Kennst du Natascha Sagorski? Wenn ja, dann sicher als Initiatorin des brandneuen Gesetzes für den gestaffelten Mutterschutz. Mit ihrem neuen Buch „Wie wir mit unseren Kindern die Demokratie verteidigen“ möchte sie alle – und insbesondere Frauen und Mütter – ermutigen, sich politisch zu engagieren. Für sie selbst ist Aufgeben keine Option. Denn wenn wir unseren Kindern eine gute Zukunft sichern wollen, so viel steht für die Autorin fest, müssen wir zuallererst die Demokratie verteidigen. Sie selbst kandidiert bei den nächsten Kommunalwahlen für den Gemeinderat.

„Du musst nicht selbst eine Petition starten. Es reicht, wenn du Petitionen unterschreibst. Wichtig ist, dass du eine Haltung hast und dir deiner Gestaltungsmacht bewusst bist.“

herCAREER: Natascha, im Frühjahr hast du erfolgreich ein neues Gesetz auf den Weg gebracht. Jetzt hast du ein Buch über politisches Engagement herausgebracht. Willst du damit vermitteln: „Das könnt ihr alle auch!“?

Natascha Sagorski: Ich will mit dem Buch vor allem transportieren, dass Demokratie nur funktioniert, wenn wir sie alle leben und gestalten. Der Erfolg mit dem neuen Gesetz war insofern wichtig, als ich all den Zweiflern Wind aus den Segeln genommen habe, die gesagt haben: „Ach Natascha, das ist ja alles ganz toll, aber wir können doch eh nix bewirken.“ Jetzt kann ich sagen: „Ha, das bringt eben doch was!”

herCAREER: Und wenn es nicht geklappt hätte?

Natascha Sagorski: Auch wenn das Gesetz nicht gekommen wäre, hätte es trotzdem viel verändert, weil unser demokratisches Engagement einfach so viele Menschen über die Parteigrenzen hinweg motiviert hat. Wir haben gezeigt: Man kann Themen Raum verschaffen, die von alleine keinen Raum bekommen.

herCAREER: Warum liegt dir das so am Herzen?

Natascha Sagorski: Ich glaube, dass zu viele Menschen Demokratie als etwas Selbstverständliches ansehen und hinnehmen. Aber im Moment ist sie nicht mehr selbstverständlich. Ich möchte dazu anregen, es auch als Privileg zu sehen, sich demokratisch engagieren zu können. Ein Großteil der Menschen hat dieses Privileg nicht.

herCAREER: Es hat drei Jahre gedauert, das Gesetz zum gestaffelten Mutterschutz durch den Bundestag zu bringen. Das ist ein ganz schönes Commitment und doch sicher sehr kräftezehrend?

Natascha Sagorski: Ja, das waren drei lange Jahre für mich persönlich – und so wirkt es auf Menschen außerhalb des politischen Betriebs natürlich auch. Abgeordnete hingegen waren erstaunt und haben gesagt: “Wow, innerhalb einer Legislaturperiode, das ist ja wahnsinnig schnell!“ Es ist also immer eine Frage der Perspektive. Aber – man muss mit seinem Engagement nicht gleich auf Bundesebene starten, um politisch wirksam zu werden.

herCAREER: Ist Kommunalpolitik zugänglicher?

Natascha Sagorski: Ja. Um beim Thema Fehlgeburten zu bleiben: Ich wollte einen Erinnerungswald initiieren, wo Familien wie wir, die ein Kind in der Schwangerschaft verloren haben, einen Baum pflanzen können und so einen Ort des Gedenkens haben. Ich bin in den SPD-Ortsverein gegangen und habe gesagt, ich würde das gerne beantragen. Dann habe ich den Antrag geschrieben, der wurde im Gemeinderat eingebracht und einstimmig angenommen. Das hat ungefähr 10 Tage gedauert. Man kann in der Kommunalpolitik sehr schnell sehr viel bewirken.

herCAREER: Was sind weitere erste Schritte in ein politisches Engagement?

Natascha Sagorski: Der Elternbeirat zum Beispiel. Oder eine Petition! Für eine kommunalpolitische Petition brauchst du manchmal nur ein paar hundert Unterschriften und hast oft direkt Erfolg. In meinem Interview mit Jessica Seip von OpenPetition habe ich erfahren, dass es sich bei den meisten Petitionen auf der Plattform um familienpolitische Petitionen handelt und dass die erfolgreichsten Petitionen die zu kommunalpolitischen Themen sind.

herCAREER: Eine deiner zentralen Aussagen im Buch ist: “Familienpolitik ist Wirtschaftspolitik.” Allerdings. Eine Bundeswirtschaftsministerin gab es bisher noch nie, den letzten Bundesfamilienminister hatten wir 1982. Wie bekommen wir mehr Frauen, aber vor allem mehr Mütter in die Politik?

Natascha Sagorski: Das geht meiner Meinung nach nur über die Parteien. Denn Parteimitglieder schreiben nicht nur die Wahlprogramme – aus ihnen rekrutiert sich auch das politische Personal. Der Ansatz „Mehr Mütter in die Politik“ muss von innen kommen, also müssen Parteien familienfreundlicher werden!

herCAREER: Hast du konkrete Ideen, wie das gehen kann?

Natascha Sagorski: In unserem Ortsverein sind wir gerade sehr viele Mütter und auch Väter. Wir planen familienfreundliche Veranstaltungen: Zu Ostern gab es Kindertattoos und Ostereiersuchen. Unsere Sitzungen sind immer hybrid und wir haben die Zeiten angepasst, damit die Termine nicht immer zur besten Familienzeit (wie Abendessen oder Zubettgehen) sind. Solche Veränderungen bekommt man schnell umgesetzt, sobald da nicht mehr nur eine, sondern drei oder vier Mütter in einer Gruppe sind. Und je mehr engagierte Leute zusammenkommen, desto mehr Spaß macht es auch. Sobald daraus eine Bewegung wird, läuft das!

herCAREER: Überall herrscht Politikverdrossenheit und laut Umfragen verlieren immer mehr Menschen das Vertrauen in die Demokratie: Wie bleibst du optimistisch?

Natascha Sagorski: Viele – natürlich nicht alle – Abgeordnete sind wirklich gute Menschen, offen für Gespräche und angetreten, weil sie wirklich etwas verändern wollen. Mich nervt dieser Pessimismus. Immer ist alles schlecht, keiner kann was richtig machen. Und wenn mal ein guter Ansatz kommt, dann ist er nicht perfekt genug und dann wollen die Leute das nicht mittragen. Ich habe da eine andere Einstellung. Ich sage: “Geht doch erst mal mit!”

herCAREER: Wir brauchen also mehr Optimismus gegenüber den politischen Akteur:innen?

Natascha Sagorski: Unbedingt. Wie wollen wir unsere Kinder zu aufrechten Demokrat:innen erziehen, wenn sie von ihren Eltern hören: „Das sind alles Idiot:innen, die kannst du eh vergessen“? Wie kann man so Kinder für Demokratie begeistern?

herCAREER: Und wie kann man es besser machen? Wie kann ich Kindern ihre Gestaltungsmacht näherbringen und gleichzeitig notwendige Grenzen setzen?

Natascha Sagorski: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass Kinder lernen: Meine Stimme zählt. Ich darf meine Meinung sagen und werde auch gehört. Im besten Fall – und da sind wir in der Demokratie – hat das auch eine Wirkung. Und diese Beispiele gibt es schon: Der Morgenkreis in der Kita zum Beispiel ist ein demokratisches Ritual. Da dürfen meine Kinder zum Beispiel kleine Punkte auf ein Plakat setzen und entscheiden, ob sie rausgehen oder spielen oder eine Laterne basteln.

herCAREER: Wie kann man das in der Familie umsetzen?

Natascha Sagorski: Der Familienrat ist ein tolles Instrument. Man muss es nicht übertreiben und ihn jede Woche hochoffiziell einberufen. Aber man kann zum Beispiel gemeinsam über das nächste Urlaubsziel entscheiden.

herCAREER: Wie kann man dabei realitätsnah bleiben und den Kindern vermitteln, dass es in einem demokratischen System auch Regeln und Grenzen gibt?

Natascha Sagorski: Familienrat heißt ja nicht, dass die Kinder die Eltern überstimmen können und wir sechs Mal im Jahr nach Florida ins Disneyland fliegen. Besser ist es, zwei Urlaubsziele zur Auswahl zu stellen und dann abzustimmen. Wichtig ist, dass die Eltern das Votum respektieren und die Kinder nicht überstimmen können.

herCAREER: Deine Kinder sind noch sehr klein. Wie habt ihr die Bundestagswahl mit ihnen erlebt?

Natascha Sagorski: Ein Wahltag ist bei uns ein Feiertag. Wir wollen vermitteln: Wahlen sind was Cooles. Bei uns war die ganze Wohnung voller Luftballons, richtige Partystimmung. Wir sind mit Freunden und Familie ins Wahllokal gegangen und die Kinder waren auch in der Wahlkabine. Das hat Spaß gemacht! Natürlich haben wir den Laden richtig aufgemischt. Danach haben wir gegrillt und gemeinsam die Hochrechnungen angeschaut. Mein Ziel ist es, schöne Erinnerungen zu schaffen und deutlich zu machen: Wählen ist ein Privileg.

herCAREER: Für die ganz Kleinen hast du im Buch Geschichten und Materialien vorgestellt, die Demokratie und Wahlen kindgerecht erklären. Ältere Kinder und Jugendliche informieren sich aber viel über soziale Medien. Wie können Eltern hier sicherstellen, dass sie Propaganda und Fake News erkennen lernen? 

Natascha Sagorski: Hierüber habe ich mit Expert:innen des Deutschen Kinderhilfswerks gesprochen. Ein Aspekt ist sicherlich, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Eine gute Messlatte für Jugendliche ist: Würdest du dieses Bild auch draußen an einer Litfaßsäule kleben sehen wollen? Wichtig ist: Social Media ist da und wird bleiben. Und es hat so viel Gutes, auch in der Politik. Ohne Instagram wäre meine Petition nie so schnell erfolgreich geworden.

herCAREER: Hast du einen Tipp für Eltern, wie sie das richtige Maß an Kontrolle finden?

Natascha Sagorski: Ein Bild, das für mich gut funktioniert, ist die Sonne. Sie tut gut, ist gesund und wärmend. Aber sie kann auch sehr gefährlich für uns sein, deshalb ist es wichtig, den richtigen Sonnenschutz zu benutzen. Unsere Sonnencreme ist: Medienkompetenz, Medientraining, Aufklärung, Begleitung  – wir müssen den Jugendlichen beibringen, sich sicher im Internet zu bewegen, und sie in die Lage versetzen, Gefahren zu erkennen. Demokratie bedeutet auch Mündigkeit.

herCAREER: Wen willst du mit deinem Buch erreichen?

Natascha Sagorski: Natürlich möchte ich Menschen außerhalb der Bubble erreichen. Aber ich glaube, dass die meisten Menschen, die das Buch kaufen werden, bereits politisch interessiert sind. Was ich mir wünsche, ist, dass Menschen, die vielleicht denken: „Mich interessiert das, aber ich habe keine Kraft, ich habe keine Zeit, ich schaffe das nicht“, in dem Buch eine Motivation finden.

herCAREER: Was können auch erschöpfte Menschen tun, um engagiert zu bleiben?

Natascha Sagorski: Du musst nicht selbst eine Petition starten. Es reicht, wenn du Petitionen unterschreibst. Wichtig ist, dass du eine Haltung hast und dir deiner Gestaltungsmacht bewusst bist. Du musst auch nicht zu jeder Versammlung gehen. Du kannst zum Beispiel in deinem Freundeskreis darauf hinweisen, dass es eine spannende Veranstaltung gibt, und sagen: „Ich kann nicht, aber ich würde mich freuen, wenn jemand von euch gehen kann und unsere Themen dort anspricht.” Man muss nicht immer alles selbst machen, man muss die Welt nicht allein retten.

herCAREER: Was ist dein Tipp für Leute, die Zeit und Energie in ein Thema investieren wollen?

Natascha Sagorski: Für mich war JoinPolitics ein Game-Changer, weil ich dort unter anderem finanzielle Unterstützung bekommen habe, sonst hätte ich mir das nicht leisten können. Das ist eine Starthilfe für politische Talente und Themen. Was mich am Laufen hält, sind Menschen, die an mich glauben. Das ist etwas, was man nicht unterschätzen darf: Man muss sich Leute suchen, die ähnlich ticken und die groß denken!

herCAREER: Ein Schlusswort für alle Nachrichtenmüden und Politikverdrossenen?

Natascha Sagorski: Wenn Menschen, die demokratisch eingestellt sind, aufhören, sich mit Politik und Nachrichten zu beschäftigen, ist die Demokratie wirklich in Gefahr. Es sind nicht die 20 Prozent Stimmen für die AfD, die unsere Demokratie gefährden – es sind die 80 Prozent der Demokraten, die keine Lust mehr haben, sich zu engagieren.

Das Interview führte herCAREER-Redakteurin Kristina Appel.

Über die Person

Natascha Sagorski studierte Politik- und Kommunikationswissenschaften und arbeitet als Autorin und Geschäftsführerin ihrer eigenen gemeinnützigen NGO. Nach einer Fehlgeburt 2019 erlebte sie, welche gesellschaftlichen und politischen Missstände im Umgang mit Familien nach Fehlgeburten existieren, und begann sich politisch für einen gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten einzusetzen. Sie startete eine erfolgreiche Petition und erreichte die einstimmige Verabschiedung des Gesetzes für den gestaffelten Mutterschutz im Deutschen Bundestag. Frauen in Deutschland erhalten seitdem bei einer Fehlgeburt ab der 13. Woche Mutterschutz. Mittlerweile gilt Sagorski mit ihrem politischen Netzwerk als prominente frauen- und familienpolitische Stimme, wurde für ihren Mut zur Veränderung vom Institut der Süddeutschen Zeitung und den Wirtschaftsjunioren ausgezeichnet und wurde unter anderen von JoinPolitics als politisches Talent gefördert. In ihrem neuen Buch “Wie wir mit unseren Kindern die Demokratie verteidigen” (Beltz Verlag, 2025) macht sie sich stark für mehr politisches Empowerment in Familien und für eine starke Familienpolitik.

Auf der diesjährigen herCAREER Expo wird Natascha Sagorski am Freitag, den 10. Oktober, beim Podcast-MeetUp ein Gespräch darüber moderieren, wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft das Mutter-Dilemma auflösen können.