Keine Frage: Wer als Paar ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von mehr als 150.000 Euro erwirtschaftet, ist reich. Und Reiche brauchen eigentlich keine finanzielle Unterstützung des Staates.

Als Teil der Plattform herCAREER spreche ich mich trotzdem gegen eine Obergrenze des Einkommens für den Bezug von Elterngeld aus. Und das nicht, weil es uns um Reichtum oder ein „Immer mehr“ gehen würde. Im Gegenteil: Im Mittelpunkt unseres Interesses steht eine gerechte Arbeitswelt mit dem Fokus auf der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen.

Die Entscheidung der Ampel, die Obergrenze für den Elterngeldbezug zu halbieren, hat große Wellen geschlagen – und auch Frauen gegeneinander in Stellung gebracht, wie es eine kluge Freundin von mir auf den Punkt brachte.

Die einen starteten eine Petition gegen die geplante neue Obergrenze, die anderen monierten, dass man Reichen nicht auch noch mehr Geld in den Rachen werfen müsse, während jedes fünfte Kind in Deutschland armutsgefährdet ist. Aus der Debatte ums Elterngeld ist eine Klassismusdebatte geworden: Wer gehört eigentlich zur Mittelschicht?

Es ist nicht so, dass diese Fragen nicht wichtig wären. Aber sie betrachten das Problem aus der Vogelperspektive. Während es grundsätzlich gut ist, Sachfragen im größeren Zusammenhang zu sehen, plädiere ich in diesem Fall dafür, ein paar Schritte näherzukommen und sich das Machtverhältnis des Paares anzuschauen, das kein Elterngeld mehr bekommen wird.

Wir erinnern uns: Nur etwa ein Viertel der Väter nimmt überhaupt Elternzeit und von diesem Viertel gehen die Männer nur gute drei Monate in Elternzeit, Frauen etwa 14 Monate. Das heißt, von der Kürzung sind mehrheitlich Frauen betroffen. Wir wissen auch, dass Männer durchschnittlich 18 % mehr verdienen als Frauen. Folglich verschärft die Streichung des Elterngeldes das Abhängigkeitsverhältnis des Elternteils, der Elternzeit in Anspruch nimmt – noch überwiegend Frauen.

Diese Frauen werden davon abhängig sein, wie gewillt ihr Partner ist, sein Einkommen zu teilen. Wie er das macht, liegt am Ende bei ihm, denn es ist ja sein Geld. Auch Familienministerin Lisa Paus sagte, dieser Kompromiss sei „keine Glanzleistung in Sachen Gleichberechtigung“. Nun bedeutet Politik in Demokratien immer Kompromiss. Dieser ist allerdings ein besonders unglückliches Zeichen an eine Gesellschaft, in der eine Frau im Durchschnitt 1,56 Kinder bekommt, für demografische Stabilität aber 2,1 Kinder nötig wären.

Hinzu kommt, dass betroffene Paare gespart haben sollten, bevor sie ein Kind erwarten. Eine Frau bekommt ihr Kind durchschnittlich mit 30,1 Jahren. Da fasst sie gerade Fuß im Job und legt nicht schon seit Jahren Geld zur Seite. Die Familiengründung fällt meistens in eine Lebensphase, in der sich ein stabiles Einkommen gerade erst formiert.

In einem marktwirtschaftlichen System, das sich in Deutschland erfreulicherweise sozial nennen darf, bedeutet eine Familiengründung immer auch finanzielle Einbußen, potenzielle berufliche Stagnation, kurzum: Verunsicherung. Und das zu einem Zeitpunkt, in dem man volle Verantwortung für einen neugeborenen Menschen übernimmt. Ein Kind zu bekommen ist etwas Wunderbares, auch wenn es das bisherige Leben umschmeißt wie wenig zuvor. Es ist anstrengend, es ist emotional fordernd.

In dieser aufregenden Zeit können Frauen und Männer, die unbezahlte Arbeit leisten, durch das Elterngeld ihre finanzielle Unabhängigkeit schützen. Sie sind freier in ihrer Entscheidung, mit ihrem Partner zusammen zu sein, weil sie ihn lieben und nicht, weil sie sonst nicht mehr liquide wären.

Frauen und Männer, die unbezahlte Arbeit verrichten, müssen einen finanziellen Ausgleich erhalten. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Care-Arbeiter:innen ist wichtiger als die Streichung finanzieller Unterstützung für Reiche.

herVIEW - Julia Hägele

Ein Beitrag von Julia Hägele, Chefredakteurin von herCAREER, Journalistin, Buchautorin
Die Erstveröffentlichung erschien bei Arbeit und Arbeitsrecht