„Frauen werden unter Druck gesetzt, psychisch an sich zu arbeiten. Sie sollten selbstbewusster sein, dann komme auch der Erfolg.“ Dem widersprechen Shani Orgad, Professorin für Medien und Kommunikation an der London School of Economics und Ros Gill, Professorin für kulturelle und soziale Analyse an der London City University, im Gespräch mit der ZEIT.

„Wir argumentieren überhaupt nicht dagegen, dass Frauen selbstbewusst sind und sich wohlfühlen in ihrer Haut. (…) Wir kritisieren, dass Selbstbewusstsein heute als Allheilmittel präsentiert wird“, sagt Gill. „Wir kritisieren den Ansatz, dass Frauen verantwortlich für Ungleichheit sein sollen. (…) Es geht immer nur darum, dass Frauen sich ändern sollen, statt dass wir versuchen, die Welt gerechter zu machen.“

Über das Buch „Lean In“ von Sheryl Sandberg sagt Orgad: „Sandbergs Mantra ist, dass es in der Verantwortung von Frauen liegt, die Revolution zu verinnerlichen. Sie hat damit eine Version von Feminismus artikuliert, die inzwischen (…) zur vorherrschenden Form geworden ist: sehr individualistisch, sehr psychologisiert, ohne Interesse an strukturellen Problemen.“ Doch beim Feminismus gehe es eigentlich „um eine Revolution in der Welt da draußen, um kollektive Mobilisierung, einen Kampf für Gleichberechtigung zwischen Geschlechtern. Es geht um Gleichheit grundsätzlich.“

„Die Revolution zu verinnerlichen“ bedeutet für Gill, „zu akzeptieren, dass Frauen selbst verantwortlich sind für ihre Unterdrückung, für ihre schlechte Stellung in der Gesellschaft.“ Irrglaube Meritokratie: „Die neoliberale Gesellschaft besteht aus vielen Leitern und wir alle haben die gleichen Möglichkeiten, daran hochzuklettern. Alles baut auf Eigenverantwortung.“

Orgads Fazit: „Wut ist das, was wir brauchen, um uns gegen diese Anforderungen zu wehren. Sie erlaubt es uns, strukturelle Ungerechtigkeiten zu erkennen und die Bereiche zu sehen, (…) in denen wir die Revolution nicht verinnerlichen und die Schuld nicht auf uns schieben sollten. Wir sind weder das Problem, noch tragen wir die Lösung in uns. Es ist das System, das kaputt ist.“

Ähnlich argumentiert Unternehmensberater Robert Franken in zwei Interviews mit herCAREER: „Es bringt herzlich wenig, wenn wir versuchen, die Menschen passend für unsere Systeme zu machen.“ Für die Veränderung der Rahmenbedingungen sei das Bewusstsein notwendig, „dass menschliches Denken und Verhalten wesentlich von unbewussten Biases beeinflusst wird.“

Er möchte die Diversity-Debatte erweitern, in der es zu oft nur um Frauen in Führungspositionen gehe. „Das ist zwar wichtig, aber lässt uns die Augen verschließen vor dem großen Ganzen (…). Wir haben nichts davon, wenn wir in der Businesswelt die weißen cis-Männer durch weiße cis-Frauen ersetzen.“

Zur Rolle der Männer sagt Robert: „Sie glauben, dass die Frauen jetzt die Transformationsarbeit für sie mitmachen. Aber das wird so nicht gehen.“ Die Männer müssten sich aus ihren Gedankenwelten lösen – ein schmerzhafter Prozess.

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Ein Beitrag von Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER I WiWo-Kolumnistin I LinkedIn-TOP-Voice 2020 I W&V 2019 – 100 Köpfe
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