In ihrem Buch „Mein Mann ist die bessere Mutter“ beschreibt Anna Clauß, wie ihr Mann streifenfreier putzt als sie und als Selbstständiger den gemeinsamen Sohn nachmittags von der Schulfreizeit abholt, während sie an Redaktions-Deadlines und -konferenzen gebunden ist und manchmal aus Zeitmangel Fischstäbchen serviert. Eigentlich geben die beiden damit ein perfektes Beispiel für moderne Elternschaft ab. Warum hadert sie trotzdem immer wieder mit sich?

„Wer von Frauen mehr politisches Engagement fordert, muss im Umkehrschluss von Männern mehr Engagement zu Hause fordern.“

herCAREER: Anna, du bist berufstätige Mutter. Im Buch bezeichnest du diese Situation als Doppelleben. Wie sieht dieses Doppelleben aus?   

Anna Clauß: Der Begriff beschreibt für mich, dass ich zwei Rollen voll ausfülle. Dadurch entsteht ein permanenter Zeitmangel. Ich habe immer das Gefühl, dass ein Teil meines Lebens zu kurz kommt. Denn natürlich könnte ich immer noch mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Wenn ich von einem Doppelleben spreche, klingt das nach Problemen und Stress. Aber ich will nicht jammern. Ich liebe meine Arbeit. Und ich liebe mein Kind.

herCAREER: Glaubst du, dass dieser Spagat, eine gute Mutter zu sein und gleichzeitig eine gute Journalistin, eine gute Vorgesetzte zu sein, für Frauen jemals zufriedenstellend bewältigt werden kann?  

Jetzt muss ich doch ein bisschen jammern – denn ich glaube: Nein. Solange die Mutterrolle gesellschaftlich so mit Erwartungen aufgeladen ist, hat man als berufstätige Frau keine Chance, diese Erwartungen zu erfüllen.

herCAREER: Im Buch schreibst du den starken Satz: „Manchmal wäre ich gerne Vater.“ Was steckt für dich alles drin in diesem Satz?

Schon die Natur des Kinderkriegens ist sehr ungerecht verteilt: Männer haben den ganzen Spaß, Frauen haben die ganze Arbeit und tragen das ganze Risiko. Und dann die Privilegien: Ich habe Kollegen mit bis zu vier Kindern und sie haben trotzdem problemlos Karriere gemacht. Man kann ruhig ein wenig neidisch darauf sein, dass Männer bis ins hohe Alter Väter werden können und Kinder zudem als „nice to have“ betrachten können. Für Frauen bedeuten Kinder laut gesellschaftlicher Rollenzuschreibung Zuständigkeit und Verpflichtung, Männer dagegen haben die Wahl, ob und wie stark sie sich als Väter einbringen wollen.

herCAREER: Was stört dich daran besonders?

Dass es keine biologische Zwangsläufigkeit ist, sondern ein soziales Konstrukt. Wir könnten es also ändern.

herCAREER: Was wünschst du dir von der Politik? Was fehlt?

Mir fehlt grundsätzlich die Bereitschaft, Macht und Privilegien abzugeben. Politiker setzen sich zu 150 Prozent für ihre Karriere ein. Und das ist auch gut so, aber niemand wird von Markus Söder erwarten, dass er mit einem seiner vier Kinder darüber hinaus noch Hausaufgaben macht. Er hat sogar schon mal in einem Hintergrundgespräch damit angegeben, dass er noch nie in seinem Leben einen Kinderwagen geschoben hat. Er war offenbar nach dem Akt der Zeugung fein raus. Ich sehe in der Politik zu wenig Bereitschaft, Macht abzugeben, Karrieren organisch wachsen zu lassen und Care-Arbeit zu teilen – und das sogar als Bereicherung zu empfinden.

herCAREER: Hast du eine Idee, wie man diese Bereitschaft schaffen könnte?

Quoten sind sicher ein Weg. Und wir reden immer wieder über paritätische Wahlgesetze. Das hätten wir gerade mit der Wahlrechtsreform angehen können – stattdessen haben wir jetzt einen historisch niedrigen Frauenanteil im Bundestag. Und dann heißt es wieder, es kandidieren keine Frauen!

herCAREER: Wie auch, wenn die Strukturen es nicht zulassen …?!

Genau. Weil die meisten Mütter eben nicht die Zeit haben, mit Mitte 30 nachmittags auf einem CSU-Kreisverbandstag im Gemeinderat zu sitzen. Wenn überhaupt, sitzen sie im Elternbeirat der Schule oder der Kita – und das ist auch wichtig, aber dort ändern sie eben nicht das System. Wer von Frauen mehr politisches Engagement fordert, muss im Umkehrschluss von Männern mehr Engagement zu Hause fordern. Denn alles andere läuft auf dieses Doppelleben hinaus.

herCAREER: Es gibt das Phänomen – und das ist auch wissenschaftlich belegt –, dass Paare, die sich bis zur Elternschaft Karriere und Haushalt gleichberechtigt geteilt haben, mit der Geburt eines Kindes in ein traditionelles Rollenverständnis zurückfallen. Wie war das bei euch?

Bis zur Geburt meines Kindes war ich überzeugt, dass wir alle längst gleichberechtigt sind, ich dachte, Quoten seien überflüssig. Ich war nicht darauf vorbereitet, wie patriarchal die ganze Gesellschaft ist und wie viel Energie diese ganzen Aushandlungsprozesse fressen würden. Ich dachte, Liebe und Vertrauen und ein bisschen Abenteuerlust reichen aus, um die Betreuung unseres Sohnes gleichberechtigt aufzuteilen.

herCAREER: Wenn du noch einmal zum ersten Mal Mutter werden könntest, welche Gespräche würdest du mit deinem Mann führen?

Viele! Eine der Geschichten in meinem Buch beschreibt ja, wie ich mit meinem Mann immer wieder darüber diskutiert habe, welchen Nachnamen unser Sohn tragen soll. Das war eigentlich das einzige Thema vor der Geburt, bei dem wir eine Du-oder-Ich-Diskussion geführt haben. Es hätte uns nicht geschadet, wenn wir uns zumindest spielerisch auch mit anderen Fragen auseinandergesetzt hätten.

herCAREER: Adoptiveltern werden während des Adoptionsprozesses gezwungen, sich diese Fragen zu stellen: Wer übernimmt, wenn das Kind krank ist? Wer kümmert sich während der Schließzeiten des Kindergartens und der Schulferien usw.? Eine gute Idee für alle?

Ja, ich stelle mir das ganz fröhlich vor, so ein paar Fragebögen auszufüllen.

herCAREER: Was sagst du den Frauen, die behaupten, man könne Kinder und Karriere unter einen Hut bringen?

Ich finde es gut, anderen Frauen mit solchen Aussagen Mut zu machen. Aber letztlich geht es nur, wenn man sich Hilfe leisten kann oder Eltern hat, die fit sind und in der Nähe wohnen. Für die meisten Frauen ist das im jetzigen System nicht möglich – schon gar nicht, wenn man mehr als ein Kind hat. Kinder sind ein Vollzeitjob.

herCAREER: Was wolltest du mit dem Buch erreichen? Welche Botschaft senden?

Ich hatte mir vor allem Männer als Adressaten für das Buch vorgestellt. Denn das ist ja ein Teil des Problems: Wir Frauen tauschen uns ständig aus und fragen: „Wie machst du das?“ Und die Väter bleiben währenddessen schön außen vor. Oder sie werden angeprangert und man zeigt mit dem Finger auf sie und das böse Patriarchat. Ich wollte eigentlich mehr auf die Männer zeigen und sagen: „Hey, ihr könnt das! Warum seid ihr nicht alle die besseren Mütter?“

herCAREER: Du gehst im Buch manchmal sehr hart mit dir ins Gericht, sprichst von Momenten des Scheiterns als Mutter. Dabei sind du und dein Mann doch eigentlich ein modernes Modell von Elternschaft – beide voll berufstätig, eine pragmatische und geschlechtsunabhängige Rollenverteilung. Kannst du das für dich anerkennen?

Ich frage mich, wenn unser Sohn mal 18 oder älter ist, ob er sich eine:n Partner:in sucht, der:die so unabhängig ist wie seine Mutter. Oder ob er denkt: Das war blöd, dass meine Mama so viel unterwegs war, ich suche eine:n Partner:in, die sich um mich und unsere Familie kümmert.

herCAREER: Liegt das daran, dass du eine Mutter hattest, die selbst Müsliriegel gebacken und Spiele für die ganze Nachbarschaft organisiert hat?

Ja, ich fand es toll, eine Mutter zu haben, die so präsent war und mit uns und den Nachbarskindern auf der Straße Völkerball und Gummihüpfen gespielt hat.

herCAREER: Dabei ist erwiesen, dass der Mutterinstinkt nur ein soziales Konstrukt ist, eine Erzählung. Könnten wir das Doppelleben der Mütter entspannen, wenn wir den Elternbegriff entgendern würden? Oder ist das zu viel verlangt?

Vor ein paar Jahren gab es einen Aufschrei, als eine Behörde auf einem Formular nicht mehr Vater und Mutter schrieb, sondern Elternteil 1 und Elternteil 2. Die konservative Politik war sofort auf Zinne: „Die Stadt München will Vater und Mutter abschaffen.“ Ich finde auch, Elternteil 1 und Elternteil 2, das klingt sehr technisch. Aber eigentlich ist das die Zukunft. Schließlich gibt es auch Oma 1 und 2. Und wenn du in einer Patchworkfamilie lebst, bist du vielleicht ein Elternteil 3. Früher war es doch auch ganz normal, dass Kinder mit verschiedenen Bezugspersonen aufwachsen.

herCAREER: Hast du eine Vision für die Zukunft? Wie kann Elternschaft gleichberechtigter werden?

Ich träume davon, dass sich Gesellschaft und Wirtschaft irgendwann auf die Vier-Tage-Woche einigen. Denn dann hätten auch zwei Elternteile, die Vollzeit arbeiten, insgesamt sechs Tage in der Woche frei, um sich um ihre Angehörigen zu kümmern. Wir müssen ein neues Zeitmanagement entwickeln – und für mehr Gleichberechtigung wäre die Vier-Tage-Woche ein idealer Start.

Das Interview führte herCAREER-Redakteurin Kristina Appel.

Über die Person

Anna Clauß ist seit September 2021 Leiterin des Ressorts Meinung und Debatte beim Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. Am liebsten schreibt sie über Markus Söders Weltraummissionen und familienpolitische Themen. Clauß hat in Passau Kulturwirtschaft studiert, in München die Deutsche Journalistenschule besucht und vor dem SPIEGEL für die »Süddeutsche Zeitung« und den Bayerischen Rundfunk gearbeitet. Sie ist Autorin der Sachbücher »Söder – Die andere Biographie« und »Mein Mann ist die bessere Mutter«, das aus ihrer Elternkolumne bei spiegel.de entstanden ist.

Auf der diesjährigen herCAREER Expo am 10. Oktober im Münchener MOC wird Anna Clauß ihr Buch „Mein Mann ist die bessere Mutter“ beim Author’s-MeetUp vorstellen.