Alexandra Zykunov ist Journalistin für feministische und gesellschaftliche Themen und Autorin unter anderem des Bestsellers „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt! 25 Bullshitsätze und wie wir sie endlich zerlegen“. In dem Buch widerlegt sie 25 antifeministische Sätze, wie etwa “Viele Frauen wollen doch gar keine Karriere machen”.

Beim Authors-MeetUp auf der herCAREER Expo 2023 hat herCAREER-Chefredakteurin Julia Hägele mit Alexandra darüber gesprochen, ob Mütter den Anforderungen, die an sie gestellt werden, überhaupt gerecht werden können, und auch darüber, was sie von der Idee einer Vier-Tage-Woche hält.

Thema

Familie & Vereinbarkeit | Gesellschaft

Angaben zur Referent:in

Alexandra Zykunov, geboren 1985, ist Co-Redaktionsleiterin des Magazins Brigitte BE GREEN, Head of Content Innovation bei der BRIGITTE und Redakteurin für feministische und gesellschaftliche Themen. Ihre Texte sind u.a. in der BRIGITTE, BRIGITTE MOM, Maxi, WELT, ELTERN, Spiegel Online und GEO erschienen. Außerdem ist sie als @alexandra___z eine reichweitenstarke Stimme auf Instagram. Ihre pointierten Texte über die Unsichtbarkeit von Frauen- und Familienthemen in der Politik sprechen Tausenden von Frauen aus der Seele und gehen regelmäßig viral. Alexandra Zykunov lebt mit ihrem Partner und zwei Kindern in Hamburg.

Der Beitrag wurde im Rahmen der herCAREER Expo 2023 aufgezeichnet und als Podcast aufbereitet.

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00:00:00 Alexandra Zykunov: Es sind einfach auch so diese Tipps, die Frauen mitgegeben werden in einem System, was vorwiegend für Männer gemacht ist, sich anzupassen. Als wären die Frauen das Problem und sie müssen repariert werden. Dabei ist das System das Problem. Das System muss sich ändern, damit mehr Frauen sich darin wohler fühlen und Bock haben auf Karriere.

00:00:28 Julia Hägele: Herzlich willkommen beim herCareer Voice Podcast. Hier kommen Menschen zu Wort, die sich für eine vielfältige und gerechte Arbeitswelt einsetzen. Von der herCAREER-Expo live und aus der herCAREER-Community. Alexandra Zykunov ist Journalistin für feministische und gesellschaftliche Themen und Autorin unter anderem des Bestsellers „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt. 25 Bullshitsätze und wie wir sie endlich zerlegen“. In dem Buch widerlegt sie 25 antifeministische Sätze wie etwa „Viele Frauen wollen doch gar keine Karriere machen“. Ich bin Julia Hägele von herCareer. Beim Authors-Meetup auf der herCAREER-Expo 2023 habe ich mit Alexandra darüber gesprochen, ob Mütter den Anforderungen, die an sie gestellt werden, überhaupt gerecht werden können und auch darüber, was sie von der Idee einer Vier-Tage-Woche hält.

00:01:32 Julia Hägele: Alexandra, Herzlich willkommen. Schön, dass du da bist. Wenn du nur einen Bullshitsatz aus deinem Buch aussuchen dürftest oder zerlegst, welcher wäre das?

00:01:42 Alexandra Zykunov: Oh, es gibt so viele.

00:01:44 Julia Hägele: Oder lässt sich vielleicht eine Essenz aus diesen 25 Bullshitsätzen herausfiltern?

00:01:49 Alexandra Zykunov: Ich mache es anders. Ich habe mal einen Workshop gehalten in einem großen Unternehmen und da hat die Gleichstellungsbeauftragte eine sehr coole Idee gehabt. Sie hat jeden meiner Bullshitsätze laminiert und ihn an so eine Pinnwand gepinnt. Und dann hat sie den Frauen drei so Post-it-Punkte ausgeteilt und die Frauen sollten abstimmen, welchen dieser Bullshitsätze sie am allermeisten gehört haben. Das fand ich total spannend, auch für mich, weil du schreibst ja dieses Buch und du denkst so klar aus deinen eigenen Erfahrungen und aus Erfahrungen von Leuten, die dir diese Bullshitsätze zuschicken. Aber das zu sehen als so eine minimale Umfrage, Marktforschung, das wurde an drei verschiedenen Standorten gemacht und mit Abstand wurde am meisten angeklickt: „Hast du ein Glück, dass dein Mann dir im Haushalt so viel mithilft.“ Ja, ich seh viele nicken. Dann: „Frauen wollen doch die Verantwortung zu Hause gar nicht abgeben.“ Na, ich möchte ihr gern helfen, aber sie wollen ja nicht. Sie sind quasi mit der Klobürste geboren und wissen nur am besten, wie es geht. Und der, mit dem ich echt so ne Hassliebe habe, ist: „Frauen wollen doch gar keine Karriere machen.“ Dann kommen so diese ganzen kruden biologischen Theorien. Den fehlt das Gen zum Führen, den fehlt das Gen für dieses so Ellenbogen-Mäßige, sich durchzusetzen, laut zu sein. Wo ich mich dann immer frage, warum wird denn überhaupt Führung konnotiert mit Ellenbogen und laut Sein und dominant und Durchboxen? Warum kann Führung nicht auch empathisch sein, Vermeintlich soft-skill-mäßig? Und zu dem Satz habe ich echt so eine Hassliebe deswegen, weil sich wenige Sätze so wunderschön Studie für Studie zerlegen lassen, wie dieser Satz Verstehe.

00:03:26 Julia Hägele: Verstehe. Was bedeutet denn Karriere für dich? Wie würdest du das für dich definieren?

00:03:30 Alexandra Zykunov: Ich kann es vielleicht andersherum sagen. Was mittlerweile wir alle nicht mehr unter Karriere verstehen sollten, sind Dinge wie 80-Stunden-Schichten, überhaupt keine Zeit für Care-Arbeit, für Familie, für Pflege von Angehörigen, für Hobbys, für sein eigenes mentales Dasein, mentale Gesundheit, pompöses Auftreten. Also typische Dinge, die man auch bei typischen Coachings vermittelt bekommt. Als Frau mach große Schritte, mach deine Stimme besonders tief, damit sie besonders männlich und dominant wirkt. Gehe am Ende des Satzes mit der Stimme und der Intonation runter und geh nicht immer hoch. Also solche Dinge gehörten früher, glaube ich, alles zur Karriere. Viel Geld, viel Macht, viel Machtdemonstration. Und die hätte ich gerne nicht wegrationalisiert, aber zumindest ergänzt mit anderen vermeintlichen Soft Skills, die genauso Karriere sein können, ohne laut und groß zu sein, mit großen Schritten und Raum einnehmen und Manspreading.

00:04:35 Julia Hägele: Verstehe. Also es geht nicht darum, männliches Machtgebaren zu imitieren. Es geht darum, einen eigenen Stil zu finden und die vermeintlich weniger wichtigen Soft Skills auch einfach zu leben. Und mit guten Soft Skills fühlt sich das Team wohl. Es kann gute Arbeit geleistet werden.

00:04:50 Alexandra Zykunov: Ja, es sind einfach auch so diese Tipps, die oft Frauen mitgegeben werden in einem System, was vorwiegend für Männer gemacht ist, sich diesem System anzupassen. So als wären die Frauen das Problem und sie müssen repariert werden. Dabei ist das System das Problem und nicht Frauen müssen sich dem System anpassen, sondern das System muss sich ändern, damit mehr Frauen sich darin wohler fühlen und Bock haben auf Karriere und Bock haben auf Karriereleitern und sich dabei aber nicht halb zu Tode rackern, weil es einfach gerade für Frauen quasi gar nicht geht, Karriere zu machen und gleichzeitig Familie. Es funktioniert nicht. Selbst wenn es immer so schön suggeriert wird Du musst dich nur mehr anstrengen. Du brauchst eine Zeitmanagement App, du brauchst eine Nanny und du brauchst irgendwie Oma. Wo du denkst: Nein.Warum ist es nicht möglich, Karriere zu machen ohne all diese Dinge? Zumal sich ganz viele Frauen das ja auch gar nicht leisten können, ne Nanny Und dann haben die vielleicht gar keinen Partner und dann haben die keine Oma und dann ist es für sie so, ja, was dann? Pech gehabt. Es muss ja auch möglich sein für viele Frauen, ohne diese Privilegien Karriere zu machen. Und deswegen ist es für mich immer so dieses Credo: Hört auf, die Frauen zu reparieren, Sie sind nicht kaputt, das System ist es.

00:05:54 Julia Hägele: In deinem Buch geht es sehr viel um Elternschaft. Welche Erwartungen werden an Mütter gestellt? Können Frauen diesen überhaupt gerecht werden?

00:06:02 Alexandra Zykunov: Sie können es nicht, Es ist unmöglich. Also wir leben tatsächlich immer noch in einer Welt, die einerseits Frauen suggeriert: Ihr könnt es schaffen, wenn ihr es nur wollt, wenn ihr euch nur hart genug anstrengt. Aber wir leben in einer Welt, die im Grunde von Frauen erwartet, Karriere zu machen, als hätten sie keine Kinder und gleichzeitig von ihnen erwartet, Kinder zu haben, als hätten sie keine Karriere. Und das funktioniert ja nicht. Also dann brauchst du entweder zwei Frauen, was nicht geht, weil ich kann mich nicht klonen. Oder du bist halt diese eine Frau, aber du wirst zwangsläufig irgendwann im Burn-out landen, in der Klinik landen. Es funktioniert nicht. Und für die, die sagen, das stimmt aber nicht, ich habe Kinder und ich bin sogar alleinerziehend und ich habe es trotzdem geschafft, denke ich mir: Ja, kann sehr gut sein. Chapeau! Aber nur weil du es geschafft hast, heißt das ja nicht, dass quasi die anderen gefühlt 30 Millionen Frauen, die es nicht schaffen, dadurch wegradiert werden oder sie nur zu doof sind und es nicht hinkriegen. Sondern es heißt, du bist eine Ausnahme. Wenn man sich die Statistiken anguckt: Es ist nicht möglich, aktuell im aktuellen System Vereinbarkeit wirklich so zu leben, wie es dargestellt wird, dass theoretisch Vereinbarkeit bei uns in Deutschland funktioniert. Das fängt ja nicht nur im Privaten an, sondern es sind ja auch Dinge wie: Uns fehlen 370.000 Kitaplätze, uns fehlen bis 2030 230.000 Erzieherinnen und gleichzeitig gehen mehr als 60 Prozent  aller Väter immer noch überhaupt nicht in Elternzeit. Und die, die gehen davon, nehmen drei Viertel nur die obligatorischen zwei Monate. Das ist so: Wo parke ich meine Kinder?

00:07:29 Julia Hägele: Das heißt, für die Vereinbarkeit braucht es gute öffentliche Strukturen. Es braucht eine gute Arbeitskultur auf der Unternehmensseite. Es braucht aber auch und darauf zielt meine Frage ab im Privaten eine gute Absprache. Dein Partner ist Lehrer, du bist Journalistin, ihr habt zwei Kinder. Sprecht ihr darüber, wie ihr bezahlte und unbezahlte Arbeit aufteilt? Wie ist das.

00:07:49 Alexandra Zykunov: Wir sprechen sehr viel darüber. Wir streiten und reiben uns da auch viel. Also das kriege ich bei Lesungen immer wieder zu hören. Alexandra, Hat dein Partner eigentlich dein Buch gelesen? Und dann sage ich immer Nein. Und dann geht immer so ein Raunen durch die Reihen Was? Oh! Und dann sage ich: Er sagt immer, ich muss das Buch nicht lesen. Ich lebe mit dem Buch zusammen und das stimmt halt auch. Also wir haben auch Reibereien. Wirklich, weil irgendwann, wenn man dann so anfängt, sich mit diesen Zahlen zu beschäftigen, manchmal wünschte ich auch so, ich könnte das alles wieder aus meinem Hirn ausradieren, weil das ist dann so, du siehst dann sozusagen dieser ganzen Ungleichbehandlung wirklich buchstäblich überall. Du hörst sie plötzlich in den Hörspielen deiner Kinder, du siehst sie in der Werbung, du siehst sie in den Katalogen. Ich saß heute im Flieger, böserweise muss ich sagen, hierher und gucke mir, weil ich so latent Flugangst hab, gucke mir diese Safety blabla mit der Maske. Und wenn Ihr Kind und dieses wenn der Druck droppen sollte, setzen Sie erst für sich die Maske auf und dann für das Kind. Und das wird dargestellt mit so kleinen Figürchen. Und dann ist da natürlich die Mutter mit dem Kind auf dem Schoss und nicht ein Papa mit dem Kind auf dem Schoß. Und das ist mir heute zum ersten Mal aufgefallen. Und das sind immer so diese Dinge, diese Wut. Zu wem gehört das Kind? Natürlich zur Mutter. Das heißt, wenn der Druck droppt, wer setzt dem Kind die Maske auf? Natürlich die Mutter also. Und du siehst das halt überall. Und ich streite mich dann manchmal auch oft mit ihm. Und er ist dann manchmal so, dass er sagt: So, Alex, können wir jetzt einfach diesen Film zu Ende gucken? Ich weiß, die Anwältin ist übersexualisiert, hat einen Ausschnitt bis da. So sieht keine Frau aus. Mit ihren Stöckelschuhen könnte die niemals einen Verbrecher jagen. Aber können wir jetzt einfach diesen Film gucken? Ich sage dann: Ja, okay, ich sag schon nichts mehr. Und dann gucken wir dann so und zehn Minuten später sagt er: Oh Gott, das ist so unerträglich, ich muss das ausschalten. Und ich sag dann auch so: Siehst du, du kannst es auch nicht mehr. Also wir reiben uns viel und klar reden wir auch viel darüber. Wenn Kinder krank werden, haben wir genau dieselben Streitigkeiten. Es ist genau dasselbe. Ich war gestern schon zu Hause. Jetzt bist du dran. Ja, aber ich habe den Termin. Ja, aber ich habe auch einen Termin. Das heißt, wir haben genau dieselben Reibereien in Bezug auf wessen Termin ist jetzt wichtiger? Und ganz, ganz eklig wird es dann, wenn eben der Gender-Pay-Gap kickt, und er kickt nun mal bei uns allen. Dann schwingt leider bei ganz, ganz vielen Paaren das Problem mit, dass er sagt: Ja, aber ich verdiene halt mehr. Und wenn ich jetzt zu Hause bleibe? Dann kann ich vielleicht als Selbständiger gar kein Kinderkrankengeld beantragen. Oder wenn ich zu Hause bleibe und ich beantrage das Kinderkrankengeld, dann haben wir mehr Einbußen, als wenn du das beantragt, weil ich verdiene ja mehr, das heißt, ich verliere dann auch mehr. Und dann sagt sie im Zweifelsfall, ja okay, dann bleib ich halt. Und dann bleibt sie das zweite Mal, dann bleibt sie das dritte Mal, und dann kann sie mit dem fiebernden Kind im Zweifelsfall schon besser umgehen und hat es schon besser drauf. Und dann kommen so Dinge wie, dass er dann im Zweifelsfall sagt, ohne es böse zu meinen: Ja, aber du kannst das so viel besser. Bei dir lässt er sich viel schneller beruhigen. Wie mache ich das mit dem Fieberzäpfchen und so, und dann rutscht man einfach so rein in diese Rollen. Und auch wir hatten solche Streitigkeiten und auch wir sind reingerutscht, wo ich im Nachhinein denke so, okay, das darf ich jetzt niemandem erzählen, dass wir das so geregelt haben, weil das ist dann wirklich total unglaubwürdig. Spoiler: Bei beiden Elternzeiten habe ich die obligatorischen zwölf Monate gemacht und er nur zwei.

00:11:12 Julia Hägele: Ist ja auch okay, solange man darüber spricht und sich irgendwie einig ist. Aber ich habe auch den Eindruck, dass diese Diskussion – Frauen verdienen einfach immer noch weniger als Männer im Schnitt – wenn dieses Argument auf den Tisch kommt, dass das schon sehr schlagend ist und dass die Diskussion, ob der Mann zu Hause bleibt, obwohl er mehr verdient, eine sehr privilegierte natürlich ist, wenn Geld im Spiel ist. Michelle Obama hat mal gesagt: You can have it all, but not at the same time. Also Frauen können alles haben, Karriere, Kinder, was auch immer. Aber eben nicht alles gleichzeitig.

00:11:42 Alexandra Zykunov: Das gilt aber nur für Frauen. Männer können komischerweise alles gleichzeitig haben und dann wird es schon wieder unfair, weil ich mir denke, okay, Michelle Obama hat recht. Aber warum gilt das schon wieder nur für Frauen? Weil dann ziehen sie ja wieder den Kürzeren. Dann müssen sie ja schon wieder entscheiden und abwägen. Und im Zweifelsfall haben sie erst die Kinder und dann die Karriere. Wobei ich das auch anzweifle, weil meistens sind ja die Kinder der Karriereknick und es ist ja nicht so, dass man ein Kind kriegt und dann kann man Haken dran machen. Dann legt man los mit der Karriere, weil das Kind ist ja das, was dann ausbremst, weil es krank wird, weil du dann in Teilzeit gehst, weil die Betreuung fehlt. Das heißt, ich glaube, in Amerika ist es anders in Bezug auf Frauen in Führungsrollen, die sind da schon weiter als wir. Gleichzeitig haben die zum Beispiel gar keine Elternzeit und gar keinen Mutterschutz. Auch völlig absurd. Also die haben andere Probleme, sind woanders weiter und woanders nicht. Aber dann ist es so fies. Angenommen, die Frau hat es wirklich geschafft, trotz Kita und trotz Care-Problemen danach, Karriere zu machen. Aber viel später. Und dann hat der Mann im Zweifelsfall schon so weit vorgelegt und ist schon viel früher aufgestiegen, hat schon viel früher mehr verdient und dann wird er im Zweifelsfall, statistisch sehen wir es ja auch, danach nicht zurücktreten. Das heißt, im Zweifelsfall wird er sagen: Ja, aber ich reduziere doch jetzt nicht. Jetzt sieh zu, wie du das machst. Also es klingt so fies, aber die allermeisten Paare, wenn derjenige, der früher angefangen hat, mehr Geld zu verdienen und sich alle dann daran gewöhnt haben, ist es sehr, sehr schwer, von diesem Weg wieder abzukommen und dann zu sagen: Okay, krass, ich hatte jetzt meine Karriere und ich verdiene viel, Aber jetzt bist du mal dran und jetzt machen wir das. Obwohl die Schwiegermama sagt: Wie könnt ihr nur? Obwohl die Kita-Leitung sagt: Oh, also als ich Kinder hatte, hätte ich mich das nicht getraut. Das ist ja auch noch so ein Problem. Wenn du dich dazu entscheidest, kriegst du ja so viel Gegenwind. Nicht nur von deinen Chefs, Chefinnen, sondern auch Umgebung, Freunde, Eltern, Kita-Muttis und Kita-Daddys und so. Ja, Michelle Obama mag recht haben, aber es ist für Frauen schon wieder unfair, weil sie müssen dann auswählen und sie sind später dran und Männer können komischerweise alles gleichzeitig haben. Also, das klingt immer so wahnsinnig zeigefingerisch, hochhaltemäßig. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein sehr, sehr großer Teil von Frauen, Müttern, auch aufgeklärten Frauen, vermeintlich feministischen Frauen, die denken, sie leben in gleichberechtigten, emanzipierten Beziehungen, dass sie von diesen ganzen Zusammenhängen immer noch unfassbar wenig wissen und dass sie noch unfassbar wenig wissen, wie das strukturell bedingt ist und wie wirklich alles mit allem zusammenhängt. Also wie sie denken, sie haben sich freiwillig dazu entschieden, zwölf Monate zu gehen und der Mann nur zwei, wie Sie denken. Sie haben sich freiwillig dazu entschieden, Teilzeit zu nehmen und der Mann Vollzeit, weil warum auch immer. Und je mehr ich mich mit diesen Themen beschäftigt hab, desto wütender wurde ich. Und ich werde es immer wieder. Ich kann das dann so, dass ich irgendwann angefangen hab, so einen schwarzen Humor zu entwickeln und einfach nur so hysterisch – auch so ein unsägliches Wort übrigens – zu lachen, weil ich denke, sonst müsste ich halt schreien und irgendwie auf Matratzen einprügeln und hätte einfach sehr großen Kissenverschleiß. Aber ich nehme so diese Wut, die ich habe. Tatsächlich unterhalte mich dann ganz viel mit irgendwelchen Kitamüttern, mit Freundinnen. Ich thematisiere das auf Social Media, aber ich mache das nicht so missionarisch. So: Wusstest du eigentlich? Sondern ich frag dann so im Kleinen, so ja und wie macht ihr das so mit der Aufteilung? Oder wenn so ein Elternabend ansteht. Ich habe jetzt beide Kinder in der Grundschule. So ja, und wer geht bei euch zum Elternabend hin? Das macht der Mann, weil er sagt ne, ne, das macht er, weil er sagt, ich kriege das mit den Kindern-ins-Bett-Bringen halt so viel besser hin. Und dann bohre ich so ein bisschen, so durch die Hintertür, so ein bisschen nach. Ach, bringt er die sonst nie ins Bett? Ach, ist ja krass, und wie macht ihr das? Und dann kommt mal so ein Austausch. Aber auch nicht immer. Also diese Frage kriege ich auch oft. Gehst du wirklich auf jeder Kita und auf jedem Spielplatz in den Kampfmodus? Und dann sage ich: Nein, natürlich nicht, weil ich hab immer noch Bock auf einen funktionierenden Freundeskreis. Ich habe immer noch Bock, mit meinem Partner ne Weile zusammen zu sein und auf die meisten Familienfeiern immer noch eingeladen zu werden. Aber das mach ich. Ich nehme diese Wut und erzähle freundlich, weil auch das: Unsere Gesellschaft erträgt wütende Frauen nur dann, wenn sie dabei immer noch sympathisch sind und lustig und hübsch aussehen, weil wenn sie wütend sind, dann haben sie ja sofort immer Haare auf den Zähnen und sind unsympathisch. Das heißt, ich trage meine Wut in freundlich und nett in die Welt hinaus und gehe ins Gespräch mit anderen Frauen.

00:16:27 Julia Hägele: Schaffst du es, Me-Time zu haben? Schafft ihr es, Couple-Time zu haben? Habt Ihr irgend so eine Art von Abmachung? Habt Ihr das institutionalisiert, um nicht crazy zu werden?

00:16:37 Alexandra Zykunov: Ja, es ist beides verbunden mit Privilegien. Wir hatten, als unsere Kinder noch kleiner waren. Mittlerweile sind sie sechs und zehn und gefühlt. So wir merken, wir brauchen die Babysitterin jetzt viel, viel seltener. Oder wenn sie mal echt drei, vier Monate nicht kann, merken wir, dass wir nicht auf dem Zahnfleisch gehen, was vor so zwei, drei Jahren noch ganz anders gewesen wäre. Als unsere Kinder noch kleiner waren. Hatten wir ein Deal, hatte ich einen Deal auserkoren, weil ich sowohl mit dem ersten Kind als auch mit beiden Kindern war ich immer so alle sechs, sieben, acht Wochen mit beiden Kindern bei meinen Eltern. Ich wohne in Hamburg, meine Eltern wohnen in Berlin. Das war relativ einfach. Und bei meinem Freund, seine Mama, a) ist sie alleine. Da gibt es keinen Partner dazu und b) wohnt sie auch weiter weg. Da muss man eher hin reisen und es hat sich irgendwie wie so oft, per Zufall, es ist ganz oft typisch, hat sich das ergeben, dass ich mit den Kindern öfter weg war bei meinen Eltern als mein Partner mit den Kindern bei seiner Mutter. Das hatte auch viel am Anfang mit dem Stillen zu tun, weil wir das mit der Flasche nie hinbekommen haben. Und ich weiß, es gab irgendwann diesen Moment, da war meine Tochter eins. Ich bin dann wegen des Abstillen, da war ich ein Wochenende weg, weil ich gesagt habe, das funktioniert nicht, ich muss jetzt einfach wegfahren, dann ist das Kind abgestillt. So, also jetzt natürlich bedürfnisorientiert und so, das ist ja klar. Aber so in der Nacht. Ich wollte wegfahren, damit das irgendwie mal klappt, damit er das mit ihr macht. Und ich weiß noch, das war der Oberhammer. Ich saß einfach alleine mit meiner Freundin auf der Terrasse und war so: Und das hatte mein Freund das letzte Jahr alle sechs bis acht Wochen und ich nicht? So, und dann bin ich nach Hause gefahren und meinte so: Wir machen jetzt einen Deal. So wie ich jetzt alle zwei Monate mit den Kindern immer zu meinen Eltern fahre, das machen wir jetzt im Wechsel. Du und ich, wir nehmen alle zwei Monate jeweils die Kinder und fahren zu unserer jeweiligen Mutter oder zu unseren Eltern. Und ja, das setzt voraus, dafür muss man überhaupt noch Eltern haben. Das setzt voraus, dass man sich mit ihnen einigermaßen versteht. Das setzt voraus, dass sie einigermaßen noch gesund und fit sind. Aber selbst wenn seine Mutter mal nicht kann, machen wir das dann so, dass ich zum Beispiel wegfahre. Er bleibt mit den Kindern zu Hause. Ich fahr zu meiner besten Freundin nach Berlin oder ich bleibe mit den Kindern zu Hause. Er fährt zu seinem Kumpel nach sonstwohin. Also wir haben es wirklich und das setzt Privilegien voraus, weil du musst auch Geld haben um diese Fahrerei zu haben, und du musst auch irgendwie einen Partner auf Augenhöhe haben, der das auch mitmacht. Aber wenn man das alles hat, das haben wir etabliert, richtig fest in unseren Kalendern und richtig so: Wenn ich merkte, Zahnfleisch Zahnfleisch, guckte ich in den Kalender und merkte so: Ah ja, Es ist aber auch schon drei Monate her, dass ich mein Wochenende für mich hatte und dann war es richtig so! Wann fährst du zu deiner Mutter? Kannst du sie mal bitte anrufen? Jetzt oder kann ich mal? Ich rufe meine Freundin an, ich fahre nach Berlin ins Wochenende. Also das. Das haben wir etabliert. Für uns selbst. Und das hat super funktioniert. Das Traurige ist, dass ich reihenweise Mails und Nachrichten kriege von Frauen, die sagen: Boah, so voll die gute Idee! Und ich denke mir so, das kann doch nicht sein, dass das irgendwie so eine Innovation ist, so ein Mindblow, wie geht das? Und das liegt aber daran, dass wir einfach in dieser Welt leben, wo es einfach einer Mutter nicht erlaubt ist. Du hast dir das nicht zu gönnen, das hast du dir doch so freiwillig ausgesucht mit den Kindern.

00:19:56 Julia Hägele: Und dann ist man im Yoga-Retreat oder alleine zu Hause und hat dann doch erst mal so ein paar Gedanken wie: Ist es okay, darf ich das? Die Verfliegen dann auch schnell genug, aber die sind schon erst mal kurz da.

00:20:08 Alexandra Zykunov: Die sind da. Aber ich habe sie sehr, sehr früh gelernt zu eliminieren, weil ich dann sehr oft wusste und verstanden habe: Das bin nicht ich, das sind nicht meine Gedanken. Das ist kein schlechtes Gewissen, sondern das ist das Patriarchat, was klopft und sagt: Bist du sicher? Willst du nicht? Vielleicht kann er das nicht so gut. Das ist das Patriarchat, was uns das einredet. Wir müssen für die Kinder da sein. Was bist du für eine Mutter, wenn du es nicht machst? Das sind typische patriarchale Denkmuster und die müssen wir aufbrechen und verstehen, dass das Patriarchat das gerne hätte. Weil dann klebe ich an meinen Kindern und dann fühle ich mich auch schlecht, wenn ich alleine in Urlaub war, dann fühle ich mich auch schlecht, wenn ich dann Geld verdienen will, dann fühle ich mich auch schlecht, wenn ich mal auf Dienstreise gehen will. Das ist ja dann so eine never-ending story. Und da zu sagen: Nein, ich fühle mich nicht schlecht! Der Partner ist da, er kümmert sich genauso gut, bestenfalls, wenn es irgendwie eine Beziehung auf Augenhöhe ist. Und ich muss mir keine Sorgen machen.

00:21:04 Julia Hägele: Findest du, Alexandra, dass die Frauen und Familienthemen sich im politischen Diskurs ausreichend wiederspiegeln? Was könnte helfen?

00:21:13 Alexandra Zykunov: Puh, wo fangen wir an? Öffentlicher Diskurs heißt ja auch Medien, heißt auch Politik, heißt auch Forschung. Und dann haben wir aber einen Zustand, dass: Forschung – 75 Prozent aller Professor:innen sind Männer. Das heißt, größtenteils tangiert sie das Thema Kinder und Familie nicht. Medien: 87 Prozent aller lokalen Chefredakteur:innen in Deutschland sind Männer. Tangiert sie also nicht. Haben Sie nicht groß auf den Themenlisten, um groß darüber zu schreiben. Politik: Zwei Drittel aller Bundestagsabgeordneten in Deutschland sind Männer, tangiert sie also nicht. Sie haben meistens eine Frau zu Hause, die sich um Haus und Kind gekümmert hat. Sie sind aufgewachsen in einem Haushalt, in dem wahrscheinlich auch sie groß geworden sind, mit einer Mama, die zu Hause war und sich um Haus und Kind gekümmert hat. Das heißt, wenn wir anfangen müssen zu fragen, warum werden diese Themen nicht genug thematisiert? Warum sind sie nicht quasi zugepflastert den ganzen Zeitungsartikeln, und zwar nicht nur am 8. März, sondern auch täglich? Wir müssen im Grunde überall dort Frauen installieren, wo solche Themen entschieden werden, wo Gesetze formuliert werden, wo wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden an den Entscheidertischen, wo Politik gemacht wird, wo entschieden wird, wo fließen welche Gelder hin – Stichwort Kindergrundsicherung – und wo fließen diese Gelder nicht hin – Stichwort Kindergrundsicherung. Da müsste man überall Frauen installieren, da müsste man die Strukturen ändern, dass sich Frauen dort wohlfühlen, dort zu sein, dass sie überhaupt nach oben kommen und dann Bock haben, dort auch zu bleiben. Weil nur, weil sie nach oben kommen, heißt es ja nicht, dass sie dort bleiben wollen. Weil die Strukturen teilweise so hasserfüllt sind, möchte ich fast schon sagen. Dass Frauen, wir sehen das an den Statistiken, die es schaffen, in die Chef:innen-Etagen zu kommen, kündigen statistisch gesehen viel, viel schneller als Männer es tun. Sie verlassen diese Machtposition also viel, viel schneller. Wo man dann auch fragen müsste: Woran liegt das? Und nein, es liegt nicht daran, dass Frauen biologisch gesehen keine Karrieren machen wollen. Das heißt, um auf deine Frage zu kommen Warum wird das im öffentlichen Diskurs noch zu wenig abgebildet? Das liegt genau in diesen Strukturen. Weil der öffentliche Diskurs immer noch bestimmt wird vorwiegend von Männern und dieser Diskurs gemacht wird, vorwiegend von Männern für Männer. Und diese Themen, so hart das klingt, so klischeehaft und 60er-Jahre-mäßig das klingt. Aber Themen wie Familie und Kinder und Care-Arbeit kommen immer noch in den allermeisten männlichen Lebenswelten, die an den Entscheidertischen sitzen – und das sind mittelalte, weiße Männer – sie kommen dort nicht vor, immer noch, weil wir kommen zurück zu: Mehr als 50 Prozent aller Männer nehmen überhaupt gar keine Elternzeit und von denen, die nehmen, nehmen drei Viertel nur die obligatorischen zwei Monate. Folglich finden Themen wie Kinder und Wochenbett und Ausgebremst-Sein durch Elternzeit bei ihnen viel, viel weniger statt. Also haben sie es viel, viel weniger auf ihre Agenda. Also forcieren sie diese Themen viel, viel weniger.

00:24:08 Julia Hägele: Inwieweit bräuchte es dann eine neue Definition von Arbeit selbst?

00:24:13 Alexandra Zykunov: Ich würde es mal anders beantworten. Nicht Arbeit neu definieren, aber unsere Vollzeit neu definieren. Ich zitiere da immer sehr gerne das Buch von Teresa Bücker, „Alle Zeit“, das einem wirklich einfach einen Mindblow nach dem anderen gibt. Ich wusste zum Beispiel nicht, das Konstrukt des Acht-Stunden-Arbeitstages ist mehr als 100 Jahre alt. Das heißt, das Konstrukt, dass wir alle theoretisch acht Stunden arbeiten gehen, kommt aus einer Zeit, aus der Frauen gar nicht arbeiten gehen durften. Das heißt, der Acht-Stunden-Tag ist konzipiert für eine Familie, wo einer der Ernährer ist. Er geht acht Stunden arbeiten und die andere, meist die Frau, arbeitet auch acht Stunden, meistens mehr nur unbezahlt zu Hause. Das per se ist ja schon hochgradig unfair. Aber das Absurde ist, dass wir diesen Acht-Stunden-Tag immer noch so leben und auf heute projizieren. Und davon ausgehend, dass jetzt aber nicht nur der Mann acht Stunden arbeiten geht, sondern auch die Frau bestenfalls acht Stunden arbeiten gehen sollte. Aber trotzdem sollen irgendwie noch Kinder produziert werden und auf sie aufgepasst werden. Und trotzdem soll noch das Haus geputzt werden und das Essen gemacht. Und trotzdem sollte man mit dem Hund zur Hundeschule fahren und wissen, welche Kitafeste anstehen und welcher Kuchen gebacken werden muss und wann die Schwiegermutter Geburtstag hat und wie man das Geschenk einpackt für Weihnachten und so weiter. Das funktioniert nicht, weil entweder sagen wir: Der Tag hat nicht mehr 24 Stunden, sondern 48 Stunden, aber das hat er ja nicht. Oder wir müssen eigentlich dieser Logik folgen und sagen: Okay, wenn es früher einen Acht-Stunden-Tag gab und einer ging arbeiten und jetzt gehen beide arbeiten müsste eigentlich die logische Folge sein, dann gehen doch jetzt beide arbeiten, aber dann jeweils nur vier Stunden und die anderen vier Stunden sind sie dann zu Hause und kümmern sich um Kinder und kochen das Essen und machen die Schwiegermutter glücklich und gießen die Pflanzen und fahren mit dem Hund zur Hundeschule. Das müsste man eigentlich debattieren, aber das wäre ja im Grunde, es käme ja quasi einem Systemsturz gleich. Und dann springen halt die ganzen Christians und Horsts und Günthers auf die Barrikaden und sagen, ja, aber wir haben ja jetzt schon Fachkräftemangel. Und wie soll denn das gehen und und die Rezession und so. Und das ist halt alles tatsächlich kapitalistischer Bullshit. Weil wir wissen aus Statistiken, dass sehr, sehr viele Menschen zum Beispiel in der Pflege fehlen oder Erzieherinnen fehlen, die würden zurückkommen, wenn sie wüssten, sie könnten ihre Stunden reduzieren, bei weiterhin gleichem Gehalt. Sie würden zurückkommen. Das heißt, würden wir unseren acht Stunden Arbeitstag reduzieren, bedeutet das nicht, dass wir weniger Fachkräfte hätten, sondern wahrscheinlich hätten wir sogar mehr. Dann kommt aber ganz oft: Ja, wer soll denn das bezahlen? Die Leute arbeiten weniger, aber kriegen weiterhin ihr volles Gehalt. Auch dazu gibt es mittlerweile Modelle. Man geht zum Beispiel davon aus, dass die Krankschreibungen von aktuell völlig überarbeiteten Millionen von Menschen in Burn-out-nahen Situationen, dass die Ausgaben der Krankenkassen für diese Menschen, die ausfallen, europaweit höher sind als das, was die EU jedes Jahr an Bruttoinlandsproduktwachstum einnimmt. Das heißt, das, was wir EU-weit am Bruttoinlandsprodukt europaweit einnehmen, ist geringer als das, was wir ausgeben. An anderer Seite, weil Menschen krank sind durch die Überarbeitung. Das heißt, würden wir die Arbeitszeit reduzieren, hätten wir weniger Krankschreibung. Wir sehen es ja auch an Ländern wie Großbritannien zum Beispiel. Hätten wir weniger Krankschreibungen, hätten wir mehr Leute, die nicht ausfallen, sondern arbeiten und hätten gleichzeitig Gelder, weil wir nicht mehr diese ganzen Burn-out-Menschen finanzieren müssen und könnten damit sagen: Geh doch bitte nicht in die Burn-out-Klinik, da muss ich für dich bezahlen, sondern arbeite weniger, bleib in deinem Job und dann bezahle ich das, was ich für die Burn-out-Klinik für dich öffentlich gezahlt hätte, dir lieber weiterhin bei vollem Gehalt. Aber du arbeitest weniger.

00:28:01 Julia Hägele: Aber wäre die vier Tage Woche dann etwas, was du unterschreiben würdest?

00:28:04 Alexandra Zykunov: Zum Beispiel. Ehrlicherweise fast die Drei-Tage-Woche. Aber ich meine, es ist noch nicht mal so utopisch. Die IG Metall will das ja jetzt erstmalig verhandeln, dass sie sagen, wir brauchen eine 32-Stunden-Woche bei weiterhin vollem Gehalt. Und ich finde das revolutionär und mega mega gut. Klar springen dann die ganzen Arbeitgeber:innen schon im Kreis und sagen: Wer soll denn das bezahlen? Aber ich hoffe sehr, dass sie das durchkriegen. Das wäre revolutionär.

00:28:31 Julia Hägele: Ich habe so das Gefühl, dass das Thema Care-Arbeit, also unbezahlte Arbeit, schon langsam in den Köpfen angekommen ist der Leute, dass Frauen das nicht aus aufopfernder Liebe machen, sondern dass es hier einfach was zu tun gibt. Bei emotionaler Arbeit bin ich mir da nicht so sicher. Wie siehst du das?

00:28:52 Alexandra Zykunov: Wahrscheinlich müssen wir erst mal sagen, was diese emotionale Arbeit ist. Bzw. je nachdem, wer das wie definiert. Also es gibt diesen Begriff emotional labour, also emotionale Arbeit, die ich zumindest in den Büchern, die ich gelesen habe, immer als Teil von Care-Arbeit definiert sehe, nämlich dass Frauen sich nicht nur kümmern, vorwiegend Frauen, sich nicht nur kümmern um die Kinder und das Aufräumen, das Kochen und das Putzen und das Planen. Und wer welche Geschenke kriegt und wann welcher Kinderchor ist und wer hat eine Allergie und welcher Kindergeburtstag und so, sondern auch die emotionale Arbeit, sprich dass sich alle zu Hause wohlfühlen, dass es gemütlich ist, dass ich Kerzen aufstelle, wenn Weihnachten ist, dass ich die Kissen passend zu der Couch kaufe, damit, wenn der Mann von seiner Arbeit nach Hause kommt, nach seinem schweren Tag im Büro oder in der Fabrik sich ausruhen kann und quasi sich regenerieren kann, damit er am nächsten Tag wieder losgeht und seine kapitalistischen Güter produziert. Also auch so dieses Sich-Kümmern, dass es allen gut geht, dass sich niemand verletzt fühlt. Streit schlichten. Einfach so für diese positive Stimmung sorgen. Diese emotionale Arbeit liegt auch meistens bei den Frauen, übrigens auch im Jobkontext. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass weibliche Managerinnen doppelt so viel ihrer Zeit als männliche Manager dafür aufopfern, für diese emotionale Arbeit im Job also nachzufragen: Geht es allen gut? Gibt es irgendwelche Probleme? Brauchen wir ne Retro? Machen wir einen Check-in? Wie geht’s euch? Ach, deine Mama ist krank. Ja. Wollen wir mal reden? Brauchst du da vielleicht irgendwie von der HR Unterstützung? Also, das ist alles richtig. Nur sehen wir auch: Statistiken zeigen, dass im Jobkontext, dass Frauen auch hier doppelt so oft ihrer Zeit dafür verwenden, diese emotionale Arbeit zu leisten, die dann aber auch unbezahlt passiert. Bzw. Schlimmer noch, man sieht, je höher Frauen aufsteigen, man würde denken, desto geringer wird dort das Gender-Pay-Gap, weil man ja Frauen immer sagt: Du musst nur aufsteigen, dann kannst du den Gender-Pay-Gap auslöschen. Nein, nein. Je höher Frauen aufsteigen, desto größer wird der Gap. Da ist er nicht mehr bei 18 Prozent, sondern bei so nahezu 30 oder noch höher. Das heißt, je höher Frauen gehen, desto weniger Geld bekommen sie im Verhältnis zu Männern, aber gleichzeitig desto mehr unbezahlte Mehrarbeit. Im Büro leisten sie ihr Gehalt, und dann weiß man gar nicht mehr vor lauter Zahlen, wo einem der Kopf steht, weil man einfach nur noch gefühlt im Arsch ist als Frau im Jobkontext. Aber ja, diese emotionale Arbeit ist noch unbeleuchteter als Care-Arbeit. Sie läuft noch unsichtbarer ab. Weil das ist ja auch so, wie will man das messen? Also das ist ja auch genauso wie dieser mental load, auch an alles mitzudenken gleichzeitig. Es ist ja ultra schwer, das zu messen und das greifbar zu machen. Deswegen bin ich immer sehr dankbar, dass das mittlerweile auch erforscht wird. Weil wenn etwas erforscht wird, kriegt es ja auch einen Namen und dann weiß man, es ist nicht so, dieses diffuse „Warum habe ich das Gefühl, ich habe heute irgendwie auf der Arbeit nichts gerissen“, sondern es ist so „Ah, ich hab heut auf der Arbeit nichts gerissen, weil ich euch den ganzen Tag irgendwie emotional Labour für meine Mitarbeitenden gemacht habe, die komischerweise aber nicht entlohnt wird“. Also ich liebe das, dass es dafür Begriffe gibt, weil dann kann man es greifen und dann kann man sich darüber aufregen und.

00:32:11 Julia Hägele: Meine letzte Frage wäre: Kinder zu haben ist der reine Wahnsinn, wenn man sich überlegt, wie viel Zeit für einen selbst bleibt, neben der unbezahlten und der bezahlten Arbeit. Was ist trotzdem das Schöne an Kindern?

00:32:22 Alexandra Zykunov: Also ich will fast sagen Kinder kriegen ist ja eigentlich gar nicht so sehr Wahnsinn, weil Kinder zu kriegen ist ja eigentlich gar nicht das Problem. Wir brauchen ja auch Kinder. Nicht nur Fachkräftemangel-technisch und demografischer-Wandel-technisch, sondern einfach zivilisatorisch. Was Kinderkriegen zu einem Wahnsinn macht, sind nicht die Kinder, sondern die Struktur, in die wir diese Kinder rein gebären, also die fehlenden Plätze. Was ich eingangs gesagt habe: Die 370.000 Kitaplätze, die fehlen, die 200.000 Erzieherinnen, die fehlen, die Väter, die nicht in Elternzeit gehen, die Frauen, die diskriminiert werden von ihren Chefs, Chefinnen, weil sie früher Feierabend machen. Auch so schön: Ich geh nicht „Feierabend“ machen. Ich gehe meine zweite Schicht antreten, nämlich meine Arbeitsschicht. Deswegen: Wenn wir das hinkriegen würden, dann wären die Kinder oder sind sie ja auch gar nicht das Problem. Das Problem sind die Strukturen. Und natürlich: Was ist schön am Kinderkriegen? Also das ist ja so, jetzt wandern wir ab in diese Klischees. Das Babylächeln, das macht alles wieder wett. Nein, tut es nicht. Seien wir mal ehrlich. Aber diejenigen, die Kinder kriegen wollen, kriegt Kinder. Diejenigen, die keine Kinder kriegen wollen, kriegt keine Kinder. Und dann wäre es geil, wenn man dafür nicht als „Was bist du für ne komische Frau? Was ist mit der denn nicht in Ordnung?“ abgestempelt wird. Weil auch das ist ja so absurd im Jobkontext. Auch darüber gibt es Untersuchungen. Es werden ja Frauen nicht eingestellt, die Kinder kriegen, weil ohne die ist das ständig krank. Habe ich kein Bock drauf. Es werden aber auch nicht die Frauen eingestellt, die keine Kinder kriegen, weil entweder: Oh, die können bald welche kriegen, die stelle ich nicht ein, oder die hat keine Kinder und will auch keine. Was ist mit der nicht in Ordnung? Die stelle ich lieber auch nicht ein. Also leicht überspitzt. Leider zeigt das aber die Wissenschaft. Und eine Frau schickte mir mal eine Nachricht, die meinte, irgendwann hat sie den Satz gelesen und der ist sehr passend. Eine Frau im Karrierezustand hat nur drei Stadien. Sie ist entweder zu jung, zu fruchtbar oder zu alt. Soll man darüber jetzt weinen oder lachen? Ich entscheide mich dann fürs Lachen, aber fürs wütende Lachen. Und dann nehme ich diese Wut und und kanalisiere sie und geh raus und und will wütend mit anderen Frauen werden und will mich wütend mit denen zusammentun und will mit denen gemeinsam an die Gleichstellungsbeauftragten meines Unternehmens herantreten. Weil alleine die Querulantin zu sein ist immer ätzend. Tut euch zusammen, bildet Netzwerke, formiert Netzwerke, wenn ihr noch keine habt. Und das klingt alles wahnsinnig groß. Ein Netzwerk beginnt ja schon damit, dass man eine kleine WhatsApp-Gruppe startet und sich da dann irgendwann so lange auskotzt, bis dann eine sagt: So, jetzt schreiben wir einen Brief und jetzt setzen wir das auf und jetzt gehen wir damit an die Gleichstellungsbeauftragte. Und die wird bestenfalls euch mit offenen Armen empfangen, weil sie sagt: Jetzt endlich mal ein wütender Mob, mit dem ich hier diese Strukturen aufdröseln kann. Also tut euch mit Frauen zusammen. In 99 Prozent aller Fälle werden sie diese Erfahrung auch gemacht haben und werden dankbar dafür sein, dass da eine Frau ist, die dasselbe erlebt hat, weil sie dann wissen, sie sind nicht alleine.