzubauen, die Riesterrente sollte dabei helfen. Die Riesterrente ist jedoch aus guten Gründen in Misskredit geraten. Jetzt stellt sich die Frage, wie weit das Niveau noch sinken soll oder wo es stabilisiert werden kann. Die genannte Stabilisierung soll verhindern, dass immer mehr Leute in den Grundsicherungsbereich rutschen. Damit sind die grundlegenden Probleme jedoch nicht gelöst.

herCAREER: Wir haben über zu geringe Erwerbstätigkeit und Beiträge seitens der Mütter gesprochen und über fehlende Anreize, auskömmliche Löhne und Honorare zu zahlen. Fließt denn genug Geld in die Rentenkasse?

Prof. Dr. Klammer: Die Rentenversicherung ist finanziell noch in einer stabilen Lage. Aber wir haben einen demografischen Wandel und eine stagnierende Wirtschaft. Und wenn die nicht wieder vernünftig anspringt, wird es zu Engpässen kommen.

herCAREER: Was wären denn weitere verfügbare Stellschrauben?

Prof. Dr. Klammer: Da bleiben zum Beispiel die Einbeziehung neuer Versicherungsgruppen, ein Absenken des Rentenniveaus, was natürlich immer Verunsicherung schafft. Oder eine Erhöhung der Beiträge. Aber auch weniger Frühverrentungen oder eine Erhöhung des Erwerbsvolumens durch mehr Vollzeitarbeit, eine höhere Frauenerwerbstätigkeit oder mehr Zuwanderung.

herCAREER: Die Einbeziehung neuer Versicherungsgruppen – das sind laut Bärbel Bas die Selbstständigen, Beamt:innen und Abgeordneten. Warum zahlt gerade der öffentliche Dienst noch nicht in die gesetzliche Rentenkasse ein?

Prof. Dr. Klammer: Die Pensionen für Beamt:innen haben eine lange Geschichte. Die Argumentation war: Für die Beamt:innen sorgen der Staat oder die Länder in einer Art „aufgeschobenem Erwerbseinkommen“. Das heißt, sie bekommen während ihrer Erwerbstätigkeit weniger, als sie auf dem freien Markt verdienen würden, aber dafür kriegen sie eine auskömmliche Alterssicherung. Heute verdienen Personen im öffentlichen Dienst allerdings oft mehr als Menschen in der Privatwirtschaft.

herCAREER: Zeit, das anzupassen, oder nicht?

Prof. Dr. Klammer: Ja. Die Einbeziehung der Beamt:innen in die gesetzliche Rentenversicherung ist allerdings nicht trivial. Das würde bedeuten, dass für alle neuen Beamt:innen Rentenbeiträge bezahlt und gleichzeitig die Pensionslasten der heutigen Beamt:innen getragen werden müssten. Das wäre für mehrere Jahrzehnte eine erhebliche Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte. Aber man kann sich da den österreichischen Fall ansehen – die haben das mit einer Stichtags- und mit langen Übergangsregelungen geschafft.
Was die Abgeordneten angeht: Dass Herr Merz die Abgeordnetengehälter erhöhen möchte und sie zusätzlich Altersentschädigung beziehen … Das wäre ein Schlag ins Gesicht der Leute, die hartnäckig versuchen, sich irgendwie im Alter durchzubringen.

herCAREER: Stichwort Schlag ins Gesicht: Warum hält Deutschland am Ehegattensplitting fest?

Prof. Dr. Klammer: Das Ehegattensplitting ist seit etwa 30 Jahren mein Lieblingsfeind. Es führt zu asymmetrischen Aufteilungen in Erwerbs- und Sorgearbeit in Familien. Die Folge: Frauen stehen in Verbindung mit fehlender Kinderbetreuung und dem Gender Pay Gap signifikant schlechter da. Oft wird dann die Steuerklassenkombination 5 und 3 genutzt und der Effekt verstärkt sich noch. Immer wieder wird auch das obligatorische Splitting von Rentenansprüchen – ähnlich wie in der Schweiz – vorgeschlagen. Vor allem im konservativen Lager gibt es aber Kräfte, die sich vehement dagegen wehren. Wie ich im Laufe der Zeit begriffen habe, sind auch viele Frauen gar nicht an einer Reform interessiert, vor allem diejenigen in eher traditionellen Partnerschaftsarrangements. Sie befürchten kurzfristige persönliche Einbußen und sehen leider nicht die großen Zusammenhänge und die verheerenden langfristigen Folgen. Vielleicht haben die kommenden Generationen mehr Erfolg als wir.

herCAREER: Könnte das bedingungslose Grundeinkommen mehr Rentensicherheit schaffen?

Prof. Dr. Klammer: Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, aber es hat mich nie überzeugt. Die Annahme, dass Frauen und Mütter dabei besser wegkämen, ist falsch – dafür müsste man die Care-Arbeit neu bewerten und nicht versuchen, mit einem Pflaster Ausgleich zu schaffen. Außerdem: Dieses Geld fällt ja nicht vom Himmel. Es muss erwirtschaftet werden und das geht nur durch Steuern. Für Deutschland ist das unrealistisch. Hier herrscht der Gedanke vor, dass Leistung sich lohnen muss. Wer wirklich arm ist oder in eine Notlage gerät, der oder dem muss geholfen werden. Dafür muss der Sozialstaat da sein und das findet viel Zustimmung. Allen etwas zu geben, egal ob sie es brauchen oder nicht, das kommt in den Befragungen nicht gut an. Und auch für mich persönlich sieht Fairness anders aus.

herCAREER: Welche Frage wird Ihrer Meinung nach zu selten gestellt, wenn es um Rente geht?

Prof. Dr. Klammer: Ich finde, die wichtigste Frage ist: Wie kann man jüngere Leute mehr für das Thema interessieren? Es ist ärgerlich, dass die Mehrheit denkt, das Rentensystem tauge nichts. Denn das stimmt nicht.

herCAREER: Die Frühstartrente soll hier gegensteuern: Demnach erhält ab 2026 jedes Kind vom sechsten bis 18. Lebensjahr pro Monat zehn Euro vom Staat, um für die private Altersvorsorge zu motivieren und zu sensibilisieren. Wird das greifen?

Prof. Dr. Klammer: Bei zehn Euro im Monat wird diese Anlage allein zu wenig führen. Aber den Ansatz finde ich richtig: als Einstieg und als Anregung, sich dem Thema Rente früh zu widmen, und um das Thema in die Breite zu tragen.

herCAREER: Das bedeutet, wir brauchen finanzielle Bildung für alle, schon im Jugendalter?

Prof. Dr. Klammer: Absolut! Und da gehört vieles dazu! Wie funktioniert Alterssicherung? Wie muss ich meine Erwerbsbiografie gestalten, um später nicht nur über die Runden zu kommen? Zu finanzieller Bildung gehört auch, zu lernen, welche Lebensentscheidungen zu welchen finanziellen Risiken führen. Was bedeutet es für mich, länger aus dem Beruf auszuscheiden, wenn ich ein Kind habe? Was passiert, wenn ich schon als junger Mensch Schulden für Handy und Hypothek anhäufe? Wir leben in einer Zeit und Gesellschaft, in der man sehr viel Eigenverantwortung übernehmen muss. Wir sind schlecht darauf vorbereitet und dass muss sich ändern.

 Das Gespräch führte herCAREER Redakteurin Kristina Appel.

Über die Person

Prof. Dr. Ute Klammer ist ordentliche Professorin an der Universität Duisburg-Essen (UDE), Fakultät für Gesellschaftswissenschaften, und seit 2016 Geschäftsführende Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ). Seit Mai 2021 ist sie zudem Direktorin des „Deutschen Instituts für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung“ (DIFIS), einer durch das Bundesarbeitsministerium geförderten gemeinsamen wissenschaftlichen Einrichtung der Universitäten Duisburg-Essen und Bremen. Von 2008 bis 2015 war Ute Klammer an der UDE Prorektorin mit Zuständigkeit für Diversity Management und Internationales. Ihre Forschungs- und Publikationsschwerpunkte liegen in den Bereichen der europäischen und international vergleichenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik (insbesondere Familienpolitik, Alterssicherung, Arbeitsmarktpolitik), der Gender-Forschung, Hochschulforschung, Migration sowie Armut und Einkommensverteilung. Ute Klammer war u.a. Vorsitzende der Sachverständigenkommission für den Ersten Gleichstellungsbericht für die Bundesrepublik Deutschland, Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung sowie Mitglied des Rates für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung.

Im Rahmen der herCAREER Expo 2025 beantwortet Prof. Dr. Ute Klammer am 10. Oktober im Podcast-MeetUp mit Kristina Appel brennende Fragen zur Rente, Rentenreform und weiblichen Altersvorsorge.