Jasmin Lörchner ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Geschichte. Seit 2020 moderiert und produziert sie den Podcast „HerStory“. Er würdigt Frauen und Queers, die zwar Geschichte schrieben, aber nicht zwingend in Geschichtsbüchern zu finden sind. Auch Jasmins Buch “Nicht nur Heldinnen” porträtiert 20 Frauen, die Erstaunliches geleistet haben.

Julia Hägele, Chefredakteurin von herCAREER hat beim Authors-MeetUp auf der herCAREER Expo 2023 mit Jasmin über die Gründe gesprochen, warum so viele Frauen von der Geschichtsschreibung geschluckt wurden und warum es wichtig ist, Frauen auch historisch sichtbar zu machen.

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Thema

Gesellschaft

Angaben zur Referentin

Jasmin Lörchner ist freie Journalistin, Podcasterin und Autorin. Sie studierte Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Geschichte und Volkswirtschaftslehre an der RWTH Aachen, volontierte bei der Financial Times Deutschland und arbeitet seit 2014 als freie Journalistin mit Fokus auf Themen aus der Geschichte. Ihre Artikel erscheinen in Spiegel Geschichte und Der Spiegel, Mare, Geo Epoche und PM History.

Seit 2020 moderiert und produziert sie den Podcast „HerStory“. Im Podcast spricht sie über Frauen und queere Personen, die Geschichte geschrieben haben – im Guten wie im Schlechten, epochenübergreifend und nicht eurozentrisch. Der Podcast wurde 2021 für den Grimme Online Award vorgeschlagen und war 2022 für den Deutschen Podcastpreis und den Smart Hero Award nominiert. Begleitend zum Podcast erscheinen Kurzbiografien von Frauen und queeren Personen auf ihren Social-Media-Kanälen @herstory_pod.
Im März 2023 veröffentlichte Lörchner „Nicht Nur Heldinnen“. Das Buch versammelt Porträts von 20 Frauen, die Geschichte geschrieben haben. Es führt den Ansatz ihres Podcasts fort: Frauengeschichte und queere Geschichte nicht als Held*innengeschichten zu erzählen, sondern auch komplexeren Biografien Raum zu geben.

Der Beitrag wurde im Rahmen der herCAREER Expo 2023 aufgezeichnet und als Podcast aufbereitet.

00:00:00-0 Moderation: Welche Auswirkungen kann das denn haben, wenn die Geschichte hauptsächlich männlich erzählt wird? Also ich denke jetzt an Schulkinder zum Beispiel.

00:00:09-2 Jasmin Lörchner: Ja, also das ist das, was ich vorhin angesprochen habe, man sieht dann eben oder man hört eben wieder nur von den Männern, aber es fehlen weibliche oder queere Vorbilder. Es fehlt die Realisierung, ach Mensch, Frauen und Queers waren immer schon da, die haben immer schon Leistungen vollbracht, sie waren immer schon Teil der Geschichte. Also das heißt, wir vermitteln Geschichte unvollständig und im Prinzip nur eine Hälfte.

00:00:49-6 Moderation : Herzlich willkommen beim herCareer Voice Podcast. Hier kommen Menschen zu Wort, die sich für eine vielfältige und gerechte Arbeitswelt einsetzen. Von der herCAREER-Expo live und aus der herCAREER-Community. Jasmin Lörchner ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Geschichte. Seit 2020 moderiert und produziert sie den Podcast HerStory. Er würdigt Frauen und Queers, die zwar Geschichte schrieben, aber nicht zwingend in Geschichtsbüchern zu finden sind. Auch Jasmins Buch „Nicht nur Heldinnen“ porträtiert 20 Frauen, die erstaunliches geleistet haben. Ich bin Julia Hägele von herCAREER. Beim Authors Meetup auf der herCAREER-Expo 2023 habe ich mit Jasmin über die Gründe gesprochen, warum so viele Frauen von der Geschichtsschreibung geschluckt wurden und warum es wichtig ist, Frauen auch historisch sichtbar zu machen.

00:01:56-0 Julia Hägele: Jasmin, wieso sollte jeder und jede von uns Elisabeth Selbert kennen?

00:02:02-1 Jasmin Lörchner: Weil Elisabeth Selbert an unserem Grundgesetz mitgearbeitet hat und wir ihr maßgeblich mit verdanken, dass die Gleichberechtigung von Frauen auch im Grundgesetz mit verankert ist. Und dann finde ich, ist es ein Unding, dass wir heute noch Geschichtsbücher aufmachen und da steht zwar Konrad Adenauer drin und da steht der parlamentarische Rat drin, aber das steht dann nicht Elisabeth Selbert drin. Also das muss sich definitiv ändern, finde ich.

00:02:27-2 Julia Hägele: Elisabeth Selbert ist ein Teil deines Buches „Nicht nur Heldinnen“, sie war aber auch die allererste Folge deines Podcasts HerStory. Wenn wir heutzutage von weiblicher Sichtbarkeit sprechen, dann meinen wir meistens die Repräsentanz in Parlamenten oder in Vorständen. Wieso sollten Frauen auch historisch sichtbarer werden deiner Meinung nach?

00:02:52-3 Jasmin Lörchner: Naja, wir sprechen ja immer darüber, dass man erst mal, also man muss jemanden sehen, der oder die aussieht wie man selbst, um dann auch quasi Vorbilder zu haben und vor allem, also wir müssen schon auch Geschichte vollständig uns anschauen und da eben auch nach Frauen und queeren Persönlichkeiten suchen und Geschichte einfach vollständig schreiben. Wenn wir Geschichte so schreiben wie bisher, nur mit Napoleon und Stalin und all diesen Männernamen, die wir kennen und die uns in der Schule verfolgt haben, dann schreiben wir halt nur die halbe Geschichte und dann kennen wir auch nur die halbe Geschichte, weil dann gehen eben so Leute wie Selbert verloren und da gibt es, wo sie ist, da gibt es noch so viele andere, über die man sprechen kann und ich finde, das legt eben auch die Grundlagen, wenn wir uns bewusst machen, wie viele Frauen auch in der Vergangenheit einfach schon mit beigetragen haben zum Wandel der Gesellschaft, zur Politik, zur Wirtschaft. Das legt die Grundlagen, um auch zu sagen, aha wir haben es ja schon immer getan und quasi dann auch mutiger da dran zu gehen, das heute so fortzuführen und darauf aufzubauen.

00:03:56-6 Julia Hägele: Jasmin, welche Gründe kann es denn dafür geben, dass die Geschichtsschreibung so viele Frauen geschluckt hat, so viele Frauen und Queers?

00:04:06-4 Jasmin Lörchner: Das hängt damit zusammen, wer die Geschichte aufgeschrieben hat und das waren eben ganz ganz oft Männer. Also sowohl in der Antike, also da fängt es eben schon an, als auch dann im Mittelalter, als ja wirklich sehr viel verschriftlicht wurde. Wo wurde das getan? Überwiegend in Klostern. Und wer saß da? Mönche. Also das heißt, Männer haben Geschichte aufgeschrieben und haben sich natürlich ganz oft, so wie wir dieses Vorstandsphänomen kennen, ein Thomas im Vorstand nominiert den nächsten Thomas im Vorstand.

00:04:35-6 Julia Hägele: Der Thomas Kreislauf.

00:04:36-3 Jasmin Lörchner: Genau. So ähnlich hatten wir das in der Geschichtsschreibung auch. Also die Männer haben sich im Prinzip überwiegend mit den Männern beschäftigt und dabei sind die Frauen und ihre Leistungen oft hinten runtergefallen. Und das hing auch oft damit zusammen, was Frauen in der jeweiligen Zeit schon tun konnten gemäß ihrer Rollenerwartungen. Also Frauen sind ja ganz lang aus dem Berufsleben ferngehalten worden, aus mächtigeren Positionen ferngehalten worden und entsprechend sie haben ihre Leistungen vollbracht, aber in manchmal weniger sichtbaren Bereichen. Und Männer haben sich einfach nie auf die Suche danach gemacht und entsprechend sind eben ja wieder die lautesten und sichtbarsten in den Geschichtsbüchern gelandet und das waren eben andere Männer.

00:05:24-0 Julia Hägele: Welche Auswirkungen kann das denn haben, wenn die Geschichte hauptsächlich männlich erzählt wird? Also ich denke jetzt an Schulkinder zum Beispiel.

00:05:32-2 Jasmin Lörchner: Ja, also das ist das, was ich vorhin angesprochen habe, man sieht dann eben oder man hört eben wieder nur von den Männern, aber es fehlen weibliche oder queere Vorbilder. Es fehlt die Realisierung, ach Mensch, Frauen und Queers waren immer schon da, die haben immer schon Leistungen vollbracht, sie waren immer schon Teil der Geschichte. Also das heißt, wir vermitteln Geschichte unvollständig und im Prinzip nur eine Hälfte.

00:06:02-2 Julia Hägele: Seit 2020 moderierst und produzierst du den Podcast HerStory, wie kam es dazu?

00:06:08-8 Jasmin Lörchner: HerStory ist ein Corona-Baby, wie man so schön sagt. Also ich bin ja im Hauptberuf freie Journalistin und habe damals eben Sorge gehabt, wie entwickelt sich die Auftragslage und habe dann gedacht, ich beschäftige mich jetzt mal mit einem Medium, das mich schon länger interessiert hat, das war Audio. Also ich arbeite eigentlich im Print- und Online-Journalismus. Habe mir dann Audio vorgeknöpft und dann gab es die zweite Seite, also warum ich dann angefangen habe, über Frauen und Queers zu sprechen, war, dass ich während meiner Arbeit häufig so in den Fußnoten oder in Halbsätzen irgendwie auf Frauennamen und queere Personen gestoßen bin und dann immer dachte, warum sind die nicht bekannter? Also so ein Halbsatz über Elisabeth Selbert, um da noch mal anzuschließen, ohne dass wirklich ausgeführt wird, wer war sie eigentlich, was hat sie getan. Und dann habe ich gedacht, okay diese Geschichten brauchen Raum, die möchte ich irgendwo erzählen, das kriege ich nie alles an Redaktionen verkauft. Und deswegen habe ich gesagt, dann erzähle ich die jetzt im Podcast. Genau.

00:07:11-4 Julia Hägele: Und welche Folgen waren besonders beliebt bzw. kannst du uns so ein paar Beispiele nennen der Frauen, die dich da so umgetrieben haben?

00:07:16-9 Jasmin Lörchner: Ja, also ich habe angefangen mit Elisabeth Selbert, weil ich dachte, wenn wir anfangen, also wenn ich einen deutschen Podcast mache über die Rolle von Frauen, dann muss ich quasi erst mal bei uns selbst anfangen und deswegen habe ich mit Elisabeth Selbert angefangen. Also das ist auch, weil es eben die erste Folge ist, da hören viele das erste Mal rein, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Die ist sehr beliebt. Und dann habe ich eine Folge gemacht, da habe ich mal den Stil so ein bisschen gewechselt. Normalerweise erzähle ich sehr biografisch, sehr linear und dann habe ich eine Folge gemacht über Frauen in Paris in den 1920er Jahren und das habe ich so ein bisschen wie so einen Stadtrundgang angelegt. Also ich spreche und nehme die Leute so ein bisschen mit und wir spazieren so ein bisschen durch Paris und treffen irgendwie ganz viele tolle lesbische Frauen und Malerinnen und Designerinnen. Und das gefällt den Leuten immer sehr sehr gut. Also das ist so eine Lieblingsfolge. Was auch sehr beliebt ist, ist die Folge über Hatschepsut, wo ich ins alte Ägypten zurückgehe, also 3000 Jahre zurück und eben so ein bisschen auf die Spuren gehe einer Pharaonin, die viel weniger bekannt ist als Kleopatra oder Nofretete, die ich aber eigentlich fast noch wichtiger finde, also wichtiger als Nofretete, würde ich sagen. Das ist sehr beliebt. Und vor kurzem habe ich eine Folge gemacht über Tamara de Lempicka, die war Malerin und ist mit ihrer Malkunst in den 20ern auch sehr erfolgreich gewesen, ist Millionärin geworden. Und ich glaube, es hängt auch damit zusammen, dass ich die Folge auch tatsächlich „Malerin und Millionärin“ genannt habe, dann klicken dann doch noch mal ein paar Leute mehr drauf und hören zu. Aber das habe ich auch ein bisschen anders mal erzählt und habe, als ich zu ihr recherchiert habe, ist mir aufgefallen, sie hatte wahnsinnig viele Facetten. Also sie war als Mutter in ihrer Mutterrolle sehr interessant, sie hatte eine Fluchtgeschichte, die super interessant war und dann hatte sie aber auch eher so eine gierige und irgendwie ja nicht sehr sozialkompetente Seite. Und ich habe einfach dann mal beschlossen, statt das komplett linear zu erzählen, erzähle ich mal, also ich beleuchte sie mal so durch die verschiedenen Brillen sozusagen, setze mir die mal auf.

00:09:27-1 Julia Hägele: Durch die verschiedenen Rollen meinst du?

00:09:28-4 Jasmin Lörchner: Genau. Und das ist eigentlich auch sehr gut angekommen, also das ist auch eine ziemlich beliebte Folge. Ich glaube, Gluck ist auch eine ziemlich beliebte Folge, weil ich mir da eben mal eine nichtbinäre Persönlichkeit anschaue, ist eben auch ein Thema, was nicht so oft beleuchtet wird. Und die Geschichte von Gluck ist einfach auch total fasziniert als Künstlerin, also die kommt eigentlich auch immer sehr gut an. Das sind, glaube ich, so einige der beliebtesten Folgen bisher.

00:09:56-4 Julia Hägele: Gluck war eine Malerin, die sich geschlechtlich nicht einordnen lassen wollte, richtig?

00:10:01-6 Jasmin Lörchner: Genau.

00:10:02-8 Julia Hägele: Aus England.

00:10:03-6 Jasmin Lörchner: Genau, nicht binär, also weiblich sozialisiert worden, hat sich aber eben nicht in dieser weiblichen Rolle lesen lassen wollen und hat auch gesagt, Pronomen mache ich nicht, ich bin Gluck, weder Frau Gluck noch Herr Gluck, ich bin einfach nur Gluck und findet euch damit ab, so.

00:10:19-9 Julia Hägele: Verstehe. Also anhand der Beispiele konnten wir schon sehen, dass du deinen Fokus sehr weit aufziehst. Also sowohl von den Regionen als auch von den Epochen, also du bleibst nicht nur in der westlichen Welt in der Gegenwart, sondern versuchst, Geschichte sehr vielfältig zu erzählen. Das macht es nicht unbedingt einfacher, könnte ich mir vorstellen. Wieso hast du diesen Fokus gewählt?

00:10:43-2 Jasmin Lörchner: Weil mir geht dieser eurozentrische Blick so ein bisschen auf den Keks. Also bzw. ich finde halt auch dann, wir gucken uns immer nur irgendwie so im eigenen Vorgarten um und ich finde, das reicht nicht. Also wenn wir uns auch zu einer inklusiveren und sensibleren Gesellschaft entwickeln wollen, dann müssen wir über den eigenen Tellerrand schauen und da finde ich dann eben auch wichtig, Geschichte nicht nur eurozentrisch zu erzählen, sondern sich wirklich eben auch weiter umzugucken. Deswegen gucke ich nach Asien und nach Afrika und auch nach Südamerika. Also wann immer ich Sprachbarrieren irgendwie überspringen kann, da wird es in Asien langsam schwer und auch im arabischen Raum, aber wann immer mir das möglich ist, dann tue ich das gerne, weil ich das Gefühl habe, Stichwort Frauenbewegung. Also wir alle kennen die Suffragetten in England, wir kennen auch die amerikanische Frauenbewegung, das ist uns ein Begriff. Mittlerweile ist auch die deutsche Frauenbewegung bekannter, aber es wird zum Beispiel immer verdrängt, auch Ägypten hatte eine Frauenbewegung, im arabischen Raum, in Iran gab es eine Frauenbewegung schon vor über hundert Jahren, warum ist uns die nicht bekannter? Die haben sich damals international vernetzt, die haben sich in Paris getroffen vor hundert Jahren und haben sich dort vernetzt, so wie wir uns heute vernetzen. Und dann finde ich, wir müssen uns diese Sachen einfach wieder bewusster machen. Das muss mit erzählt werden.

00:12:05-3 Julia Hägele: Du lebst als Deutsche in den USA und arbeitest von dort aus. Prägt das deinen Blick auf Geschichte oder vielleicht auch auf die Gegenwart oder wie ist das für dich?

00:12:16-7 Jasmin Lörchner: Jain, also ich glaube nicht. Ich glaube, es ist eher, die USA betreiben ja sehr sehr viel Nabelschau und denken halt, sie sind irgendwie das Zentrum der Welt und schauen sehr wenig über den Tellerrand, also es zeigt mir eher wieder, was ich gerade nicht tun will. Also Amerika hat ja schon Schwierigkeiten nach Europa zu schauen und hier irgendwie die Politik und Gesellschaft zu verfolgen, und das ist für mich dann eher immer Ansporn zu sagen, ja das möchte ich nicht tun. Aber ansonsten hoffe ich, dass es meine Arbeit eigentlich, bilde ich mir ein, also dass es meine Arbeit nicht beeinflusst. Das wäre mir eigentlich auch wichtig, dass ich mich nicht auf so eine Position zurückziehe.

00:12:59-0 Julia Hägele: Zurück zu deinem Buch, 20 Frauen versammelt es. War es eigentlich schwierig, nur 20 auszuwählen?

00:13:06-2 Jasmin Lörchner: Ja. Also ich bekomme ja auch Post von HörerInnen und mittlerweile eben auch von LeserInnen und Leuten, die irgendwie dem Instagram-Kanal folgen und die schicken mir dann Vorschläge für Folgen, die ich mal aufnehmen könnte und ich habe also eine Liste, in der ich selber alles, was ich so finde, eintrage und das dann weiter anrecherchiere und in der eben auch die Vorschläge landen und da stehen jetzt mittlerweile 450 Namen drauf. Und dann wird es tatsächlich sehr sehr schwierig, da eine Auswahl zu treffen. Der Verlag kam und hat gesagt, 20 können es werden, wir haben eben nur eine gewisse Seitenzahl, aber du musst dich auf 20 festlegen, die können alle so 10-12 Seiten ungefähr haben im Umfang. Und dann saß ich da und habe irgendwie 2-3 Abende lang gepuzzelt. Und also die Hälfte ungefähr, also elf Geschichten sind Geschichten, die ich auch im Podcast schon erzählt habe und neun sind Porträts, die für das Buch komplett neu entstanden sind. Und wir haben es dann aufgeteilt, ähnlich wie im Podcast, da versuche ich auch, so zwischen den Genres zu springen. Also dass ich politischere Frauen, dass ich denen Raum geben, Frauen, die irgendwie wirtschaftlich aktiv waren, Frauen, die künstlerisch aktiv waren. Und eben Protagonistinnen, die irgendwie aktivistisch sich verdingt haben. Und die habe ich eigentlich wieder angesetzt diese, sage ich mal, die Säulen, die ich mir für den Podcast eigentlich auch vornehme oder auf denen der Podcast steht. Und dann war es Puzzlearbeit. Also wie gesagt, es hat zwei Abende gedauert mit Durchstreichen, wieder neu dazuschreiben, dann noch einen Gedankengang haben, aber irgendwann hatte ich es dann. Und nachdem ich mich endlich festgelegt hatte, konnte ich dann auch anfangen zu schreiben.

00:14:54-9 Julia Hägele: Gibt es den schon Fragen an Jasmin? Ich drehe mich mal um. Ahja hier ist eine. Wir bräuchten einmal das Mikro bitte.

00:15:00-1 Jasmin Lörchner: Wir haben, glaube ich, ein Mikro, genau.

00:15:04-6 Julia Hägele: Wunderbar.

00:15:07-3 Fragestellerin: Genau, ich hätte die Frage, weil ich den Buchtitel so spannend finde, warum „Nicht nur Heldinnen“? Also was versteckt sich dahinter?

00:15:14-7 Jasmin Lörchner: Ja, du hast, glaube ich, Julias Frage gerade vorweggenommen.

00:15:16-6 Julia Hägele: Macht nichts, sehr kluge Frage.

00:15:18-7 Jasmin Lörchner: Damit sprichst du auch einen ganz wichtigen Punkt an im Podcast, und zwar geht es darum, dass ich eben nicht nur positive Frauengeschichten erzählen will. Also im Buch sind eben auch Frauen und Protagonistinnen drin, die nicht nur als Vorbild taugen. Und weil ich es ganz wichtig finde, dass wir jetzt nicht sagen, wir erzählen Frauengeschichte nur als komplett positive Geschichten und blenden aus diejenigen, die was falsch gemacht haben. Das machen wir in der „normalen Geschichtsschreibung“, mit der wir aufgewachsen sind, machen wir das auch nicht. Wir müssen uns mit Stalin auseinandersetzen, mit Hitler, mit den ganzen furchtbaren Typen, und dann finde ich, wir müssen Geschichte realistisch erzählen und die Frauen eben auch nicht überhöhen, sondern auch menschlich erzählen. Und ich möchte einfach Raum geben, dass sie natürlich auch mal Entscheidungen getroffen haben, die komplexer waren, mit denen wir nicht konform gehen, die bei uns irgendwie Stirnrunzeln erzeugen. Genau, darum geht es halt, einfach eine realistische und menschliche Geschichtsschreibung quasi damit anzugehen.

00:16:31-5 Julia Hägele: War das in deinem Schreibprozess eine Herausforderung, sich solchen Themen zu nähern, die sich nicht als reine Empowerment-Geschichten jetzt abschreiben lassen oder hast du da mit journalistischem Abstand das einfach kurz runtergetippt?

00:16:43-4 Jasmin Lörchner: Ja, das ist, glaube ich, das Stichwort. Als Journalistin bin ich es gewohnt, ich muss mich häufiger mit Themen auseinandersetzen und über Themen berichten, die ich nicht so toll finde, die auch nicht unbedingt positiv sind. Also man hat sowieso schon gelernt, beruflich einfach einen gewissen Abstand zu halten. Und ganz ehrlich, ich persönlich finde die Frauen, die nicht so aalglatt sind, eigentlich auch spannender. Also an dem können wir uns ein bisschen mehr abarbeiten. Die stellen mehr Fragen an uns, die regen uns ein bisschen mehr zum Nachdenken an und vor allem man muss sich eben auch wirklich immer mit der Zeit auseinandersetzen und sich da ein bisschen reindenken und das finde ich dann eigentlich wirklich spannend zu denken, okay wenn das meine Rahmenbedingungen sind, wie hätte ich denn dann gehandelt? War das wirklich so eine leichte Entscheidung oder machen wir es uns ein bisschen leicht?

00:17:34-7 Julia Hägele: Ein anderes Thema, was nicht so einfach zu behandeln ist, ist der innerdeutsche RAF-Terrorismus. Du hast da deine Abschlussarbeit drüber geschrieben.

00:17:45-2 Jasmin Lörchner: Ja.

00:17:45-9 Julia Hägele: Inwiefern beschäftigt dich dieses Thema heute noch?

00:17:49-9 Jasmin Lörchner: Also es interessiert mich bis heute. Es poppt ja auch immer mal wieder noch ein bisschen auf in der ein oder anderen Form. Und ich habe tatsächlich jetzt schon länger darüber nachgedacht, dass ich mich auch gerne mit den RAF-Frauen, es war ja wirklich nun eine terroristische Vereinigung, in der es verhältnismäßig viele Frauen gab im Vergleich zu anderen. Und mit den Frauen würde ich mich schon sehr gerne noch mal auseinandersetzen. Das hat mich damals schon ein Stück weit fasziniert, da gibt es ja auch Ulrike Meinhof, die als Journalistin angefangen hat und dann zur Terroristin wurde, das fand ich damals schon sehr interessant. Auch so quasi aus der eigenen Perspektive heraus. Und da jetzt noch mal mit dem Abstand, ich habe meine Abschlussarbeit 2009, glaube ich, geschrieben, glaube ich. Also da jetzt mit einem Abstand von irgendwie über eine Dekade und mit der Arbeit, die ich jetzt mache und mit dem Blick, den ich selber immer weiter schärfe, noch mal drauf zu schauen, wie sind die Frauen eigentlich damals rezipiert worden, wie rezipieren wir sie heute und wie kann man diese Geschichten erzählen, um ihnen möglichst gerecht zu werden. Das ist so eine kleine Herausforderung, die ich für mich noch habe und auf die ich mich auch freue. Also da möchte ich mich demnächst auf jeden Fall noch mal mit auseinandersetzen.

00:19:02-8 Julia Hägele: Du hast den scharfen Blick erwähnt. Du schaust ganz genau in die Geschichte. Wenn du jetzt mit deinem geschulten Blick in die Gegenwart schaust, glaubst du, dass sich das Problem der Repräsentanz der Geschichtsschreibung in der Zukunft erledigt haben wird für Frauen oder was siehst du, wenn du in die Gegenwart schaust mit deinem historischen Blick?

00:19:26-1 Jasmin Lörchner: Also ich glaube, wir haben da immer noch viel Arbeit vor uns. Ich glaube, dass sich anfängt was zu bewegen. Also das Schöne ist ja, ich habe mein Format gestartet und hätte mir nicht träumen lassen, dass es drei Jahre später so erfolgreich ist. Insofern man sieht ja, dass das Interesse da ist und ich glaube, die nächste Herausforderung ist, das Ganze auch für Männer sozusagen attraktiver zu machen, weil in dem Moment, wo wir sagen, wir sprechen über Frauenthemen oder Frauen. In dem Moment, wo Frau draufsteht, denken Männern, oh interessiert mich nicht, ist nicht für mich, aber alles andere, wo nicht extra Frau draufsteht, da sollen wir uns natürlich mit angesprochen fühlen. Also ich glaube aber schon, dass sich da was bewegt, dass der Anfang quasi gemacht ist. Und wichtig ist, glaube ich, dass das ganze auch in Schulen getragen wird. Also da fängt es ja an. Also wir müssen irgendwie dort, wo wir Geschichte vermitteln, da müssen die Frauennamen auftauchen und auch die queeren Persönlichkeiten. Wenn ich mir angucke, wieviele Kids, ich hatte jetzt zwei Schullesungen, wieviele queere Kids da auch mit dabei sitzen, die müssen auch ganz unbedingt irgendwie, die müssen sehen, das ist kein Trend, gibt es nicht erst seit heute oder seit irgendwie ein paar Jahren und das kam auch nicht aus Amerika, sondern wir finden diese Gestalten in der Geschichte, das ist ganz ganz wichtig. Und ich glaube, so langsam fängt es an sich zu verändern. Wenn ich mir anschaue, was TV-Sender, was heute gerade auf Sendern wie Arte, was wir da für Dokumentationen sehen, was da entwickelt wird, ich glaube, da bewegt sich was. Da ist noch Luft nach oben, auf jeden Fall, aber ich bin vorsichtig optimistisch, dass wir uns da positiv, also dass wir in Zukunft wirklich mehr Repräsentation von Frauen haben, wenn wir mal in 30 Jahren irgendwie auf Geschichte von heute schauen, wieviele Frauennamen da auftauchen und queere Protagonistinnen, dann bin ich zuversichtlich, dass es ein bisschen anders aussieht, als wenn wir jetzt unsere Geschichtsbücher aufmachen.

00:21:41-2 Julia Hägele: Du sagtest, du hättest dir nicht vorstellen können, wie erfolgreich dein Podcast würde. Vielleicht sitzt ja hier im Publikum jemand, die die ein oder andere Idee hat, aber sich noch nicht so richtig traut mit der Umsetzung. Hättest du vielleicht Hands-on-Advise sozusagen für Projekte wie sie einfach angegangen werden können? Weil du hast ja mal geschaut, ob es funktioniert, du wusstest es ja nicht oder?

00:22:02-3 Jasmin Lörchner: Ja. Also ich glaube, das einfachste ist immer, einfach mal trauen, einfach mal machen. Also ich habe das auch sehr unterm Radar gemacht. Ich hatte mich länger mit dem Gedanken getragen, es braucht nicht viel Technik. Ich sitze nicht in irgendeinem fancy Studio oder so, also ich sitze in meinem Schlafzimmer und spreche in meinen Kleiderschrank, also es wirklich nicht irgendwie elegant oder fancy. Und es geht mit einem relativ einfachen Mikro. Mittlerweile gibt es schon ziemlich billige Ansteckmikros irgendwie für ein iPhone, mit dem man arbeiten kann, sogar das funktioniert. Schnittprogramme sind kostenlos und man kann sich das, das habe ich auch gemacht, man kann sich das tatsächlich mit YouTube-Lernvideos und -Erklärvideos kann man sich beibringen, wie man diese Schnittprogramme bedient. Und wenn man einfach die Zeit aufwendet, also wenn man das als sein persönliches, sagen wir mal, Weiterbildungsprojekt jetzt erkürt und sich die Zeit dafür nimmt, sich da ein bisschen reinzuwurschteln, dann geht das ziemlich fix. Also es macht halt auch total Spaß. Und ich finde, die größte Hürde ist einfach zu sagen, ich mache das jetzt einfach mal, ich probiere das jetzt einfach mal. Und in meinem Fall hat es sich definitiv gelohnt, insofern es kann funktionieren, einfach ausprobieren.

00:23:20-9 Julia Hägele: Gibt es denn aus dem Publikum noch eine Frage?

00:23:26-2 Jasmin Lörchner: Ja, da ganz links.

00:23:28-0 Julia Hägele: Da, wir bräuchten einmal das Mikro.

00:23:37-1 Andrea Rupp: Ja, vielen Dank. Also liebe Jasmin, ich glaube, wir können dich duzen, du sprichst mir wirklich aus dem Herzen. Mein Name ist Andrea Rupp, ich bin die Vorsitzende des Frauenrat Nordrhein-Westfalen. Und ich wollte gerne wissen, hast du schon mal von den Projekten der Landesfrauenräte, nämlich Frauenorte gehört?

00:23:55-6 Jasmin Lörchner: Ja, ja.

00:23:47-9 Andrea Rupp: Das freut mich sehr. Und weiß du gerade Elisabeth selber als erste genannt 5hast, also wir haben nämlich jetzt gerade, deshalb sage ich das auch, schauen Sie mal, ein paar Bundesländer haben nämlich Projekte, um historische Frauenpersönlichkeiten sichtbar zu machen. Und ja, ich würde gerne mich anschließend dann noch mal mit Ihnen unterhalten, was so paar Ideen noch gibt, und wie man vor allen Dingen … und es gibt auch viele queere Persönlichkeiten, die wir auch gefunden haben. Aber was uns fehlt sind so welche mit migrantischem Hintergrund. Was ist deine Idee, warum ist das schwierig, auch Persönlichkeiten aus dem Bereich zu finden, die noch nicht sichtbar sind?

00:24:44-7 Jasmin Lörchner: Ich glaube, das hängt immer … wird das Mikro schon festgehalten. Ich glaube, das hängt immer ganz viel damit zusammen, wer kann diese Geschichten erzählen. Also wenn wir an migrantische Biografien denken, wir haben da manchmal das Thema Sprachbarrieren und wir haben natürlich auch das Thema, wer spricht denn für diese Personen, nachdem sie aktiv waren? Können ihre Familien das übernehmen? Also ich glaube, die Überlieferung solcher migrantischer Biografien hat tatsächlich noch mal eine zusätzliche Barriere. Auch deshalb weil weite Teile der Gesellschaft und wir sehen es ja gerade auch wieder, auch immer noch nicht so wirklich empfängnisbereit dafür sind. Also ich glaube, auch da steter Tropfen höhlt den Stein. Man muss da momentan noch viel aktiver danach suchen und da viel mehr reinbohren und dann müssen diese Geschichten ganz unbedingt erzählt werden, um eben zu zeigen, auch das ist jetzt kein Phänomen, das hat nicht 2015 angefangen oder wann auch immer, sondern nein, Deutschland ist eigentlich schon seit Jahrhunderten ein Zuwanderungsland. Wir hatten Hugenotten schon unter dem preußischen König, wir hatten schonmal eine Anwerbung von Polen, die dann im Ruhrgebiet im Bergbau gearbeitet haben, auch das war schon in den 1800er Jahren. Also von wegen Migration wäre ein neues Phänomen, das ist ja totaler Quatsch und das ist Quatsch, der irgendwie für Panikmache bedient wird. Also man muss sich ganz aktiv dahinterklemmen und diese Geschichten erzählen und sichtbar machen, auch in dem Bereich. Und dann hoffentlich setzt dann langsam ein Wandel ein.

00:26:34-1 Julia Hägele: Vielen Dank, es gab noch eine Frage, richtig? Sehr gerne.

00:26:39-2 Lilian: Jasmin, also mein Name ist Lilian, hallo. Hast du denn schon mal auf dein Buch hin auch von Männern eine Rückmeldung bekommen, dass die sagen, wow die Frau die bewundere ich? Weil ich hatte neulich einen Disput mit meinem Mann, der hat seinen Mitarbeiterinnen von seinen Vorbildern und Menschen erzählt, die er bewundert und es waren nur Männer. Da habe ich gesagt, Mensch denk doch mal drüber nach, ob dir nicht eine Frau einfällt, die du irgendwie auch cool findest, weil ich glaube, das würde bei deinen Mitarbeiterinnen auch was auslösen. Und es würde mich einfach mal interessieren, ob du von Männern gehört hast, die auf dein Buch hin gesagt haben, coole Frau, finde ich toll?

00:27:09-2 Jasmin Lörchner: Also ich bekomme ab und zu Post von Männern, die dann aber sich eher dazu äußern, dass sie den Podcast gerne hören, was mich dann immer sehr positiv überrascht, weil die Statistiken auch sehr eindeutig sind. Also über über 80, ich glaube, 84-85 Prozent der HörerInnen sind Frauen. Und dann gibt es kleine Anzahl Männer und einige Nichtbinäre. Ja, dass mir jemand sagte, er hat irgendwie eine Frau jetzt zum Vorbild erkoren, noch nicht, aber es gibt, also zum Beispiel Gerda Taro, da gab es dann schon mal Zuschriften, weil es eben Leute gibt, die sie auch faszinierend finden. Und da gab es dann auch mal Zuschriften von Männern. Aber ich glaube, dass Männer dann sagen, diese Frau ist für mich ein Vorbild, das scheint mir noch mal so ein extra Schritt zu sein. Also da wäre jetzt auch meine Gegenfrage, ob dein Mann mittlerweile eine Frau erkoren hat, ob er direkt eine benennen konnte, die er jetzt so als Vorbild benennen würde.

00:28:15-5 Lilian: Er hat dann echt drüber nachgedacht und hat sich mal ein paar Namen aufgeschrieben. Und ich habe gesagt, kannst ja auch mal recherchieren, lies dich doch mal ein. Aber er hat dann reflektiert. Also vielleicht ist es auch ein bisschen unsere Aufgabe, diese Fragen zu stellen, sage mal, gibt es eigentlich auch eine Frau, die du gut findest?

00:28:30-8 Jasmin Lörchner: Ja und ich merke auch, dass wir das mehr und mehr tun. Also ich habe gerade gestern wieder eine Ankündigung für ein Panel gesehen, da ging es um dieses SocialMedia-Projekt „Ich bin Sophie Scholl“, gab es eine Diskussion. Und während das lief, haben sich ganz viele Frauen ganz aktiv daran beteiligt, das einzuordnen und aufzuzeigen, wo die Schwächen lagen. Eingeladen wurde am Ende wieder ein Mann. So und dann wurde aber gestern auch aktiv gefragt, sagt mal, wieso sitzt denn da jetzt ein Mann und nicht eine von den vier-fünf Frauen, die da wirklich super aktiv waren in der Zeit? Die Veranstaltung ist jetzt abgesagt, vielleicht reflektieren die auch noch mal. Schön wäre es jedenfalls. Also ich glaube schon, wir müssen da auch aktiv mit der Nase drauf stoßen und uns das auch trauen das einzufordern. Da wäre ich vor fünf Jahren auch noch viel zaghafter gewesen und mittlerweile denke ich mir auch, ich habe da keinen Bock mehr drauf, mich da irgendwie unterbuttern zu lassen. Wir müssen das einfach machen so. Das steht uns zu.

00:29:33-8 Moderation: Wir hoffen, das Gespräch hat dir gefallen. Wenn du mehr über herCAREER erfahren willst, besuche uns im Netz unter her-career.com und komm zur nächsten herCAREER-Expo nach München. Abonniere gerne unseren Newsletter mit spannenden Interviews, Veranstaltungstipps, Mentorinnen und vielem mehr unter her-career.com/newsletter. Wir freuen uns, wenn du Teil unseres Netzwerks wirst.