„Schau nicht nach rechts oder links, heißt es – doch für den Psychologen Nexhmedin Morina sind Vergleiche mit anderen entscheidend, um sich im Leben zu verorten und voranzukommen.“ Die SZ hat mit dem Professor gesprochen.

Dass wir uns ständig mit anderen vergleichen, findet Morina ganz natürlich, „der Mensch ist ein soziales Wesen und denkt und handelt in Relation zu anderen.“ Vergleiche sind für ihn „ein essenzieller Teil unserer Lebenserfahrung und wichtig, um etwas über sich selbst zu erfahren und sich in sozialen Gruppen verorten zu können.“

Er unterscheidet vier Funktionen des Vergleichens:

  • Sich selbst einzuschätzen, besonders „in Situationen oder Rollen, die neu für uns sind“ – wobei man z.B. zu dem Schluss kommt, dass auch die anderen „nicht auf jede Frage eine Antwort wissen“.

  • Zu bemerken, „dass jemand etwas besser kann oder macht, das ich auch können will. Dann kann ich mir die Person zum Vorbild nehmen“.

  • Die Selbstverifikation – wichtig bei Selbstzweifeln, wenn man sich z.B. für nur durchschnittlich intelligent hält. „Der Parallelvergleich mit anderen kann mir zeigen, dass ich doch schlau genug bin.“

  • Die Selbstaufwertung – um Bedrohungen oder Kritik von außen abzuwenden. Etwa indem man sich klarmacht, dass andere noch größere Defizite haben als man selbst.

Eine akkurate Selbsteinschätzung diene unserem Wohlbefinden, sagt Morina, doch er sieht auch die Gefahr der Selbstabwertung: „Das Problem ist, dass wir uns oft dysfunktional vergleichen“, d.h. mit Personen „außerhalb unserer Reichweite“ statt mit denen, die ähnliche Voraussetzungen haben. Um das eigene Können besser einzuschätzen, nennt er u.a. den temporalen Vergleich, sozusagen den Vergleich mit sich selbst: Anschauen, wie sich die eigenen Fähigkeiten in einer bestimmten Zeitspanne verändert haben, welche Fortschritte man gemacht hat.

Hierzu passend schrieb ich in einem früheren Beitrag: „Neue ökonomische Experimente zeigen, dass Frauen in gleichem Ausmaß wie Männer geneigt sind, sich selbst zu verbessern und gegen sich selbst, d.h. gegen eigene frühere Leistungen, in Wettbewerb zu treten.“ Unternehmen sollten ihre Anreizsysteme verändern und stärker auf diese Art des Wettbewerbs setzen als auf Konkurrenz gegen andere.

Neid auf andere, die etwas haben oder können, was uns fehlt, kann laut Morina ein Ansporn sein – wenn man sich fragt: „Was muss ich tun, um das auch zu schaffen?“ Gelingt es dann, sich das eigene Verhalten bewusster zu machen und sich Stück für Stück zu verbessern, führe das zu mehr Lebenszufriedenheit. „Das wäre gutartiger Neid.“

„Hinter Neid steckt häufig eine persönliche Angst, wie die vor materiellem Abstieg oder sozialem Ausschluss.“ Menschen mit gutem Selbstwertgefühl tendierten weniger zu Neid. Eine große Rolle spiele die soziale Gerechtigkeit: „In Gesellschaften, in denen die Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht so stark ausgeprägt sind, sind Menschen weniger von Neid geplagt.“ Was für Erfahrungen habt ihr mit Vergleichen gemacht?

Ein Beitrag von Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER I WiWo-Kolumnistin I LinkedIn-TOP-Voice 2020 I W&V 2019 – 100 Köpfe
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