Die Frage, welche Rolle Glück und Zufall bei der Personalauswahl spielen, ist das Spezialgebiet von Chengwei Liu. Der Glücksforscher ist überzeugt, dass Unternehmen ihre Diversity voranbringen könnten, wenn sie das Prinzip Zufall geschickt für ihre Auswahlprozesse nutzen. Darüber spricht der Professor für Strategie und Verhaltenswissenschaften an der Business School ESMT Berlin am 17. März in einem Online-Vortrag der herCAREER, einer Plattform für die weibliche Karriereentwicklung.

„Glück ist der am meisten unterschätzte Karriere-Faktor“

Bei der Auswahl von Kandidat:innen für das Top-Management konzentrieren sich Unternehmen oft auf die Besten der Besten. „Doch gerade im Top-Management gibt nicht die überragende Kompetenz den Ausschlag. Bedeutsamer ist, dass man einem gewissen Stereotyp entspricht, eine hohe Risikobereitschaft hat oder einfach nur Glück“, meint der Glücksforscher Chengwei Liu. Der Professor für Strategie und Verhaltenswissenschaften an der Business School ESMT Berlin sieht darin eine große Gefahr: Top-Manager:innen bekommen eine Menge Macht, Status, Benefits und Boni. Das stärkt ihr Ego und Selbstvertrauen, obwohl das oft gar nicht gerechtfertigt sei. „Das kann nachhaltige Leistung von Unternehmen verhindern.“

Glück ist laut Chengwei Liu der am meisten unterschätzte Karriere-Faktor. Dabei wächst die Bedeutung, je höher man in der Hierarchieebene aufsteigt. Das erklärt er mit dem „Paradoxon des Könnens“: Wenn es um eine Einstiegsstelle mit wenig Verantwortung geht, bewerben sich viele Personen mit einem breiten Kompetenz-Spektrum. Sie gehen durch ein Assessment-Center und müssen einen gewissen Schwellenwert erreichen. Die „Überlebenden“ dieser Auswahlrunden entsprechen dem, was Unternehmen als Können definiert haben. Durch die einheitliche Bewertungsskala kommt es zu einem Nebeneffekt: Die verbliebenen Bewerber:innen werden sich in ihren Fähigkeiten und auch in ihren Merkmalen in Bezug auf Geschlecht und demografischen Hintergrund immer ähnlicher. Die Unterschiede zwischen ihnen sind winzig. „Wenn jeder in einer bestimmten Sache besser wird, spielt das Glück bei der Auswahl also eine größere Rolle. Top-Manager halten sich für besser als sie eigentlich sind.“

Der Professor für Strategie und Verhaltenswissenschaften rät Unternehmen, die stereotype Aneinanderreihung weniger auffällig zu machen – etwa mit einer CV-Blind-Policy, bei der Arbeitgeber:innen bestimmte Informationen in Bewerbungsunterlagen ausblenden – Merkmale wie Geschlecht, ethnische Herkunft, Alter oder Wohnort. Außerdem gebe es Verhaltenstechniken, die im Vorstellungsgespräch oder im Assessment-Center eingesetzt werden können, um die wirklichen Verdienste zum Vorschein zu bringen. Schweizer Forscher haben in einem Experiment nachgewiesen, dass Führungskräfte weniger wahrscheinlich in eine Art Selbstüberschätzungsfalle tappen, wenn das Los über ihre Auswahl entscheidet. Chengwei Liu meint, dass sich ein solches Vorgehen in der Praxis bisher nicht durchsetzt. Den meisten Personalverantwortlichen sei die Idee „zu wild“. Dennoch ist der Glücksforscher überzeugt: „Die Zufallsauswahl garantiert nicht die beste Lösung, aber sie übertrifft oft Lösungen, die durch Vorurteile beeinträchtigt sind.“

Auch für die persönliche Karrierestrategie spielen die Erkenntnisse des Glücksforschers eine Rolle. Beim Einstieg in den Beruf zählen laut Chengwei Liu vor allem die erforderlichen Kompetenzen, um voranzukommen. In Start-ups sei es wichtiger, Generalist:in zu sein und in verschiedenen Fähigkeiten zu glänzen. In großen Unternehmen müsse man sich stärker spezialisieren. Am Ende gelte es, ein gutes Gleichgewicht zwischen Spezial- und Allgemeinkenntnissen zu entwickeln. Für Spitzenjobs wiederum, für die sich Menschen bewerben, die alle gute Kompetenzen mitbringen, sei vor allem Hartnäckigkeit wichtig. Frauen neigten dazu, nach der ersten Niederlage aufzugeben, während Männer sich davon nicht unterkriegen ließen. „Ich empfehle allen Frauen, sich von Absagen nicht entmutigen zu lassen. Das ist wie beim Lottospielen: Wer weiter Lose kauft, erhöht die Gewinnchancen.“

Am Donnerstag, 17. März von 13 bis 14 Uhr spricht Prof. Chengwei Liu in einem Online-Vortrag über das Thema „Luck or performance?What really matters in a leadership career“ (auf Englisch).

Über die Person

Der in Taiwan ausgebildete Wirtschaftswissenschaftler Chengwei Liu (Ph.D., Cambridge) ist außerordentlicher Professor für Strategie und Verhaltenswissenschaften und Fakultätsleiter des Global Online MBA-Programms an der European School of Management and Technology (ESMT Berlin). Er hatte Forschungs- und Lehraufträge in Cambridge, Oxford, MIT, Wharton, NYU, INSEAD, der National University of Singapore, der Peking University und Warwick und wurde mit mehr als 20 Forschungs- und Lehrpreisen ausgezeichnet. Thinkers50 nennt Chengwei einen führenden Management-Denker und Poets&Quants bezeichnet ihn als „Top 40 under 40 MBA Professor“. Chengweis Buch „Luck: A key idea for business and society“ (Glück: Eine Schlüsselidee für Wirtschaft und Gesellschaft) fasst seine Forschungen darüber zusammen, wie man Glück im Sport, bei Investitionen und in der Wirtschaft quantifizieren und strategisch nutzen kann. Er beschreibt die Auswirkungen auf die Beurteilung von Leistung und sozialer Ungleichheit. Seine aktuelle Forschung konzentriert sich darauf, wie Unternehmen im Zeitalter von Algorithmen mit Vielfalt umgehen sollten und wie man ein „smart Contrarian“ wird.

Im Interview spricht Chengwei Liu über Zufall, Diversity und persönliche Karrierestrategien von Frauen.