Die veränderten Rahmenbedingungen in der Corona-Pandemie haben die Arbeitsweisen grundlegend verändert. Die meisten Unternehmen gehen für die Zukunft von einer hybriden Arbeitswelt aus, eine Rückkehr zur früheren Normalität wird es nicht geben. Die zeit- und ortsunabhängige Zusammenarbeit bringt nicht nur Flexibilität, sondern auch unerwartete Anforderungen mit sich und stellt selbst erfahrene Führungskräfte vor Herausforderungen. Im Karriere-MeetUp geht es darum, Erfolgsfaktoren hybrider Führung kennenzulernen und sich über erprobten Modellen aus der Praxis auszutauschen.

„Die Mischung aus Präsenz und Virtualität führt zu veränderten Anforderungen an die tägliche Führungsarbeit.“

herCAREER: Worin bestehen für Dich die Vor- und Nachteile einer hybriden Arbeitswelt? Warum werden die meisten Unternehmen auch in Zukunft daran festhalten?

Dr. Viktoria Leonhard: Das Arbeiten im Homeoffice ist während der Coronapandemie für viele Unternehmen ein essenzieller Teil der Krisenstrategie geworden. Aber auch langfristig werden virtuelle Arbeitsformen nicht nur bestehen bleiben, sondern an Bedeutung gewinnen. In Zukunft streben die meisten Unternehmen ein Hybridmodell an. Sie wollen die Vorzüge des Büros und die des mobilen Arbeitens bestmöglich miteinander verbinden und stellen sich darauf ein, dass eine Mischung aus vor Ort- und Homeoffice-Arbeit die Zukunft sein wird.

Eine hybride Arbeitswelt bringt bedeutende Vor- und Nachteile mit sich, auf die ich im Folgenden eingehen möchte. Zuerst möchte ich gerne mit den positiven Aspekten beginnen.

Die Option, einen Teil der Arbeitszeit von der Ferne aus zu erledigen, wirkt positiv auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben der Mitarbeitenden. Außerdem können individuelle und lebensphasenbezogene Bedürfnisse besser berücksichtigt werden als im klassischen Setting.

Ein weiterer positiver Effekt der hybriden Arbeitswelt besteht in der Einsparung von Pendelzeiten, die sich nicht nur in einer geringeren zeitlichen Belastung für die Mitarbeitenden, sondern auch positiv auf die Klimabilanz auswirkt. Ergänzend wurde der Umfang an Geschäfts- und Dienstreisen spürbar reduziert gegenüber dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Diese Verringerung des Reisevolumens ist nicht nur umweltschonend, sondern spart auch viel Zeit und Geld für die Mitarbeitenden und Organisationen.

Eine Studie des Fraunhofer-Instituts belegt, dass sich die Innovationsleistung in der Pandemie gegenüber dem letzten vorpandemischen Jahr maßgeblich erhöht hat. Virtuelle und hybride Formate erleichtern zudem niederschwellige Formen von Weiterbildungen oder die Partizipation zum Beispiel an Innovations-Communitys, die neue Schnittstellen und Inspiration bieten können.

Eine hybride Arbeitswelt bringt aber nicht nur Vorteile, sondern auch einige Nachteile mit sich, auf die ich nun eingehen möchte.

Eine der zentralen Herausforderungen besteht darin, dass der direkte und persönliche Kontakt zwischen der Führungskraft und den Mitarbeitenden und im Team reduziert wird. Dieser begrenzte persönliche Kontakt verhindert die zufälligen Begegnungen in der Organisation und kann bei den Mitarbeitenden auch Motivationsprobleme hervorrufen. Bei geringer individueller Motivation ist das einzelne Teammitglied weniger bereit, in gemeinsame Teamprozesse zu investieren und zum Wissensaustausch beizutragen, was wiederum negative Auswirkungen auf die Teamleistung hat. Außerdem kann die Reduzierung des persönlichen Austausches bei den Mitarbeitenden ein Gefühl der Distanziertheit auslösen, das wiederum zu einer Beeinträchtigung des Zugehörigkeitsbedürfnisses führt.

Darüber hinaus führt die Zunahme der virtuellen Arbeit und der damit verbundene fehlende überfachliche Austausch zu einem geringeren Zusammengehörigkeitsgefühl bei den Mitarbeitenden, das wiederum u.a. für die Entstehung gemeinsamer neuer Ideen relevant ist.

Einige Studien machen auf weitere psychische und physische Belastungen der hybriden Arbeitswelt aufmerksam. Unter anderem belegen sie, dass die Pausenzeiten während des Arbeitens im Home Office weniger eingehalten werden. So kommt es dazu, dass die Mittagspause dann stattfindet, wenn es terminlich gerade passt oder es wird am heimischen Arbeitsplatz sogar während der Arbeit gegessen, obwohl genau diese Ruhephasen für die Regeneration der Arbeitskräfte so bedeutsam sind.

herCAREER: Was sind bei einer hybriden Arbeitsweise die besonderen Herausforderungen für Führungskräfte?

Dr. Viktoria Leonhard: Die Mischung aus Präsenz und Virtualität führt zu veränderten Anforderungen an die tägliche Führungsarbeit. Diese wird anspruchsvoller, zeitintensiver und die hybride Arbeitsweise erfordert neue Führungskompetenzen.
Eine der größten Herausforderungen für Führungskräfte wird es sein, die informelle, spontane und ungeplante Begegnung und Kommunikation (innerhalb aber auch außerhalb des eigenen Teams) in ausreichendem Maße sicherzustellen und zu fördern. Dies wird wichtig sein, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitarbeitenden zu fördern und Motivationsproblemen vorzubeugen. Dabei muss man beachten, dass diese Aufgaben zusätzliche Koordinations- und Kommunikationsaufwände mit sich bringen, die man in der zeitlichen Planung berücksichtigen sollte.

Eine andere Herausforderung wird für Führungskräfte darin bestehen, die digitalen Anwenderkenntnisse der Mitarbeitenden auszubauen. Nur wenn alle Mitarbeitenden die digitalen Tools versiert nutzen können, werden hybride Meetings, Veranstaltungen und Begegnungen zur gelebten, neuen Normalität. Es darf für Mitarbeitende keine Option sein, aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit die digitalen Anwendungen nicht zu nutzen.

herCAREER: Welche Erfolgsfaktoren hybrider Führung können eine wichtige Rolle spielen?

Dr. Viktoria Leonhard: Folgende Erfolgsfaktoren können Führungskräften dabei helfen, ihre neue Rolle effizienter auszuüben:

  • Erarbeitung von Spielregeln für die neue hybride Zusammenarbeit. Teamindividuelle Vereinbarungen für die Zusammenarbeit, die von dem gesamten Team mitgetragen werden, dienen als Leitplanken für die Mitarbeitenden und geben ihnen Orientierung und Sicherheit. In einem sogenannten Teamcharta-Workshop können die maßgeschneiderten Regelungen gemeinsam im Team erarbeitet und in regelmäßigen Retrospektiven auf Aktualität überprüft werden.
  • Intensivierung der bilateralen Beziehungen mit den Mitarbeitenden. Dazu gehören regelmäßige One-to-One-Gespräche, um mehr über das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu erfahren und Unterstützungsmöglichkeiten zu identifizieren.
  • Auf- und Ausbau der Beziehungen im Gesamtteam. So misst beispielsweise ein Teambarometer das aktuelle Wohlbefinden und kann zur effektiven online Stimmungserhebung eingesetzt werden. Basierend auf den Ergebnissen können Teamentwicklungsmaßnahmen identifiziert werden. Dazu gehören auch Austauschformate, in denen Raum für digitale Begegnungen geschaffen wird.
  • Forcierung von informellen und zufälligen Begegnungen. Die Forcierung von informellen und zufälligen Begegnungen im analogen und digitalen Raum kann entweder durch die Führungskraft oder durch technische Möglichkeiten gesteuert werden. Die Zielsetzung ist bei beiden Wegen identisch: Die Mitarbeitende sollen zufällig zueinander geführt werden, um den spontanen Austausch während der Arbeitszeit zu ermöglichen.
  • Bildung eines vertrauensvollen Arbeitsklima Vertrauensbildung und -aufrechterhaltung gehört zu den bedeutsamsten Aspekten erfolgreicher Teamführung. Förderlich für die Vertrauensbildung können u.a. das gegenseitige Kennenlernen von Stärken, Expertisen und Präferenzen der einzelnen Teammitglieder sein. Ein vertrauensvolles Arbeitsklima kann zu stärkerer psychologischer Sicherheit im Team führen, welche die gegenseitige Wertschätzung, den Austausch von Informationen sowie das offene Diskutieren von Fehlern ohne Angst vor negativen Konsequenzen fördert.

herCAREER: Bei herCAREER geht es vor allem um den fachlichen Austausch, der auf den persönlichen Erfahrungen und dem Wissen der Sparringspartner:innen aufsetzt. Zu welchen Themen kannst Du im Vorfeld / auf der Messe / im Nachgang als Austauschpartnerin fungieren – in Schlagworten?

  • Hybrides Arbeiten
  • Erfolgreiche Teamführung

Zur Kontaktaufnahme bitte die, von der Interviewpartner:in angegebenen, Möglichkeiten nutzen und sich auf das Interview  bei herCAREER-Learn & Connect beziehen.

Über die Person

Dr. Viktoria Leonhard ist Leitende Angestellte in der Allianz und hat jahrelange Erfahrung in der Führung von virtuellen Teams. Sie ist Diplom-Betriebswirtin und hat am Lehrstuhl für Psychologie an der Technischen Universität München promoviert. Als zertifizierte systemische Beraterin und Organisationsentwicklerin verfügt sie über die fachlichen und methodischen Kenntnisse zu Team- und Organisationsentwicklungsprozessen. Sie ist Lehrbeauftragte an zahlreichen Universitäten und Hochschulen.

Dieses Interview bezieht sich auf ein MeetUp der herCAREER-Expo 2022, Ort und Zeitpunkt finden Sie im Programm.

Beziehen Sie sich auf das Interview der herCAREER-Community und nutzen Sie eine Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme, die der/die Interviewpartner/in angegebenen hat. Das Angebot für ein Sparring bezieht sich auf einen lockerer Austausch. herCAREER fungiert damit als Brückenbauerin. Nehmen Sie gerne die Einladung für den Austausch an. Sie müssen dafür nichts direkt an Ihre(n) Sparringspartner/in zurückgeben, können sich aber gerne an anderer Stelle im Netzwerk mit Ihrer Expertise einbringen.