Der Vertrieb ist eine wichtige strategische Funktion in Unternehmen – doch Frauen sind im Vertrieb immer noch unterrepräsentiert. Erst recht finden wir nur wenige Frauen, die als Führungskraft im Vertrieb tätig sind. Besonders in der B2B-Vertriebslandschaft sehen wir überwiegend Männer. Ich selbst bin seit knapp 20 Jahren im Vertrieb der Healthcare IT tätig und arbeite zu 98% mit Männern zusammen. Wir finden ebenso Unterschiede in anderen Märkten – auch im Vertrieb von Elektrotechnik und IT spielen Frauen eher eine untergeordnete Rolle. Dagegen gibt es in der Pharmaindustrie und Medizintechnik sowie in reinen Dienstleistungsbranchen viel mehr Vertrieblerinnen.

Die Tendenz ist leicht steigend, doch immer noch finden Frauen eher zögerlich in den Vertrieb. Eine Rolle spielt dabei sicherlich ein Denken in Stereotypen wie solchen, dass Eigenschaften wie Zielorientierung und Entscheidungskraft eher Männern zugeschrieben werden. Unternehmen sind hierarchisch geprägt, und auf der Entscheider-Seite finden wir nach wie vor mehr Männer als Frauen. .

Hinzu kommt, dass es die Ausbildung „Vertrieb“ (noch) nicht gibt. Deshalb werden Vertriebspositionen sehr oft aus den Kompetenzabteilungen besetzt – und die technischen Berufe sind eben von Männern geprägt.

„Es gibt eine „weibliche Intuition“ und sie ist ein Teil der sozialen Kompetenz.“

herCAREER: Welche Unterschiede siehst Du bei Männern und Frauen im Vertrieb?

Jacqueline Savli: Männliche Vertriebler fokussieren sich aus meiner Sicht auf Produkte und Lösungen, sie argumentieren stärker mit Produktfeatures und mit Spezialwissen zu Funktionen und besonderen Merkmalen.

Die Kunden sind aber heute aber viel besser informiert und kennen oft die Technologien und Funktionen. Selbst bei komplexen Lösungen weiß der potenzielle Kunde schon vor dem ersten Besuch des Vertriebs meist mehr darüber. Er nutzt Netzwerke und informiert sich sehr umfassend.

Daher bin ich der Ansicht, dass es jetzt darauf ankommt, nicht nur die Produktfunktionen in den Vordergrund zu stellen, sondern in jedem Fall die Empathie, also das Beziehungsmanagement zum Kunden. Frauen sind nachweislich empathischer und verfügen über Stärken im Bereich Beziehungsmanagement, Einfühlungsvermögen, aktives Zuhören, Kompromissfähigkeit und Konfliktlösung. Es gibt eine „weibliche Intuition“ und sie ist ein Teil der sozialen Kompetenz.

Für mich sind diese Eigenschaften von großer Wichtigkeit in der heutigen Kundenbeziehung und in einem modernen Vertrieb. Die Unternehmen sollten der Tatsache ins Auge sehen, dass der erfolgreiche Vertrieb einem Wandel unterliegt, sich sehr stark verändert. Eine Richtung ist in jedem Fall das Beziehungsmanagement.

Frauen sind daher entscheidend wichtig für den erfolgreichen Vertrieb in Unternehmen. Wenn mehr Frauen im Vertrieb positioniert sind, ist das Vertriebsteam insgesamt erfolgreicher. Es gibt bereits einige Studien darüber. Der moderne Vertrieb infiltriert das Unternehmen von der Kundenseite her. Neben dem Vertriebsaußen- und Innendienst sind nun auch Marketing, Qualität, Entwicklung, Fertigung, Finanzen und Management sehr wichtige Bestandteile des Vertriebs.

herCAREER: Wie können Frauen und Männer erfolgreich im Vertrieb zusammenarbeiten?

Jacqueline Savli: Stellen wir uns vor, Frauen lösen Männer in der Rolle des Key Account Manager ab. Frauen werden Regional-Vertriebsleiterinnen und sitzen in Verhandlungen an vorderster Front. Männer unterstützen sie darin. Das ist doch eine interessante Vorstellung – und aufgrund der von mir geführten Gespräche weiß ich, dass es heute schon viele Männer gibt, die sich das vorstellen können. Ich selbst habe das in den letzten 10 Jahren als Geschäftsführerin erlebt.

Eine wichtige Grundlage ist für mich ein echtes Gender-Rollen-Verständnis und die gleiche Augenhöhe. So funktioniert das Miteinander, die Stärken werden zusammengelegt und eine wertfreie Lernkultur entsteht. Unternehmen sollten diesen Wertewandel gemeinsam mit den Mitarbeitenden etablieren. Sie sollten dabei auf professionelle Coaches zurückgreifen und den Prozess begleiten lassen. Unternehmen, die solche Maßnahmen umsetzen, gewinnen neue Kunden – und noch viel wichtiger, sie binden ihre bestehenden Kunden und machen dadurch bessere Geschäfte als die traditionell aufgestellte Konkurrenz.

Vertriebsteams werden so viel besser funktionieren, weil wesentlich vielfältigere Charaktere, Eigenschaften und Stärken eingebracht werden als in reinen Männer-Vertriebsteams.

herCAREER: Was würdest Du Frauen, die im Vertrieb arbeiten wollen, konkret empfehlen?

Jacqueline Savli: Ich rate Frauen, sich über den Vertrieb umfassend zu informieren. Vertrieb ist nicht nur die Schnittstelle zum Kunden, sondern auch intern zu nahezu jedem Unternehmensbereich. In letzter Konsequenz werden Frauen aus der Vertriebsposition leichter ins Management wechseln können. So war es auch bei mir der Fall. Die Entwicklung wird sich für beide Gender nach Leistung und Beitrag richten. Im Vertrieb werden Frauen gebraucht. Sie sollten sich mutig in Unternehmen bewerben und sich intern positionieren. Für mich ist die Tätigkeit im Vertrieb einer der schönsten und abwechslungsreichsten Berufe, die es gibt.

Unternehmen sollten viel offener sein, Frauen aktiv ansprechen und damit den generellen Wandel einläuten. Sie werden erfolgreich sein, wenn sie den richtigen Mix aus Talenten und Stärken beider Geschlechter nutzen.

Über die Person

Jacqueline Savli ist gelernte Krankenschwester, Diplom-Sozialpädagogin und Betriebswirtin. In den letzten 25 Jahren war sie erfolgreich als Geschäftsführerin, Managing Direktor, Abteilungsleiterin und Teamleiterin in der Healthcare-IT im Geschäftsbereich Vertrieb & Marketing tätig. Ihr ist es sehr wichtig, in ihrer Leadership-Funktion eine fundierte Coach- und Trainerausbildung zu haben. Dadurch kann sie reflektierter mit Mitarbeitenden zusammen agieren und arbeiten. Heute gibt sie sehr gerne ihr Wissen – durch ihre langjährige berufliche und praktische Erfahrung in einer männer-dominierten Berufswelt – an Frauen weiter. Schon seit vielen Jahren begeistert sie das Zusammenspiel von Kommunikation, Denken und Handeln der Menschen in Unternehmen. Vor 12 Jahren begann sie als Role Model, Mentorin, Trainerin und Coach tätig zu sein. Sie wird in Unternehmen zur Keynote und zur Moderation von Workshops eingeladen, um das Thema Sichtbarkeit von Frauen voranzutreiben. Sie unterstützt es, dass Männer und Frauen sich in Unternehmen nicht voneinander abgrenzen. Sie hilft dabei, ein besseres Verständnis füreinander zu erzielen, damit sich niemand verbiegen muss. Ihr Ziel ist es immer, im Unternehmen gemeinsam und vertrauensvoll erfolgreich zusammenzuarbeiten. Ihr liegt es sehr am Herzen, Frauen auch mit ihrem Jahresprogramm „Visible Woman“ zu unterstützen. Die Themenschwerpunkte in diesem Programm: Selbstvertrauen, Authentizität, Gelassenheit, Mut, Nein-Sagen, Potenzialentfaltung, Kommunikation, Verhandeln, Wahrnehmung und Souveränität.