Wenn wir über den Begriff „sustainable“ im Kontext von Human Resources nachdenken, geht es um das sozialverträgliche Management von Menschen im Arbeitskontext. Wie gelingt dieses moderne People Management? Was versteht man unter der Formulierung „Connecting the Dots“? Und welche Rolle spielen Digitalisierung und KI? Darüber spricht Christiane Brandes-Visbeck im Interview mit herCAREER.

Was modernes People Management ausmacht

herCAREER: Was bezeichnest Du konkret als „Connecting the Dots” – was meinst Du damit im Einzelnen?

Christiane Brandes-Visbeck: Im Grunde ist es wie beim Malen nach Zahlen: Durch das Verbinden von Punkten – im Sinne von Aktivitäten, die an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Abteilungen und Bereichen stattfinden – entsteht ein Bild. Im Unternehmenskontext könnte man von einem Impact-Bild sprechen. Eine solche Übersicht aller Aktivitäten, die in einer Organisation geleistet werden, ermöglicht Transparenz, Klarheit und Orientierung. Man sieht beispielsweise, welche Aktivitäten im Gesamtbild notwendig sind, welche vielleicht stören oder welche fehlen. Durch „Connecting the Dots“ können Entscheider:innen das Tun im Unternehmen besser priorisieren, Verschwendung vermeiden und beim Ressourcen-Einsatz die Effizienz erhöhen. Aus meiner Sicht ist das eine grundlegende Voraussetzung von Nachhaltigkeit.

Im Bereich People & Culture wurden (und werden) vielerorts Themen wie Digitalisierung, Agilisierung, Führung in Teilzeit, Hybrides Arbeiten, New Work, Feedback- oder Fehlerkultur eingeführt. Wegen knapper Ressourcen (Menschen und Budgets) war nur sehr selten ein Nebeneinander aller Themen machbar. Deshalb wurden oftmals im Jahresrhythmus ein bis zwei Trendthemen von Manager:innen fokussiert und – nicht selten auf Kosten anderer fachlicher Notwendigkeiten – umgesetzt. Jetzt, wo durch Phänomene wie Rezession, Fachkräftemangel und Kriege auch in unserer Nachbarschaft die Ressourcen noch knapper werden, können wir uns den Luxus einer trendorientierten Fokussierung nicht mehr leisten. So besinnen sich Menschen in schwierigen Zeiten gern auf das, was sie in einzelnen Bereichen und Kontexten schon erreicht bzw. implementiert haben, oder auf das, was sie bereits angefangen oder angelegt haben, und setzen dies mit vereinten Kräften fort. „Connecting the Dots“ heißt in diesem Kontext, dass bereichsübergreifend geschaut werden sollte, was schon da ist und wie es mit Blick auf aktuelle und zukünftige Bedarfe weiterentwickelt oder im größeren Kontext ausgerollt werden kann.

In unserem Buchbeitrag „Sustainable People Management bei CARIAD“ für das Fachbuch „People Sustainability“ haben mein Co-Autor Julian Rech und ich „Connecting the Dots“ als ein strategisches Prinzip für Sustainable HR beschrieben: „Unser Ansatz für Sustainable HR folgt der Gleichung Digitalisierung + Mindset + Empowerment = Sustainability. Die Parameter Digitalisierung, Mindset und Empowerment sind sicherlich keine Neubegegnungen. Sie sind gemäß dem Motto ‚Connecting the Dots‘ als eine zusammenhängende, innovative Einheit zu behandeln, die Social Sustainabilty ermöglicht. Wir halten es für wenig nachhaltig, in jedem Geschäftsjahr einem neuen HR-Trend hinterherzujagen. Wir verknüpfen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wichtige Dimensionen von Modern HR, wie eben Digitalisierung/Technologie, Mindset und People Empowerment, so miteinander, dass wir im People Management nachhaltig im ökologischen, wirtschaftlichen und vor allem im sozialen Sinne agieren. Soziale Nachhaltigkeit in der HR bedeutet für uns, dass Menschen gern zu uns ins Unternehmen kommen, unsere People-Prozesse unkompliziert sind und jedem Mitarbeitenden ermöglichen, sich über jederzeit verfügbare HR-Prozesse individuell weiterentwickeln zu können.  Es geht um Mitarbeitenden-Orientierung vom ersten bis zum letzten Kontakt – vielleicht sogar bis nach dem Re-Hiring.“ (S. 118)

herCAREER: Was macht für Dich ein modernes People Management aus?

Christiane Brandes-Visbeck: Modernes People Management orientiert sich aus meiner Sicht an drei Aspekten:

  • Menschen gutes Arbeiten ermöglichen
  • Profitabilität durch Effizienz und Digitalisierung
  • Nachhaltigkeit durch „Connecting the Dots“

Dass Menschen gut behandelt werden und sie damit gute Arbeit leisten können, steckt nach meiner Erfahrung in der DNA eines jeden gesunden Unternehmens. Wenn ihren individuellen Bedürfnissen nach Anerkennung, Erfolg und Weiterentwicklung Rechnung getragen wird, werden Mitarbeitende und Führungskräfte motivierter und damit produktiver sein. Wenn sie Raum haben, um ihr Handeln mit den Zielen des Unternehmens abzugleichen, und man ihnen vertraut, werden sie eher den Mut aufbringen können, innovativ und zukunftsorientiert zu handeln. Dieses Mindset, verbunden mit konsequenter Digitalisierung, ist aus meiner Sicht eine wichtige Voraussetzung für soziale Nachhaltigkeit im Unternehmen. Ich zitiere aus unserem Buchbeitrag “Sustainable People Management bei Carias SE“ in „People Sustainabilty“, S. 127: „Indem wir uns von dem Gedanken befreien, digital handeln zu müssen, und stattdessen auf die Befähigung setzen, digital zu sein, schaffen wir eine Struktur und Freiraum für neue Formen der Kollaboration.“

herCAREER: Wie kann eine HR der Zukunft gestaltet werden, und wie kommen wir dorthin?

Christiane Brandes-Visbeck: Eine HR der Zukunft kann auf vielfältige Art und Weise gestaltet werden. Es gibt da keine richtigen oder falschen, nur passende oder unpassende Wege. Erfolgsfaktoren sind aus meiner Sicht die Möglichkeiten,  das zu tun, was in der spezifischen Unternehmenskultur passend ist (und nicht dem nächsten Trend oder Best Case hinterherzulaufen), das zu tun, was machbar ist, Digitalisierung dort voranzutreiben, wo Standardisierung und KIs die Ergebnisse optimieren können, Diversität bewusst zu leben, sich darauf zu besinnen, dass die Leistungsmaxime „schneller, höher, weiter“ aktuell bei rund 75 Prozent der Unternehmen in eine Beschleunigungsfalle mündet, die zu Erschöpfung und Burnout führt – und das sowohl auf individueller Ebene bei den Menschen als auch auf systemischer Ebene in Bezug auf die Leistungsfähigkeit einer Organisation.

Wir erleben gerade fast überall auf der Welt, was passiert, wenn Zusammenhalt nicht funktioniert. HR muss für das S, das Soziale in der nachhaltigen und ethischen Praxis von Unternehmen, stehen. So kann den Menschen im Unternehmen und über die Unternehmensgrenzen hinweg emotionale und wirtschaftliche Sicherheit garantiert werden. Umgekehrt können sich Mensch dort entfalten, wo sie Sicherheit empfinden. Sie werden mutiger und innovativer, damit nicht zuletzt auch wertschöpfender und produktiver.

In Zeiten knapper Ressourcen hat eine gesunde und stabilisierende HR die Chance, zur anerkannten Schaltstelle von wertvollen Ressourcen zu werden. Das mag auf den ersten Blick paradox klingen – aber durch die Rückbesinnung auf das Wesentliche im Unternehmen kann uns genau das jetzt gelingen. Unsere Arbeitswelt hat verlernt, einfach und nachhaltig zu sein. Wer dies wieder erreichen will, beginnt mit dem Prinzip von „Connecting the Dots“.

Über die Person

Christiane Brandes-Visbeck gestaltet seit den 1990er Jahren in unterschiedlichen Leadership-Rollen und Branchen digitale Transformation von Unternehmen für Zukunftsfähigkeit. Die Autorin von Fachbüchern über Digital Leadership und New Work gilt als Vordenkerin von Modern HR. Gemäß ihrem Leitspruch „Connecting the Dots“ verbindet sie in ihrem aktuellen Buchbeitrag über „People Sustainability“ die Dimensionen Digitalisierung, Mindset und Empowerment unter dem Begriff „Social Sustainability“.
Ihre bisherigen Buchveröffentlichungen:

  • Netzwerk schlägt Hierarchie. Neue Führung mit Digital Leadership
  • Fit für New Work
  • People Sustainability: Partizipation, Wertschätzung, Purpose