Mirijam Trunk hatte ihre erste geschäftsführende Position im Alter von 27 Jahren inne. Heute hat sie gleich zwei Jobs bei RTL Deutschland: Chief Crossmedia Officer und Chief Sustainability & Diversity Officer. Sie ist Autorin des Buches „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte”. Dafür hat sie auch mit 15 erfolgreichen Frauen gesprochen. Im Interview erzählt sie, welche Einsichten sich ihr besonders eingebrannt haben. Ihr wollt selbst mit Mirijam sprechen? Sie ist zu Gast beim Authors-MeetUp der herCAREER Expo am 12. Oktober sowie Table Captain bei der herCAREER@Night.

Was Mirijam Trunk gerne am Anfang ihrer Karriere gewusst hätte

herCAREER: Mirijam, was hat Chancengleichheit mit Wahrscheinlichkeitsrechnung zu tun?

Mirijam Trunk: Wenn wir alle dieselben Chancen hätten, würden unsere Lebenswege in ihrer Gesamtheit nach einer Normalverteilung verlaufen – im Falle der Geschlechtergerechtigkeit wäre das eine ungefähre 50-50-Verteilung. Das ist aber nicht der Fall. Wir sehen das an der Verteilung in Vorständen und Parlamenten, oder aber auch etwa daran, wie unterschiedlich Berufsfelder besetzt sind, aber auch an der Kehrseite, zum Beispiel daran, wer Opfer von Gewalt wird oder wer von Altersarmut betroffen ist.

herCAREER: Nach welchen Regeln verläuft unser aller Leben denn dann?

Mirijam Trunk: Dieser Frage bin ich nachgegangen und bin auf Faktoren gestoßen wie Sprache, Traditionen, Rollenmodelle, Stereotype, aber auch, wie Netzwerke sich bilden und wie Machtstrukturen verlaufen.

herCAREER: Kannst Du in einem Satz sagen, was du gerne am Anfang deiner Karriere gewusst hättest?

Mirijam Trunk: Ungleichheit ist kein individuelles Problem, sondern ein strukturelles. Dass wir eine ungleiche Verteilung von Macht, Positionen und Einfluss zwischen den Geschlechtern haben und es auch einen Unterschied macht, wie jemand aussieht, liegt nicht daran, dass Frauen nicht so klug wie Männer sind oder Schwarze Menschen und People of Color nicht so hart arbeiten wie weiße Menschen. Die strukturellen Gründe sind komplex und deshalb gibt es auch keine einfachen Lösungen.

herCAREER: Du hast mit 15 erfolgreichen Frauen gesprochen. Was hatten sie gemeinsam?

Mirijam Trunk: Alle Frauen, mit denen ich gesprochen habe, hatten eine gute Verbindung zu sich selbst. Sei Du selbst, authentisch, dann begegnen Dir Menschen und Situationen, die zu Dir passen.

herCAREER: Welche Einsicht hat sich Dir besonders eingebrannt?

Mirijam Trunk: Sigrid Nikutta ist im Vorstand der Deutschen Bahn, sie findet, man solle sich nicht scheuen, in Konflikte zu gehen. Sie ist sehr direkt und transportiert trotzdem Leichtigkeit und Freude. Ich glaube, das geht nur, wenn Du wirklich mit beiden Beinen im Leben stehst. Sigrid hat mich besonders inspiriert in Sachen Selbstbewusstsein. Noch ein wichtiges Learning, das mir vor allem die Interviewpartnerinnen, die Mütter waren, einstimmig mitgegeben haben: Im Prinzip kannst Du es sowieso niemandem recht machen – dann kannst Du auch gleich Deinen eigenen Weg gehen.

herCAREER: Und wenn Du selbst einen Rat an Berufseinsteiger:innen geben solltest?

Mirijam Trunk: Beschäftige Dich mit Dir selbst! Wenn wir ins Berufsleben kommen, schauen wir viel nach außen: Auf welche Jobs könnte ich mich bewerben, was muss ich dafür können? Eigentlich wäre es cleverer, zunächst den Blick nach innen zu richten und zu fragen: Wer bin ich eigentlich? Was sind meine inneren Prägungen und Triggerpunkte? An welchen Schwächen will ich vielleicht arbeiten? Das muss sich keineswegs über Jahre erstrecken. Ich denke, dass Selbstreflexion in Form eines Coachings oder einer Therapie gewiss jedem und jeder guttut.

herCAREER: Du sagst, bereits die ersten fünf Jahre im Beruf sind entscheidend für die Karriere. Baut das nicht unnötig Druck auf?

Mirijam Trunk: Die ersten Jahre im Beruf sind prägend, genau wie im Leben auch. Das heißt aber nicht, dass danach nichts mehr passiert, im Gegenteil – es ist nie zu spät! In den ersten Berufsjahren bilden sich jedoch gewisse Muster dessen, was wir als gegeben ansehen und angemessen finden. In Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit geht die Schere bei der Familiengründung, die im Schnitt in den frühen 30ern liegt, auseinander. Deshalb ist es wichtig, das Bewusstsein für strukturelle Hürden bereits in den ersten Berufsjahren zu schärfen.

herCAREER: Gab es einen Schlüsselmoment, wegen dem Du Dich dem Thema Chancengleichheit verschrieben hast?

Mirijam Trunk: Während meiner ersten geschäftsführenden Position habe ich gemerkt, dass ich öfters die einzige Frau im Raum war. Ich dachte, wow, das ist mir vorher noch nie so bildlich aufgefallen, wie sich der Frauenanteil nach oben ausdünnt und auch die Kultur sich verändert. Dann gab es immer wieder kleine Vorfälle, durch die mir Gender-Stereotype richtig bewusst wurden. Ein Meeting zum Beispiel, bei dem ich die einzige Frau war und gefragt wurde, ob ich nicht Kaffee für alle bringen könne.

herCAREER: Wie kam das?

Mirijam Trunk: Ich hatte beim Smalltalkthema Fußball nichts beigetragen. Was ich nicht wusste: Die Jungs hatten in den ersten Minuten ihre Rangordnung untereinander klargemacht. Da ist mir klar geworden: Du kannst Dich nicht rausnehmen, denn wenn Du nicht aktiv eine Stellung im Raum einnimmst, bist Du am unteren Ende. Mit der Zeit und auch in Gesprächen mit anderen Frauen habe ich gemerkt: Irre, da gibt es noch so viele Ebenen, das ist kein Mirijam-Problem und auch kein Frauen-Problem, das ist ein Strukturproblem.

herCAREER: Du hast einmal gesagt, wenn eine Frau in der Verantwortung geht und dann scheitert, wird sie hart angegangen. Warum ist das so?

Mirijam Trunk: Weil Frauen nicht nur in ihrer Rolle scheitern, zum Beispiel als Politikerin oder als Managerin, sondern auch als Frau. Bei Karl Theodor zu Guttenberg habe ich nicht einmal gelesen, dass er ein Mann ist. Bei Christine Lambrecht wurde ihr Frausein oft betont. Gerade durch die aufgeheizte Diskussion wird das vorschnell als Beleg für die Sinnlosigkeit zum Beispiel einer Quote gewertet, dabei belegt es ja nur: Es gibt auch völlig unfähige Frauen, das ist Normalverteilung. Ich wünsche mir, dass Frauen scheitern dürfen und auf der Sachebene, in der sie gescheitert sind, beurteilt werden. Stattdessen kommen meist unangemessene Bewertungskriterien mit rein: die Stimme, die Kleidung, das Privatleben. Auch Sigrid Nikutta sagte mir, bei Männern gibt es eine Erfolgserwartung, bei Frauen eine Erwartung des Scheiterns.

herCAREER: Hast Du als erfolgreiche Managerin mit bester Ausbildung ein Glaubwürdigkeitsproblem, über Chancengleichheit zu sprechen?

Mirijam Trunk: Ich will klarstellen, dass ich viele Privilegien habe. Sei es ein stabiles Elternhaus, finanzielle Möglichkeiten für eine gute Ausbildung und unbezahlte Praktika, tolle Mentoren, die ich schon früh getroffen habe. Ich habe unglaublich viele Chancen bekommen und sie in den meisten Fällen auch genutzt – sei es im Hinblick auf meine erste Position als Geschäftsführerin einer Podcast-Firma oder meine aktuellen Bereiche, die ich bei RTL Deutschland leiten darf. In meiner Wahrnehmung verpflichten Privilegien dazu, sich einzusetzen und auf strukturelle Ungleichheit aufmerksam zu machen. Denn die, die am stärksten davon betroffen sind, kriegen in den allermeisten Fällen keine Buchverträge.

herCAREER: Du hast den Entschluss gefasst, grundsätzlich nicht mehr schlecht über andere Frauen zu reden. Wie kam es dazu?

Mirijam Trunk: In meiner ersten Führungsposition stieg auch eine andere junge Frau parallel mit mir auf, aber in einem anderen Bereich. Wir waren diese zwei jungen Powerfrauen, ein schlimmes Wort. Wir konnten auf persönlicher Ebene einfach nicht gut miteinander. Sie kam in einen Läster-Modus über mich, ich kam in einen Läster-Modus über sie. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass die Männer sich köstlich amüsierten, weil wir ihnen bestätigten, dass sich Frauen gegenseitig wegbeißen. Frauen lernen schon früh, dass sie entweder Hanni und Nanni sind – also bedingungslose Loyalität zueinander haben – oder die böse Stiefmutter und Schneewittchen, sich also nicht ausstehen können. Die dritte Variante ist, die Einzige zu sein, die Schlumpfine, die TKKG-Gabi, das Jungs-Mädchen. Heute denke ich: Lästern ist Energieverschwendung und zieht den Fokus von der eigenen Entwicklung weg.

herCAREER: Ziehst Du Dein Vorhaben durch?

Mirijam Trunk: Ja. Im Beruf, aber eigentlich auch im Privaten. Denn das Lästern über Menschen, die von einer gefühlten Norm abweichen, hat mir das Leben in Berlin abgewöhnt, es gibt kein “Normal”!

herCAREER: Findest Du, Frauen müssen Karriere machen?

Mirijam Trunk: Stell Dir einen Raum mit vielen Türen vor, in dem jede Tür für jede:n offensteht. Du kannst durch die eine Tür gehen, aber auch durch die andere. Das bedeutet Chancengleichheit. Keine Tür ist verschlossen, vor keiner Tür lungern 30 Krokodile herum. Und natürlich kann sich eine Frau dafür entscheiden, durch eine Tür zu gehen, hinter der ein Leben steht, in dem andere Dinge wichtiger sind als Karriere. Ein Mann übrigens auch. Das ist die Definition von Chancengleichheit.

herCAREER: Wenn sich aber alle Frauen in Politik und Wirtschaft in die zweite Reihe zurückziehen, wofür hätten die Generationen vor uns gekämpft?

Mirijam Trunk: Da komme ich wieder zur Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wenn wir Chancengleichheit verwirklichen und Stereotype brechen, werden sich die Lebenswege normaler verteilen. Dann wird es mehr Männer geben, die beruflich zurücktreten, um sich um die Familie zu kümmern. Dann werden Mädchen im Alter von sieben Jahren nicht denken, dass Astronaut und Präsident Berufe für Jungs sind, wie es jetzt der Fall ist.

herCAREER: Ein Phänomen, das Du in Deinem Buch beschreibst, ist die “Arbeitsbienenfalle” – ist es falsch, fleißig zu sein?

Mirijam Trunk: Es ist überhaupt nicht falsch, fleißig zu sein. Aber Frauen gehen oft in Support-Funktionen, während Männer im Kerngeschäft sind. Was ich sagen will: Wenn Du die Power-Point-Präsentation erstellt hast, dann präsentiere sie bitte auch. Arbeitseifer ist wertvoll. Ich hatte auch schon Praktikantinnen, die in der ersten Woche gesagt haben, die Post hole ich nicht – davon würde ich abraten.

herCAREER: Wie schätzt Du die Macht von Netzwerken ein?

Mirijam Trunk: Riesig. Netzwerke sind der absolute Booster. Und Netzwerke stärken Dich, Netzwerke heben Dich, Netzwerke schützen Dich.

herCAREER: Findest Du es gar nicht anstrengend, zu netzwerken?

Mirijam Trunk: Netzwerken und Netzwerk-Events haben manchmal so einen ekligen Beigeschmack, man biedert sich an, ist nur auf seinen Vorteil aus. Aber Netzwerken heißt doch nichts anderes als Menschen treffen. Ich würde Netzwerken nicht so strategisch sehen, sondern ganz einfach: Schau mal, hier bin ich, ich habe folgende Dinge zu bieten. Wer bist Du, was suchst Du? Vielleicht kommen wir zusammen. In den seltensten Fällen bedeutet Netzwerken wirklich einen direkten Austausch, es kann auch sein: Wer gibt mir gute Denkanstöße, mit wem verbringe ich gerne Zeit.

herCAREER: Brauchen wir die Institutionen, die Frauen aktiv unterstützen und sichtbar machen, wie etwa die Quote oder das Gendern?

Mirijam Trunk: Wenn es nach mir ginge, bräuchten wir keine Quote. Aber es hat eben nicht geklappt ohne, die Gleichstellung vor dem Gesetz hat anscheinend nicht ausgereicht. Genauso mit dem Gendern. Wenn ich eine Studie lese, in der steht, dass in Schulklassen, in denen gegendert wird, Mädchen sagen: Ich kann auch Ingenieurin werden. Und in der Schulklasse, in der nicht gegendert wird, sagen sie, das ist etwas für Jungs – dann, finde ich, macht es Sinn, gendergerecht zu sprechen. Und mit Blick auf den Fachkräftemangel ist es umso wichtiger, dass Berufsbilder für alle Menschen erstrebenswert sind. Ich sehe das ganz pragmatisch: Chancengleichheit ist etwas, was uns als Wirtschaftsstandort besser macht. Gendern und Quote bringen uns dahin.

herCAREER: Du hast einmal gesagt, Du liebst den Zustand der Überforderung. Wie schaffst Du es, trotzdem nicht auszubrennen?

Mirijam Trunk: Weil ich total gerne mache, was ich mache. Für mich ist es leichter, 60 Stunden etwas zu machen, was ich richtig toll finde, als 20 Stunden etwas, was ich nur so halb gut finde. Und deswegen ist dieser Zustand der Überforderung etwas, das mich antreibt. Wenn ich unterfordert bin, werde ich unglücklich.

herCAREER: Was ist Dir mindestens genauso wichtig wie Deine Karriere?

Mirijam Trunk: Ich bin mir gar nicht sicher, ob mir meine Karriere als solches wichtig ist. Mir ist wichtig, dass ich ein Leben lebe, das mich erfüllt. Ich gestalte gerne und übernehme gerne Verantwortung. Auch Geld ist wichtig, so unpopulär diese Aussage scheinen mag, weil es für mich Freiheit bedeutet. Ich will mein Potential entfalten, ich will Menschen kennenlernen, ich will mitgestalten. Ich denke, die Karriereleiter ist ein falsches Bild. Ich sehe eher ein Labyrinth: Hinter jeder Ecke kann Erfüllung liegen. Und das hat sehr viel weniger mit einem Titel oder auch einer Unternehmensstruktur zu tun, als man denkt.

Das Interview führte Julia Hägele.

Über die Person

Mirijam Trunk, geboren 1991 in Bamberg, studierte Psychologie, Kommunikationswissenschaft und Politik in München und Washington, D.C. Nach ihrem Master und der Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München arbeitete sie als Reporterin beim Bayerischen Rundfunk. 2019 wurde sie im Alter von 27 Jahren Geschäftsführerin der Bertelsmann Audio Alliance und baute das Podcast-Geschäft des Unternehmens auf. Seit 2022 ist sie Teil der ersten Führungsebene von RTL Deutschland und als Chief Crossmedia Officer verantwortlich für die Marken-, Inhalte- und Talent-Entwicklung, außerdem leitet sie den Bereich Nachhaltigkeit und DE&I (Diversity, Equity & Inclusion). Neben ihrem Beruf ist Mirijam Trunk passionierte Unterstützerin von Gleichstellungsinitiativen und tritt als Autorin und Speakerin für Aufklärung über strukturelle Chancenungleichheit in Deutschland ein.

Am 12. Oktober ist Mirijam Trunk zu Gast beim Authors-MeetUp der herCAREER Expo sowie Table Captain bei der herCAREER@Night.