Warum fällt es Männern so schwer zu entscheiden, welche Art von Mann sie sein wollen? ZEIT ONLINE  sprach darüber mit dem Psychologen Markus Theunert.

Die Erwartung, ein „richtiger Mann“ zu sein – stark, dominant, unbeirrt, rational –, werde Männern von klein auf vermittelt, sagt Theunert. In der Kindheit hätten viele kaum Kontakt zu männlichen Bezugspersonen. Da Jungen reale Vorbilder fehlten, orientierten sie sich (etwa bei Videospielen) an virtuellen maskulinen Helden, die sich aggressiv bis gewalttätig verhalten. Theunert: „Wir füttern unsere Jungen mit solchen unrealistischen, machistischen Bildern & wundern uns darüber, dass sie später Andrew Tate cool finden.“

Es sei alarmierend, dass jeder dritte oder vierte junge Mann (je nach Ergebnis diverser Studien) einem dominant-maskulinen Rollenbild anhängt. „Wir dürfen nicht voraussetzen, dass die kommenden Generationen von allein immer progressiver werden, wenn die ‚alten weißen Männer‘ wegsterben.“

Theunert schätzt, dass etwa die Hälfte der Männer progressiv eingestellt ist und die andere Hälfte Veränderungen eher abwehrt. Doch bestenfalls ein Drittel der Männer setze egalitäre Einstellungen auch im eigenen Verhalten um. Ein Drittel sieht er am rechten Rand und ein Drittel in der Mitte: „passive Pragmatiker“, die sich für fortschrittlich halten, aber traditionell leben und sich nicht ernsthaft hinterfragen wollen. „Das Narrativ, dass die Männer heute keine Männer mehr sein dürfen, verfängt bei ihnen. Sie sind vom geschlechterpolitischen Wandel überfordert. Da ist es angenehmer, auf die alten Männlichkeitsnormen zurückzugreifen.“

Aus Rücksicht auf diese Gruppe den Wandel zu verlangsamen, sei keine Option. Doch die aktuelle Geschlechterpolitik habe für viele Männer kein attraktives Angebot. Ihr Fokus liege auf der Umverteilung von Macht, Geld und Arbeit. „In den Chefetagen und politischen Gremien sollen gleich viele Frauen wie Männer sitzen. Das ist natürlich berechtigt. Das Problem ist: Die männliche Norm bleibt dabei unhinterfragt. Mit dem Ergebnis, dass sich Frauen bei der Arbeit jetzt genauso auszubeuten beginnen, wie dies bisher vor allem von Männern verlangt wurde.“

Theunert sieht insofern „sowohl bei Frauen wie bei Männern letztlich keine echte Transformation, sondern nur eine Anhäufung von Anforderungen. Für den Mann bedeutet das: Er muss leistungsstark und souveräner Ernährer bleiben, aber nun auch einfühlsam sein, ein Teamplayer, ein engagierter Vater. Das sind gegensätzliche Anforderungen, und wir überlassen es einfach jedem Einzelnen, mit diesen gesellschaftlichen Widersprüchen klarzukommen.“

Was könnte man besser machen?
„Man müsste Jungenarbeit, Väterbildung und Männerberatung flächendeckend verankern.“ Es sei so wichtig, „möglichst früh mit Jungen darüber zu sprechen, wie Männlichkeitsimperative wirken und wie sie sich selbst darauf beziehen.“ Eben weil es später „schmerzhaft und schwer ist, Muster abzulegen, die einen seit frühester Kindheit begleitet haben.“

Ein Beitrag von Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER I WiWo-Kolumnistin I LinkedIn-TOP-Voice 2020 I W&V 2019 – 100 Köpfe
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