Seit drei Jahren leite ich die Transformation der Berendsohn AG. Das Businessmodell bis 2017: ein BtoB Direktvertrieb für Werbeartikel mit fast 1000 Mitarbeitern. Das neue Businessmodell seit 2018: ein hybrider Crosschannelvertrieb für analoge und digitale Produkte. In meinen Vorträgen präsentiere ich offen die drei größten Themen dieser Transformation: 1. ,Deep dive‘ in den wirklichen ,pain‘ der Kunden und das Entwickeln von Lösungen für ihn. 2. Kulturelle Transformation, Vereinbaren von Tradition und Start-up-Geist. 3. Meine persönliche Strategie, auch mit viel Gegenwind, ,gerade in meinem Hemd‘ zu stehen.

„Der Kulturwandel ist bei weitem die größte Herausforderung“

herCAREER: Wie kann digitale Transformation gelingen?

Astrid Schulte: Als ich 2017 bei Berendsohn startete, war das Kerngeschäft der AG, der Direktvertrieb von Werbegeschenken, ein weitestgehend analoges Geschäftsmodell. Die Produkte waren komplett analog, die Prozesse weitestgehend. Ein Beispiel ist der Verkaufsprozess: Die ca. 450 Verkäufer in Europa besuchten die Kunden (kleine und mittelständische Unternehmen) ausschließlich physisch, teilweise mittels vorher ausgemachter Termine, teilweise in Kaltakquise. Sie haben zwar bereits mit dem IPad gearbeitet, Orders wurden aber z.B. noch per Fax oder Post an die Zentrale gesendet.

Wir haben die Strategie dann angepasst und entschieden, zukünftig in einem hybriden Vertrieb (neben dem Direktvertrieb auch online, inside sale) nicht nur Werbegeschenke zu verkaufen, sondern die Geschichte der Sichtbarkeit des Kunden ,weiterzuerzählen’ in Bezug auf digitale Sichtbarkeit. Seitdem gehören z.B. Websites und ,local listing’ zum Sortiment der Berendsohn AG. Damit digitalisieren wir also auch unsere Kunden, was auf sehr positive Resonanz stößt; auch die durch Corvid-19 ausgelöste Situation vieler Unternehmen hat gezeigt, wie wichtig die digitale Schnittstelle zum Kunden ist und wie zentral die digitale Sichtbarkeit.

Die Kernprozesse wurden dann im Laufe der letzten drei Jahre dieser Strategie entsprechend angepasst. Wir sind schon weit gekommen, aber noch nicht am Ende.

Bei Berendsohn steht die Transformation auf drei Pfeilern:

  1. Wir haben das Businessmodell kompromisslos auf die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtet. Wir haben sie analysiert, befragt und herausgefunden, was ihr wirklicher, tiefster ,pain’ in Bezug auf ihre Kundenbeziehungen ist. Wir haben dann unseren Beratungsansatz der Verkäufer und unsere Angebotspalette darauf ausgerichtet.
  2. Wir haben unsere Mission, unsere Vision und unsere Werte definiert. Das war ein schmerzhafter, aber sehr wichtiger Prozess; Bestehendes musste losgelassen werden. In vielen Unternehmen wird das erarbeitet, weil es dazugehört, aber dann verschwindet es irgendwo in Schubladen. Wir zeigen im Büro laufend die Ergebnisse auf einem Screen und bei Entscheidungen gelten sie als Maßstab.
  3. Wir haben die Führungsmannschaft teilweise neu aufgestellt. Beim ,Zusammenschweißen’ dieser Mannschaft (neue vs. langjährige Zugehörigkeit) ist schon eine Menge passiert; trotzdem bleibt das eine Herausforderung.
    Eine Führungskultur, die auf Vertrauen beruht, Raum und Freiheit lässt und die Stärken des Einzelnen aufbaut, anstelle Schwächen beheben zu wollen. Das kam bei vielen gut an, aber teilweise hat dieser ,New Work’-Ansatz auch die Mitarbeiter überfordert. Einen neuen Führungsstil kann ich ja leider nicht einfach verordnen, deshalb lassen wir uns in dem Prozess hin und wieder coachen.

herCAREER: Wie bringt man Tradition und Start-up-Geist zusammen, um einen Kulturwandel in einem Unternehmen zu schaffen?

Astrid Schulte: Das ist tatsächliche die schwierigste Aufgabe. Ein Familienunternehmen (seit 180 Jahren) hat ja viele Stärken: z.B. Stabilität, häufig symbolisiert durch die Familie, die bei Veränderung natürlich ins Wanken gerät. Bei Berendsohn gibt es viele langjährige Mitarbeiter*innen (15-20 Jahre Zugehörigkeit sind keine Ausnahme, sondern die klare Mehrheit), die diese Stabilität schätzten, die Regeln kannten und einhielten und Besitzstände hatten, die ungern aufgegeben wurden. Die nötigen Veränderungen brachten viel ins Wanken. Die Mehrzahl der Mitarbeiter hatte bisher nur bei Berendsohn gearbeitet, der Vergleich mit anderen Unternehmen fehlte. Das hat zunächst viele Mitarbeiter verunsichert. Verkäufer, die 20 Jahre Werbegeschenke verkauft haben, sollten nun plötzlich Websites verkaufen, da war und ist teilweise noch heute eine Menge Schulung und Überzeugungsarbeit nötig. Selbstverantwortung ist beim Kulturwandel in einem Familienunternehmen ein zentraler Punkt. Häufig sind Mitarbeiter es gewöhnt, dass die Führung, oft die Familie, sich schon kümmert und ,alles regelt’. In der sich so stark verändernden Welt muss aber jeder Motor sein und Veränderungen vorantreiben, damit das Unternehmen sich schnell weiterentwickeln kann.

Ich denke, ein wichtiger Teil der Kulturveränderung bei Berendsohn ist, immer wieder klar zu kommunizieren, wo wir hinwollen, was die Strategie dafür ist und warum wir welche Maßnahmen umsetzen. Dadurch haben wir das Vertrauen der meisten Mitarbeiter gewonnen und ihnen Lust gegeben, mitzuwirken und Teil der neuen Bewegung zu sein. Wenn die Idee und das ,why’ die Mitarbeiter vereinen, dann verschwinden oft die kulturellen Differenzen. Das ist teilweise gelungen, aber nicht bei allen Mitarbeitern. Und immer noch merke ich, dass ein Vorleben der neuen Kultur durch die Führungskräfte insbesondere meiner Person von zentraler Wichtigkeit ist. Wenn es mal Niederlagen gibt oder sich einzelne Mitarbeiter unter Druck fühlen, dann ist die Gefahr groß, wieder in alte Muster zurückzufallen.

Nach drei Jahren kann ich sagen, dass der Kulturwandel bei weitem die größte Herausforderung ist. Wir sind auf einem guten Weg und ich bin positiv, dass wir es hinbekommen.

herCAREER: Wie gehen Sie mit dem Gegenwind um, der Ihnen manchmal entgegenschlägt?

Astrid Schulte: Meine Aufgabe ist, das Richtige zu tun fürs Unternehmen, was nicht immer das Populäre ist. Gegenwind ist da vorprogrammiert, einfach abperlen kann der nicht immer.

Ich war früher, bevor ich Kinder bekam, immer  ,schneller, höher, weiter’ orientiert, ohne eine wirkliche Nähe zu mir und meinen Gefühlen zu haben. Beruflicher Erfolg und Verletzbarkeit, bei ,sich zu sein’, schienen sich auszuschließen. Durch viele positive Erfahrungen, insbesondere die Geburt meiner drei Töchter, auch durch schmerzvolle Rückschläge, durch viele Bücher, Seminare und besondere Menschen habe ich gelernt, meine berufliche Karriere durch mentale und emotionale Kraft begleiten zu lassen. Ich habe einen inneren Raum in mir, in den ich mich immer zurückziehen kann. Diesen erhalte ich durch tägliche Meditationen und Routinen, die mir Verbundenheit zu mir selbst geben. Durch diese Kraft nehme ich (meistens) Gegenwind nicht persönlich und kann die große Idee über persönliche Kränkung stellen.

Ich bin überzeugt, dass wirklicher Erfolg und Erfüllung im Business erst kommen können, wenn wir innerliche Stärke haben, danach strebe ich jeden Tag.

herCAREER: Auf der herCAREER geht es vor allem um den fachlichen Austausch, der auf den persönlichen Erfahrungen und dem Wissen der Sparringspartnerinnen aufsetzt. Zu welchen Themen können Sie im Vorfeld / auf der Messe / im Nachgang als Austauschpartnerin fungieren – in Schlagworten?

  • Kulturelle Transformation insb. in Familienunternehmen
  • Digitalisierung des Geschäftsmodells insb. von Familienunternehmen
  • Leadership: sich selbst führen, bevor wir andere Menschen führen
  • Warum Unternehmen eine Mission und eine Vision brauchen
  • Warum und wie Diversity in der Führung ein Unternehmen stark macht
  • Warum wir Frauen auf unserem Karriereweg unterstützt werden sollten

herCAREER: Gibt es Themen, zu denen Sie persönlich eine/n Sparringspartner/in suchen und einen fachlichen wie persönlichen Austausch weiterführen möchten? Dann benennen Sie uns Schlagworte für ihre Themen.

  • Kulturelle Transformation insb. in Familienunternehmen
  • Digitalisierung des Geschäftsmodells insb. von Familienunternehmen
  • Leadership: sich selbst führen, bevor wir andere Menschen führen
  • Warum Unternehmen eine Mission und eine Vision brauchen
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  • Warum wir Frauen auf unserem Karriereweg unterstützt werden sollten

herCAREER: Wie können oder möchten Sie kontaktiert werden?

Über die Person

Unternehmerin: bellybutton Gmbh, Berendsohn AG, Geschäftsführerin/Vorstand: Loyalty Partner GmbH (payback), Richemont Nordeuropa GmbH (Cartier), Kids Brands House N.V., Beraterin: Roland Berger & Partner, Marketing/Brand Manager: Kraft Foods Group, Piaget, Baume & Mercier, Beirätin/Verwaltungsrätin: Ludwig Görtz GmbH, Manres Zürich, Speaker: YPO, EO u.a.

Dieses MeetUp ist Teil der Karriere-MeetUps bei der herCAREER 2021.