Die Krise des Journalismus geht uns alle an. Ausgerechnet in einer Welt der Überinformation herrscht Verständnislosigkeit zwischen denen, die Orientierung suchen, und denen, die sie von Berufs wegen bieten sollen. Das Wort „Lügenpresse“ ist der in Wut gekleidete Ausdruck davon. Wie brandgefährlich die Konflikte zwischen Publikum und Journaille sind und warum sie vor allem jenen nutzen, die ihre Machtinteressen durchsetzen wollen, erläutert unsere heutige Speakerin.

Thema

Führung & Kommunikation | Gesellschaft

Angaben zur Referentin

Alexandra Borchardt ist Journalistin, Keynote Speakerin, Dozentin und Beraterin, sowie Senior Research Associate am Reuters Institute for the Study of Journalism an der University of Oxford. Sie hält unter anderem eine Gastprofessur für Medienwandel an der Universität der Künste in Berlin und arbeitet als Coach für das Table Stakes Europe Programm der WAN-IFRA.

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00:00:09-0 Moderation: Herzlich willkommen zum herCareer Voice Podcast. Sie sind hier richtig, wenn Sie diverse und vor allem weibliche Perspektiven auf arbeitsmarktpolitische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Themen hören wollen. Lernen Sie dabei von Rolemodels, ExpertInnen und Insidern und nehmen Sie wertvolle Anregungen für Ihre eigene Karriereplanung mit. Mit herCareer Voice fangen wir vielfältige Sichtweisen ebenso wie ganz persönliche Einblicke und Erfahrungen spannender Frauen ein. Von der herCareer Expo live und aus der herCareer Community.

00:00:42-2 Moderation: Die Krise des Journalismus geht uns alle an. Ausgerechnet in einer Welt der Überinformation herrscht Verständnislosigkeit zwischen denen, die Orientierung suchen und denen, die sie von Berufswegen bieten sollen. Das Wort Lügenpresse ist der in Wut gekleidete Ausdruck davon. Wie brandgefährlich die Konflikte zwischen Publikum und Journaille sind und warum sie vor allem jenen nutzen, die ihre Machtinteressen durchsetzen wollen, erläutert unsere heutige Speakerin. Alexandra Borchart ist Journalistin, Keynote-Speakerin, Dozentin und Beraterin sowie Senior Research Associate am Reuters Institut for the study of Journalism an der University of Oxford. Sie hält unter anderen eine Gastprofessur für Medienwandel an der Universität der Künste in Berlin und arbeitet als Coach für das Table Stakes Europe Program der One IFRA

00:01:40-5 Moderation: Herzlich willkommen Alexandra Borchart.

00:01:43-3 Alexandra Borchart: Ja, hallo Susanne und hallo alle hier, die sich hier eingefunden haben.

00:01:49-0 Moderation: Genau, wir sprechen über dein Buch, „Mehr Wahrheit wagen, warum die Demokratie einen starken Journalismus braucht“. Deine Grundthese, erst mal jedenfalls am Anfang des Buches oder nein, eigentlich, also die Grundthese des Buches ist, der Journalismus ist bedroht. Und du analysierst diese Bedrohung in dem Buch, dass es vor allen Dingen eben eine Bedrohung ist, als vierte Macht im Staate, die der Journalismus ja eigentlich sein soll. Was sind so die wichtigsten Gefahren, die dem, denen der Journalismus im Moment ausgesetzt ist?

00:02:22-2 Alexandra Borchart: Ja, es gibt zwei sehr konkrete Gefahren, einmal ist es das Geschäftsmodell, also wer zahlt überhaupt für Journalismus? Und wenn Sie, wenn ihr hier überlegt, wieviel zahlt ihr für Journalismus, wann habt ihr das das letzte Mal getan oder zahlen eure Kinder oder andere junge Leute in eurem Verwandten-, Bekanntenkreis überhaupt noch für Informationen, für Journalismus? Dann werdet ihr wahrscheinlich zur Erkenntnis kommen, so viel ist das nicht. Da gibt es eben die Haushaltsabgabe, die man für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahlt, ja nicht unbedingt freiwillig und ansonsten mal das ein oder andere Abo. Und ich muss zugeben, da schließe ich mich ein, man kriegt einfach wahnsinnig viel Journalismus, Informationen, auch qualitativ sehr hochwertige Sachen, für die man nicht bezahlt. Und da muss man sich eben die Gegenfrage stellen, wie soll dann guter Journalismus finanziert werden? Und guter Journalismus ist teuer. Der Journalismus, den Sie auch am allerliebsten haben, intensiv, gut recherchiert, gut beobachtet, vor Ort gewesen, das kostet Geld, irgendwoher muss das Geld kommen. Das heißt, diese Geschäftsmodelle sind akut bedroht. Früher war Journalismus überwiegend anzeigenfinanziert, davon haben viele Verlage sehr sehr gut gelebt, muss man sagen. Auch Verleger haben sich auch ordentliche Gewinne eingestrichen. Diese Zeit ist vorbei, denn die Unternehmen, die Anzeigen schalten, gehen oft direkt an ihre Kundinnen und Kunden oder die gehen woanders hin. Und vor allem dieses ganze Rubrikengeschäft, also Sie suchen einen Job, Sie wollen ein Auto kaufen, verkaufen und so weiter, das hat früher Zeitungen gefüllt, das ist alles weg. Wissen Sie selber, wie Sie es jetzt erledigen. Und gleichzeitig geht auch eben sehr sehr viel Werbung, Umsätze an Google und Facebook, die direkte davon auch sehr sehr profitieren auf den Seiten. Insofern das Geschäftsmodell das ist die eine Seite und das ist wirklich bedrohlich un das setzt ja auch so eine Abwärtsspirale in Gang, wenn weniger Geld da ist, wird weniger in Qualität möglicherweise investiert. Immerhin es ist eine bewusste Entscheidung von Verlagen, in Qualität zu investieren, aber da wird dann runtergeschraubt, dann wird der Journalismus schlechter, Sie denken, warum soll ich dafür bezahlen und so weiter. Die andere Seite ist wirklich die politische Seite und die ist auch sehr bedrohlich. Nicht hier in Deutschland, wir haben eine vielfältige Medienlandschaft, wir haben Pressefreiheit, auch wenn es Diskussionen und Debatten immer gibt, aber das ist ja gerade das schöne, das gehört ja dazu, es gibt aber durchaus auch selbst in Europa etliche Länder, wo Regierungen sehr stark durchregieren. Gerade populistisch angehauchte oder aktiv populistisch agierende Regierungen finden, Meinungsfreiheit ist gar nichts schützenswertes, denn es geht ja darum, irgendwie die Meinung des Volkes, das wird ja von Populisten so definiert, irgendwie durchzusetzen und alles andere drumherum ist überflüssig. Und da gibt es ganz ganz konkrete Einschränkungen und Gefahren von unabhängigem Journalismus. Viele öffentlich-rechtliche Sender in osteuropäischen Ländern, nehmen wir jetzt Ungarn, Polen und so weiter, sind eigentlich nur noch Staatssender. Ich recherchiere im Moment sehr stark in dem Bereich, da ist nichts mehr mit Debatte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In anderen Ländern weltweit werden Journalisten verfolgt, eingesperrt, attackiert und da muss man auch noch gar nicht mal so weit gehen, zum Beispiel Frankreich ganz massiv werden Journalisten da auf Demonstrationen angegriffen, selbst hier in Deutschland werden Journalisten auf Demonstrationen angegriffen. Das hat dazu geführt, dass Reporter ohne Grenzen in diesem Jahr den Status der Pressefreiheit in Deutschland runtergestuft hat. Also wie gesagt, zwei Bedrohungen, einmal die wirtschaftliche, einmal das Thema Pressefreiheit und das manifestiert sich dann schon auch darin, dass es immer weniger junge Menschen gibt, die sagen, ich möchte gerne Journalistin, Journalist werden. Und wenn das erst mal anfängt, wenn wir niemanden mehr haben, der wirklich den Einflussreichen, Mächtigen auf die Finger schaut, dann können die halt viel freier agieren, was heißt die, Institutionen viel freier agieren, es gibt nicht mehr diese Kontrolle und ja, dann setzt wiederum da eine Abwärtsspirale in der Demokratie ein.

00:06:54-0 Moderation: Als du noch im Tagesgeschäft so tätig warst, gab es da Ereignisse oder Dinge, die du tatsächlich beobachten konntest, also wo dir das so klar geworden ist, wir haben hier ein massives Problem? Also wie sich das so im Arbeitsalltag gezeigt hat?

00:07:09-8 Alexandra Borchart: Also ich war, als ich Journalistin war, war ich privilegiert insofern, dass ich mein Leben überwiegend bei großen Medienmarken verbracht habe. Also eben Süddeutsche Zeitung, da gibt es diese Einschränkungen in dem Sinne nicht. Natürlich gibt es da auch Sparzwänge, natürlich hatten wir ständig diese Debatte und ich konnte in der Zeit, in der ich bei der SZ war, das war von 2005 bis 2017, zugucken, wie der Anteil der Anzeigenerlöse immer weiter schrumpfte und immer mehr Kosten sozusagen auf die Leserinnen und Leser abgewälzt wurden. Also wir haben kontinuierlich Preise erhöht, um überhaupt noch die Einnahmen sicherzustellen. Ging gar nicht anders. Die Leserinnen und Leser haben es Gott sei dank mitgemacht aus großer Loyalität, aber es wurde halt immer knapper. Und ja, dass wir so ein Projekt wie Plan W damals machen konnten, Susanne und ich haben ein Magazin für Frauen und Wirtschaft gegründet 2015, das haben wir fast so unter dem Radar und sehr grassroots-mäßig irgendwie durchgezogen, aber das war fast ein Wunder, dass das noch ging, so eine Investition zu schaffen. Man hat in den letzten Jahren schon die Einschränkungen gemerkt. Ich war bei der Financial Times Deutschland auch im Gründungsteam 1999. Die Financial Times Deutschland ist ja 2012 vom Markt verschwunden, das war auch sehr unglücklich, dass ausgerechnet eine Wirtschafts- und Finanzzeitung es nicht schafft, in die schwarzen Zahlen zu kommen, aber das war eben schon so ein Zeichen des Geschäftsmodells angezählt, man schafft es nicht alleine mit Qualität, Journalismus zu finanzieren.

00:08:44-3 Moderation: Ein ganz großes Stichwort in deinem Buch ist Vielfalt. Also dass das wirklich auch ein großes Problem ist, dass einfach die Vielfalt fehlt und dann sowohl in der Innenperspektive, also in den Redaktionen als auch, welche Leserinnen und Leser erreicht man am Ende dann mit dem Produkt, das man macht. Und du hast ja gerade schon erwähnt, wir haben Plan W zusammen gegründet, wo es natürlich auch um das Thema Vielfalt, Frauenrepräsentation geht. Und jetzt so rückblickend auf deine bisherigen Berufsjahre, wie hat das Thema Vielfalt auch so dein Berufsleben eigentlich dann geprägt?

00:09:15-1 Alexandra Borchart: Ja, sehr sehr stark. Ich meine, ich bin in einer Zeit Journalistin geworden, da waren ja fast alle meine Chefs natürlich Männer. Und das habe ich gar nicht wahrgenommen. Weil als junge hungrige Journalistin, da geht es einem um die Geschichten, die man macht, um die Ideen, für die man kämpft, wen man da gegenüber hat, dem man die Ideen verkauft, das registriert man dann gar nicht so. Ich weiß gar nicht so ganz, wann es mir … doch es ist mir zum ersten Mal aufgefallen bei der Financial Times Deutschland, die ja eine Neugründung war 1999 und da wurde sehr vielfältig rekrutiert. Ein britischer Chefredakteur kam von der Financial Times und stellte ein ganz großes gemischtes Team zusammen in Deutschland, 120 neue Kolleginnen und Kollegen, wirklich gemischt, nicht nur altersmäßig, sondern auch Männer, Frauen, es gab sogar Leute, die keine journalistische Ausbildung hatten, die vielleicht bei Banken gelernt haben, also wie man es sich eigentlich vorstellt, um wirklich eine richtige Vielfalt da reinzukriegen. Und in Windeseile hatte sich das da so sortiert, dass ja sich dann, ich würde heute sagen, so eine Art Boys Club gebildet hat, die die Fäden gezogen haben und man merkte dann einfach irgendwie, da entwickelt man ja so ein Gefühl dafür, gehört man dazu, gehört man nicht dazu, das merkte man einfach, dass da so Netzwerke entstanden sind, diese Netzwerke leben heute fort. Ein Großteil dieser Kollegen und auch Kolleginnen arbeitet heute beim Spiele. Das heißt, die Power hat sich durchgesetzt, aber da habe ich das das erste Mal bewusst wahrgenommen. Gut, dann bekam ich auch meine beiden Kinder, merkte irgendwie, hier geht es nicht weiter. Was mich dann dazu geführt hat, mich bei der Süddeutschen zu bewerben. Da muss ich sagen, da bin ich heute noch so ein bisschen stolz drauf, ich habe wirklich am letzten Tag meiner Elternzeit bei meinem zweiten Kind, meiner Tochter, bin ich nach Hamburg geflogen mit meiner Kündigung im Gepäck und habe gesagt, im Übrigen ich gehe jetzt zur SZ und bin jetzt noch zwei Monate bei euch und dann wechsle ich zur SZ als leitende Redakteurin. Da waren dann schon so ein bisschen, ja ist den Leuten schon so die Kinnlade runtergefallen, so nach dem Motto, komisch. Weil ich hatte einfach gemerkt, ich bin da abgemeldet. Nach dem Motto, die hat jetzt zwei Kinder, die sitzt da als Korrespondentin in München. Ich hatte vorher da auch schon eine Führungsposition, die brauchen wir auch nicht mehr fördern. Und ja dann bin ich halt frisch zur SZ gegangen und das war dann eigentlich super. Da wiederum habe ich ein anderes Vielfaltsproblem wahrgenommen. Ich komme aus einem nichtakademischen Haushalt, ich bin die erste in unserer Familie, die Abitur hatte, studiert hat, darauf bilde ich mir nichts ein. Ich habe bei der DPA angefangen, da war das ganz normal, da gab es noch ganz viele Journalistinnen und Journalisten, die nicht studiert hatten, die vielleicht gerade nach der Schule angefangen haben als Polizeireporter, als Sportreporter, irgendwie einfach richtig handwerklich super Journalismus gemacht haben. Bei der SZ als leitende Redakteurin fand ich mich dann im Konferenztisch wieder, wo man dann gerne mit lateinischen Sprüchen debattierte, oh Gott habe ich mich da am Anfang fremd gefühlt. Dann habe ich so gedacht, wow du hast doch schon, man du warst bei DPA, du warst bei der Financial Times Deutschland, du hattest schon eine Führungsposition und hier sitzen Leute beisammen, wo in den Familien zu Hause vielleicht immer der Brockhaus hervorgeholt wurde abends beim Abendbrottisch, um irgendwas zu klären. Das war damals noch so, sorry, alle die hier schon nur noch mit Googeln aufgewachsen sind, wissen nicht mehr wie das war. Naja und das fand ich dann da extrem. Und heute muss ich sagen, so diese Erfahrung hat mich auch geprägt, dass ich dann gesagt habe, Journalismus war eigentlich schon mal vielfältiger. Vielleicht nicht was Männern, Frauen oder verschiedener ethnischer Background, Hautfarbe anging, aber was so die Lebenserfahrung, die Bandbreite der Perspektiven anging, war Journalismus, würde ich behaupten, vor 20-30 Farben vielfältiger als heute, wo sehr viele Leute eben, die in den Journalismus dann gehen, schon studiert haben, Auslandserfahrung, manchmal promoviert, dann mit Ende 20 in den Newsroom gehen. Und das ist ein großer Mangel. Und im Moment sind wirklich die Verlage, die Sender wieder sehr dabei zu sagen, Mensch wir haben was aus den Augen verloren, nämlich wie sieht das da draußen aus? Bilden wir wirklich die ganze Bandbreite der Gesellschaft ab? Wie machen wir das wieder gut? Das ist ein großes Thema im Moment in den Verlagen. Aber es hat eine ganze Menge Jahre gebraucht, um wirklich zu sagen, wir haben da eine Lücke, uns fehlt da was.

00:13:49-5 Moderation: Du bist ja eigentlich mit genau dieser Fragestellung dann auch nach Oxford gegangen. Also so, wie kann man irgendwie Zeitungen, Medienhäuser fit machen für die Zukunft? Wie können die eine vielfältigere Gesellschaft abbilden und so weiter? Und es gab ja verschiedene Formate. Also ihr habt sowohl geforscht dort als auch wirklich Journalisten aus ganz Europa oder sogar aus der ganzen Welt, nein Europa, ganze Welt zusammengebracht, dass die sich austauschen miteinander. Was hast du da für spannende Lösungsansätze so kennengelernt, wie es gehen könnte in Zukunft?

00:14:19-5 Alexandra Borchart: Ja, was ich in Oxford gemacht habe für zwei Jahre war, Leadership-Programme aufzubauen für leitende Redakteurinnen, Redakteure, Chefredakteurinnen, Intendantinnen, Intendanten, also wirklich für Leute, die engagiert sind und sich zusammensetzen wollten weltweit, um sich mal zu vergewissern, wie macht ihr das, was habt ihr für tolle Rezepte, den Journalismus besser zu machen, wie retten wir unsere Geschäftsmodelle? Das hat mich sehr begeistert, weil da wirklich unheimlich viele kluge Leute waren, die aber sehr selbstkritisch auch damit umgegangen sind. Zu solchen Angeboten kommen ja dann immer die, die dann auch sehr reflektiert sind. Also CEOs und Chefredakteure, die dann gesagt haben, Mensch nein, wir sind zu weit weg von den Menschen, wir müssen was anders machen. Wenn wir zum Beispiel Abos verkaufen wollen, müssen wir den Leuten auch einen Mehrwert bieten, wie machen wir das, wie macht ihr das? Die haben sich da sehr ausgetauscht. Warum ich das in Oxford unbedingt machen wollte war, weil am Reuters Institut der Universität Oxford wird sehr sehr gute Journalismusforschung gemacht. Also der Digital News Report das ist die größte Untersuchung über Medienkonsum weltweit, der wird da gemacht. Und ich habe selbst als Journalistin erlebt, dass es zwischen den Erkenntnissen auf der akademischen Seite und den Redaktionen einen totalen Graben gibt. Also die einen lernen nicht von den anderen. In Redaktionen denken immer alle, wir haben das schon immer so gemacht, wir wissen wie das geht. Diese Wissenschaftler können uns gar nichts sagen. Und es liegt dort gute Forschung rum, aber sie wird nicht genutzt. Und das habe ich mir so zum Ziel gesetzt, Leute zusammenzubringen und die auch mit der Forschung zu konfrontieren, was will denn das Publikum, was wollen Sie alle, ihr alle eigentlich, was erwartet ihr vom Journalismus? Und das hat mir wirklich viel Freude gemacht, viel Spaß gemacht und ich habe da unheimlich von profitiert und auch viele Erkenntnisse mitgenommen, wie Journalismus sich eigentlich verändern muss und verbessern muss. Und das ist ein ganz großer Teil auch von mehr Wahrheit wagen, wie ehrlich sind denn Journalistinnen und Journalisten sich selbst gegenüber über ihren Berufsstand, wie selbstkritisch? Ja, machen wir das richtig oder richten wir uns eigentlich mit unseren Produkten nur an eine sehr enge gebildete Schicht, um sich dann gegenseitig immer wieder zu bestätigen oder machen wir wirklich das Fenster weit auf für alle, bedienen wir wirklich die Gesellschaft? Und wie man das machen sollte und könnte ist auch ein großer Teil dieses Buches geworden.

00:16:52-1 Moderation: Magst du ein, zwei Beispiele vielleicht trotzdem aus dem Nähkästchen plaudern, oder Nähkästchen ist es gar nicht, im Prinzip ist es eher die Erkenntnisse. Also weil du gesagt hast, ihr habt voneinander gelernt. Also die Leute haben sich getroffen bei euch in Oxford und haben dann auch so zum Beispiel Modelle mitgebracht. Also haben gesagt, hier das probieren wir gerade und eigentlich funktioniert es ganz gut, wir sehen dadurch tatsächlich, wo die Probleme sind. Hast du da so ein, zwei Beispiele, die so ganz illustrieren, wie es gehen könnte?

00:17:20-7 Alexandra Borchart: Also ein Beispiel betrifft nicht so direkt den Journalismus, es ist mir trotzdem in Erinnerung geblieben, es war der Chefredakteur der schwedischen Zeitung Dagens Nyheter, da geht es nämlich um was, was vielleicht Sie oder euch alle auch interessiert, Personalführung und wie man das eigentlich gut macht. Wie man eine Redaktion motiviert und zusammenhält. Und der hat eben gesagt, es ist ganz wichtig, dass wir bei Veränderungen, ja digitale Transformation, das betrifft ja fast jeden, dass wir da alle mitnehmen und wie stelle ich das aber sicher, dass ich weiß, die sind alle noch dabei. Und er hat gesagt, sie machen alle 14 Tage in ihrer Redaktion eine anonymisierte Umfrage, einfach nur drei einfache Fragen. Hast du alles, was du zu deiner Arbeit brauchst? Wie ist die Kooperation mit deinen Kolleginnen und Kollegen? Und schaffst du dein Pensum? Einfach diese drei Fragen, anonymisierte Umfrage, drei Kreuze. Es beteiligen sich immer so die Hälfte der Leute. Und er sagt, das ist wie Temperatur messen und dann kann man sofort sehen, es gibt dann so einen Wert und man kann sofort sehen, wenn da irgendwo was nicht in Ordnung ist. Und ich fand, das ist eine unglaublich zugewandte Art als Chefredakteur oder eben Chefredakteurin damit umzugehen, wie geht es den Leuten, wie geht es der Mannschaft, muss ich Konsequenzen ziehen, muss ich irgendwo nachsteuern? Das fand ich wirklich total beeindruckend, wirklich die machen das sehr toll. Ich habe die da auch öfter besucht. Die arbeiten eben auch sehr stark mit Daten in ihrem Newsroom, was mögen die Nutzerinnen und Nutzer, was sind die Geschichten, die bei uns wirklich was bringen? Das ist ja gar nicht so einfach, wenn man dann Autorinnen und Autoren damit konfrontiert, dein Text wird gar nicht so gelesen oder der Text von deinem Kollegen der kommt vielleicht viel besser an. Also so eine Offenheit im Umgang mit Daten. Und das kannst du eigentlich nur, wenn du ganz nah bei der Mannschaft bist und wirklich alle mitnimmst. Und das fand ich da ein wirklich sehr gelungenes Beispiel. Ist auch ein sehr sehr erfolgreicher Verlag in der digitalen Transformation.

00:19:27-4 Moderation: Mir ist noch so ein anderes Beispiel eingefallen, wo es auch um die gute Nutzung von Daten geht, ich weiß nicht mehr, welche Zeitung es war. Die hatten so ein Tool in ihrem Backend, also wo man die Texte einpflegt im Redaktionssystem. Und dann konnte man sich wöchentlich oder täglich auswerfen lassen, wer waren da die Expertinnen, die dort zitiert wurden, wer waren die Autorinnen? Also immer männlich, weiblich und andere Diversitätskriterien und dadurch auf einen Blick gesehen hat, dass zum Beispiel dieses … also ich kann mich erinnern an einen Satz, der mir mal kolportiert wurde aus der Redaktionssitzung der SZ, die Meinungsseite, den Gastbeitrag sollte eine Frau schreiben und dann hieß es, wir hatten doch gestern erst eine Frau. Davor aber wochenlang haben nur Männer geschrieben und niemand hätte jemals gesagt, wir hatten doch gestern erst einen Mann. Und da objektiver zu werden. Also da tatsächlich zu sehen, wie ist denn tatsächlich der Status? Kannst du dich daran erinnern, das fand ich nämlich super.

00:20:22-6 Alexandra Borchart: Da kann ich mich natürlich gut dran erinnern, tatsächlich war das auch Dagens Nyheter, die haben das selber programmiert. Aber mittlerweile gibt es diese Tools sogar mehrfach. Also die Financial Times wendet das auch an zum Beispiel. Was ganz interessant ist, die Financial Times ist ja eine Wirtschaftszeitung mit einstmals ungefähr 89 Prozent Lesern im Vergleich zu 11 Prozent Leserinnen. Die haben aber eine sehr auch sehr weiblich geprägte Reaktion, mittlerweile auch eine Chefredakteurin und die sind das ganz ganz stark angegangen, wie können wir mehr Leserinnen gewinnen? Das ist ja von der Businesslogik her wichtig, aber es ist natürlich auch von der Idee her, Informationen für Bürgerinnen und Bürger sollte möglichst gleich auch wahrgenommen werden. Und die machen das auch, die haben auch ein Tool entwickelt, wo geguckt wird, wieviele Frauen bilden wir ab? Das hieß Janette Bot, von der damaligen amerikanischen Notenbankpräsidenten, Janete Yellen nachgenannt, weil immer wenn irgendeine Frau auftauchte war es Janette Yellen. Bei uns wäre es Angela Merkel gewesen, das würde bei uns wahrscheinlich Angie Bot oder so heißen. Aber die haben das schon sehr früh auch nachverfolgt. Dann gibt es ja in der BBC, die haben ja dieses sehr wegweisende Projekt 50/50, die ja dann wirklich mal tatsächlich initiiert von einem Mann und möglicherweise ist es deswegen so gut gelaufen, diese Vorgabe, 50 Prozent Expertinnen, Experten, Presenterinnen, Presenter, also wirklich dieses 50/50 Projekt ins Leben gerufen, wo das dann so als innerredaktioneller Wettkampf gestartet wurde, welches Team übertrifft das andere, das war gar nicht mit Zwang, aber es war klar, dass der Intendant, der damalige, das gerne gesehen hat und das ist extrem erfolgreich gewesen, mittlerweile ein Exportschlager. Und es gibt mittlerweile in Deutschland den SWR, der auch bei 50/50 mitmacht und ich glaube, die Deutsche Welle zum Teil auch. Also mittlerweile ist das weltweit so, dass viele dieses Konzept kopiert haben. Wir nehmen es sportlich, wir wollen den Anteil der Expertinnen erhöhen. Und da sehe ich viele viele positive Schritte tatsächlich.

00:22:28-2 Moderation: Wie sähe denn aus LeserInnenperspektive so die perfekte Zeitung… oder wie sähe die Zeitung aus, wenn es viel mehr Vielfalt, also auf allen Ebenen, Geschlecht, Herkunft, Bildungsherkunft und so weiter und so fort, wie sähe denn da so die Zeitung aus? Also was gäbe es nicht mehr, was gäbe es neu?

00:22:50-0 Alexandra Borchart: Schwierig zu sagen, denn die Zeitung ist ja, so traurig man das auch finden mag, ja so eine Art, Auslaufmodell würde ich nicht sagen, ich glaube, die Zeitung wird es immer noch geben, auch zum Teil als Luxusgut, als Genussmittel, was man sich am Wochenende gönnt, aber de facto, die Auflagen sinken ja sehr deutlich, nur noch sehr wenige junge Leute lesen eine gedruckte Zeitung. Also die Zeitung an sich wird niemals alle Farben abbilden können. Vielfalt muss man ganz anders denken. Vielfalt muss man denken in den Formen. Also du selbst machst Podcasts, da ist zum Beispiel schon viel mehr Vielfalt. Es gibt auch viel mehr Hörerinnen verhältnismäßig zu Hörern im Vergleich zu Zeitungen, wo es immer sehr viel mehr Leser gibt als Leserinnen. Also da hast du eine Vielfalt auf den Plattformen, also sämtliche Plattformen bedienen, wo die Menschen sind. Also nicht mehr so dieses journalistische, ja wenn ihr gute Staatsbürger seid, klug und schlau, dann müsst ihr zu uns kommen und uns die Zeitung abkaufen, sondern Journalismus muss so attraktiv sein auf den Plattformen, auf denen die Menschen unterwegs sind, dass die Menschen selber sagen, die App lade ich mir runter, das installiere ich mir, dafür ist mir sogar wert zu zahlen. Und deswegen eine ganz große Vielfalt in den Plattformen, in den Erzählformen, auch Leute abholen in einer Sprache, die sie verstehen. Also ein gutes Beispiel ist zum Beispiel Humor. Die Süddeutsche bildet sich ja sehr viel darauf ein, auch zu Recht zum Teil, sehr viel Humor auszustrahlen also zum Beispiel die kleine Konkurrentin FAZ, die FAZ ist ja immer noch so ein bisschen kleiner vergleichsweise. Also die Süddeutsche bildete sich immer viel auf ihren Sinn für Humor ein, aber sehr oft ist es halt auch ein Humor, der von oben herab kommt, der von Bildungsbürgern verstanden wird, es wird mit Ironie gearbeitet oder auch einem gewissen Sarkasmus zum Teil. Und das ist zum Beispiel was, was das junge Publikum zum Teil überhaupt nicht mag, wenn Scherze auf Kosten anderer gemacht werden. Da sind junge Leute wahnsinnig allergisch drauf. Also die mögen Journalismus, der ihnen auf Augenhöhe begegnet und sie mögen es nicht, wenn sich über andere lustig gemacht wird. Und das ist ein großer Teil dieses bisschen abgehobenen elitären Humorbegriffs. Und so ein Humor, der wirklich lustig ist, aber alle mitnimmt und wirklich auch rumblödelt, aber auch klug ist, also das ist eine Art von Vielfalt, die zum Beispiel ganz wichtig ist. Also Vielfalt, aber nicht auf Kosten von. Also Witze kann man eigentlich immer nur machen aus der unterdrückten Perspektive. Der Unterdrücker darf keine Witze über die machen, die ihm untergeordnet sind, das ist so das wichtige, damit Humor funktioniert.

00:25:32-7 Moderation: Im Buch machst du ja auch den wichtigen Punkt, dass, wenn die Redaktionen vielfältiger sind, dass man auch einfach viel weniger Stereotype in der Berichterstattung findet, weniger Vorurteile, dass auch neue Themen auftauchen einfach in der Berichterstattung und damit würde man ja auch einfach viel mehr neue Leserinnen und Leser gewinnen.

00:25:55-2 Alexandra Borchart: Ja, man muss aber auch wissen, es ist kein Automatismus. Also es ist nicht so, dass eine vielfältigere Belegschaft automatisch zu vielfältigerem Journalismus führt. Denn ich erzählte selbst von meinen Anfangsjahren im Journalismus. Ich war lange Zeit Leiterin des Wirtschaftsnewsdesks bei der SZ, ich habe einen Wirtschaftsteil gemacht, das hätte man nicht gesehen, dass den eine Frau gemacht hat. Das war eigentlich auch ein Grund, warum wir dann irgendwann mit Plan W kamen, weil ich habe Journalismus machen von Männern gelernt. Und wenn man dann gut sein will in was, dann guckt man sich natürlich ab, wie machen das die anderen? Und es braucht einfach wirklich eine kritische Masse und es braucht eine gute Kultur in der Redaktion, wo man auch sich traut, Dinge zu sagen, Dinge anzusprechen. Susanne hat sicherlich noch die ein oder andere Erinnerung an Gespräche, wo ich gesagt habe, oh Gott das kann man gar nicht machen oder das kann man nicht sagen oder den kann man nicht fragen und man ist ja sehr politisch unterwegs in einem Unternehmen oft, weil man weiß, was kann man bei wem anbringen. Und Susanne dann immer so, die kam von außen, wieso nicht, ist doch ganz normal. Und sie hat dann auch Leuten gesagt, ja ihr müsst da die Perspektive ändern in der Geschichte, irgendwelchen Autoren, wo ich mich nicht gewagt hätte zum Teil zu sagen, so buh. Das ist halt wirklich eine ganz wichtige Aufgabe, eine Atmosphäre zu schaffen in einer Redaktionskultur, wo jeder sich traut, seine Idee zu äußern, auch zu sagen, Moment das ist ein Thema, das müssen wir jetzt unbedingt bringen, da ist eine Perspektive, die ist vernachlässigt, also ganz ganz wichtig. Inklusion heißt es ja, oder inklusive Kultur heißt es auf Englisch, inclusive sagt man, und das is der Kern, um wirklich zu sagen, ja hier ist eine vielfältige Redaktion, da kommen aber auch vielfältige Perspektiven raus. Automatisch geht es nicht. Und man muss es immer kontrollieren. Also man muss wirklich dran bleiben, selbst die TAZ, die Tageszeitung, hat es immer wieder kontrollieren müssen, bilden wir genug Frauen ab, bringen wir genug Expertinnen, obwohl die sich von Anfang von der Gründung in den frühen 80ern, Ende der 70er war es, glaube ich, sogar, immer auf die Fahnen geschrieben haben, sie wollen ein vielfältiges Produkt. Das ist auch denen nicht gelungen, ohne ständige Kontrolle.

00:28:05-2 Moderation: Du hast ein Zitat in dem Buch drin, und zwar von Martin Baron, dem Chefredakteur der Washington Post, „ich stelle nur Optimisten ein“. Und mich würde total interessieren, so nach deinem Werdegang bis hierher und gerade auch so diese Perspektivwechsel mit der Forschung und so, bist du Optimistin, was so dieses ganze Thema, Überleben der Medien, Überleben der Qualitätsmedien vor allen Dingen, kritischer Journalismus und so weiter angeht?

00:28:31-9 Alexandra Borchart: Ich denke auch, wenn man Forschung betreibt, wenn man Journalismus betreibt und beides ist ja so ein bisschen, das gehört ja zusammen. Man redet mit vielen Leuten, sammelt Informationen ein, dann will man das ja mit einem Ziel. Man will Erkenntnisse zutage führen, die dabei helfen, die Welt besser zu machen, das ist so ein großes Wort, aber den Journalismus besser zu machen, Leute besser zu informieren, besser zu erklären. Auf jeden Fall bin ich Optimistin, auch wenn es einem im Moment manchmal schwerfällt, aber dann sage ich mir immer, es hat schon viele Zeiten gegeben, wo es einem vielleicht schwerer gefallen ist. Und wenn ich jetzt in Afghanistan leben würde und Töchter hätte, würde es mir sehr schwerfallen, optimistisch zu sein. Aber ich denke immer, wir haben schon ziemlich viel hingekriegt auch als Menschheit. Also wer mal so eine Dosis Optimismus braucht, der sollte mal auf die Website, ourworldindata.org gehen, wo so Langzeitgrafiken, Perspektiven aufgezeigt werden, was ist uns eigentlich als Menschheit schon gelungen? Wie haben wir Armut bekämpft, wie haben wir Kinder- und Müttersterblichkeit bekämpft, welche Krankheiten haben wir schon ausgerottet. Und wenn man sich so was mal anguckt in der wirklich langen Perspektive, dann muss man sagen, es gibt jeden Grund optimistisch zu sein und was soll man sonst auch machen, wenn man was gestalten will? Sonst könnte man sich ja irgendwie auf den Liegestuhl legen und auf den Untergang warten oder? Ich weiß nicht, das ist es nicht.

00:30:05-0 Moderation: Wenn Sie jetzt Lust haben, in die Unterhaltung einzusteigen, dann besuchen Sie uns auf der nächsten herCareer Expo in München und netzwerken Sie zusammen mit tausenden ExpertInnen aus den verschiedensten Branchen und Fachbereichen. Oder fangen Sie gleich von zu Hause aus an, zum Beispiel über www.hercareer-lunchdates.com. Ob virtuell oder im Reallife, wir vernetzen Sie gern. Wenn Sie gerade eine neue Herausforderung suchen, dann probieren Sie unbedingt www.hercareer-jobmatch.com aus. Bei Fragen zum Podcast schreiben Sie uns einfach eine Mail an podcast@her-career.com . Abonnieren Sie den herCareer Voice Podcast auf iTunes, Spotify oder wo immer Sie Ihre Podcasts hören und empfehlen Sie uns gern an Ihre liebsten KollegInnen. Alle Episoden gebündelt finden Sie zum Beispiel unter www.her-career.com/podcast . Wir sind glücklich und stolz, dass Sie ein Teil der herCareer Community sind. Danke, dass Sie anderen zuhören, um uns alle weiter zu bringen. So klingt female Empowerment.