Ein Zufall ist nicht nur etwas, das uns einfach passiert, sagt Christian Busch. Der Professor an der New York University geht dem Phänomen in seinem Buch “Erfolgsfaktor Zufall – Wie wir Ungewissheit und unerwartete Ereignisse für uns nutzen können” auf den Grund. Am 27. April 2023 wird Christian Busch in der herCAREER Academy in seinem Online-Vortrag über ungeahnte Möglichkeiten des glücklichen Zufalls sprechen. Vorab spricht er im Interview darüber, was wir von Kindern lernen können, warum ein geradliniger Lebenslauf heute kein Einstellungskriterium mehr sein sollte und über den größten Zufall seines Lebens.

Christian Busch plädiert dafür, im Zufall Sinn zu finden

herCAREER: Christian, Du plädierst dafür, den Zufall aktiv herauszufordern und zu nutzen. Aber ist es nicht ein Widerspruch, den Zufall steuern zu wollen?

Prof. Dr. Christian Busch: Wir haben gelernt, den Zufall als Gegenteil einer guten Planung zu sehen, harte Arbeit als Gegenteil von Glück. Unsere Forschung zeigt aber, dass es sich weniger um strenge Gegensätze handelt als vielmehr um ein Paradoxon, mit dem wir lernen können, umzugehen. Erfolgreiche CEOs haben großes Talent darin, mit Unerwartetem umzugehen. Sie geben Richtungen vor, passen aber jederzeit ihre Strategie an. In einer Welt, die sich schnell ändert, geht es mehr um Klarheit als um Gewissheit.

herCAREER: Was machen diese CEOs richtig?

Prof. Dr. Christian Busch: Oft denken wir an das Negativ-Unerwartete. Wir schauen nach links und rechts, bevor wir über die Straße gehen, auch wenn die Ampel grün zeigt. Warum verhalten wir uns nicht auch so gegenüber dem Positiv-Unerwartetem? Die Leute, die davon ausgehen, dass etwas Positives möglich ist, sehen es auch eher, wenn es passiert. Kinder machen das intuitiv richtig. Sie finden beispielsweise erstaunlich oft Geld auf der Straße, weil sie mit offenen Augen durch die Welt laufen.

herCAREER: Wieso, glaubst Du, geht uns diese kindliche Offenheit im Laufe der Jahre verloren?

Prof. Dr. Christian Busch: Viele Systeme, in denen wir aufwachsen – wie etwa das Schulsystem – lehren uns, ergebnisorientiert zu denken und immer einen Plan zu haben, dem wir genau folgen. Wir lernen, dass wir so alles unter Kontrolle haben. Bis das echte Leben dazwischen kommt – und klar wird, dass dies eine Kontrollillusion ist.

herCAREER: Das echte Leben verläuft nicht immer nach einer CV-Vorlage. Lange war es verpönt, sogenannte “Lücken” im Lebenslauf zu haben. Ist es immer noch so, dass das Unerwartete kein hohes Ansehen in Personalabteilungen genießt?

Prof. Dr. Christian Busch: Jedes Unternehmen braucht Menschen, die fähig sind, mit dem Unerwarteten umzugehen, die weniger Angst vor Veränderung, Innovation und Kreativität haben – Menschen, die in der Lage sind, damit umzugehen, dass wir heute Bier abfüllen und morgen Desinfektionsmittel herstellen, weil eine Pandemie anrollt. Wen möchte HR denn normalerweise rekrutieren? Menschen, die fit für die Zukunft sind, nicht Maschinen. Künstliche Intelligenzen erledigen immer mehr Standard-Aufgaben. Die Lebensläufe vieler der CEOs, die wir studiert haben, verlaufen nicht linear – oftmals gab es unerwartete Ereignisse, aus denen sie dann etwas gemacht haben.

herCAREER: Wie lässt sich diese Einstellung in Unternehmen implementieren?

Prof. Dr. Christian Busch: Viele der spannendsten Innovationen passieren unerwarteterweise. In der Firma Haier hat es einmal jemanden überrascht, dass Bauern ihre Waschmaschine nicht für Kleidung verwendeten, sondern für Kartoffeln. So entstand eine Kartoffel-Waschmaschine.
Es gibt einfache, unkomplizierte Möglichkeiten das Unerwartete nicht als Feind unserer Pläne zu sehen. Zum Beispiel die Frage “Was hat dich letzte Woche überrascht?”, die man im wöchentlichen Meeting stellen könnte. Eine einfache Frage, die aber wirksam sein kann – vielleicht die nächste Kartoffelwaschmaschine!

herCAREER: Wer einen neuen Job beginnt, hat oft viele Ideen. In vielen Unternehmen herrscht aber immer noch ein Klima, in dem die anfängliche Motivation schnell im Keim erstickt.

Prof. Dr. Christian Busch: Oft besteht die Gefahr, dass Kreativität ausgelagert wird. Aber interessante Sachen wie neue Client Leads oder neue Produktideen kommen ja oftmals aus der Interaktion mit dem Kunden. Es geht darum, eine Kultur zu schaffen, in der Unerwartetes Platz hat.

herCAREER: Und wie können Jobsuchende den Zufall für sich nutzen?

Prof. Dr. Christian Busch: Jobsuchende können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, einen Job zu finden, in dem sie erstens ihr Netzwerk erweitern, zweitens mit Menschen darüber reden, dass sie sich umorientieren. Und drittens ist es nicht selten, dass Jobs extra für Personen geschaffen werden. Das passiert aber nur, wenn man Punkt 1 und 2 berücksichtigt.

herCAREER: Es gibt Menschen, die sich selbst als Glückspilze bezeichnen, obwohl sie Schreckliches wie etwa Krieg erlebt haben – wie schaffen sie das?

Prof. Dr. Christian Busch: Ob man sich als Glückspilz betrachtet ist ja oft Interpretationssache – Menschen können die gleiche Situation komplett anders wahrnehmen. Zum Beispiel: „Ich hatte Glück, den Krieg zu überleben“ versus „Ich hatte das Unglück, zu Kriegszeiten zu leben“. Glückspilze fokussieren sich oftmals auf das Gute in einer Situation (und was hätte schlimmer kommen können), Pechvögel fokussieren sich oftmals auf das, was besser hätte sein können. Glückspilze haben dann tendenziell in der Zukunft oft mehr Glück, da sie nicht nur das Negativ-Unerwartete sondern auch das Positiv-Unerwartete wahrnehmen.

herCAREER: Hängen Glück und Erfolg dann wirklich nur an einem selbst?

Prof. Dr. Christian Busch: Ich rede in meinem Buch viel über das Mindset, eine gewisse Sicht aufs Leben – und das ist das, was wir direkt kontrollieren können. Auf die strukturellen Dynamiken um uns herum haben wir – zumindest kurzfristig – oft wenig Einfluss. Das heißt aber nicht, dass nicht auch Strukturen immer in Frage gestellt werden sollen, zum Beispiel wenn es um Chancengleichheit geht.

herCAREER: Du forschst und lehrst in New York City. Tun sich Deutsche schwerer als Amerikaner mit ergebnisoffenem Netzwerken? Oder ist das ein Klischee?

Prof. Dr. Christian Busch: Ich würde niemanden in eine Box packen wollen, aber natürlich gibt es Tendenzen. Ich komme aus Heidelberg und bin auch eher so aufgewachsen, dass man immer einen Plan haben und anderen Leute nicht auf die Nerven gehen sollte. Es gibt einen Unterschied zwischen New York und Hamburg. Es geht darum, das Beste aus allen Welten zu kombinieren. Gut zu durchdenken, aber dann auch zu machen. Das Schöne ist ja, dass man diese Strategien lernen kann.

herCAREER: Du gibst Übungen in deinem Buch vor, das “Serendipity Workout” – warum?

Prof. Dr. Christian Busch: Für Menschen, die sich tendenziell als Pechvögel bezeichnen, geht es zunächst um Baby Steps – kleine Schritte hin zu einem positiven Umgang mit Unerwartetem. Für sie sind die Übungen vor allem wertvoll – aber auch für Glückspilze, die dann noch ein paar mehr Strategien in Petto haben.

herCAREER: Du sagst, Fleiß und Zufall gehen oft Hand in Hand – stellst Du damit den amerikanischen Traum in Frage, der besagt, wer etwas nur unbedingt will und hart dafür arbeitet, wird sein Ziel erreichen?

Prof. Dr. Christian Busch: Es gibt zweifelsohne viele Menschen, die hart arbeiten, aber ihre Ziele nicht erreichen. Wenn man sich die Karrieren von Menschen anschaut, spielt der Zufall immer eine Rolle, ob man sich das nun eingesteht oder nicht. Ich plädiere aber dafür, den Zufall nicht als etwas zu sehen, das einem nur passiv passiert. Es kommt darauf an, wie wir mit Zufällen umgehen und wie wir sie auch fördern. Denn man kann daran arbeiten, mehr Zufälle zu generieren, die einem helfen. Es ist eine Art, aufs Leben zu schauen mit der Einsicht, dass wir unser Gehirn wie einen Muskel trainieren können.

herCAREER: Ist das nicht einfach nur eine andere Form von “If you believe it, you can achieve it”?

Prof. Dr. Christian Busch: Nein, ich spreche nicht von der toxischen Positivität, die sagt, wenn Du nur an etwas glaubst, dann wird es auch wahr. Es geht vielmehr darum, unser Gehirn dazu zu bringen, im Unerwarteten Sinn zu sehen. Eine konkrete Übung wäre: Wirf in den nächsten zehn Gesprächen, die Du hast, einen Gesprächsanker aus, stell eine Verknüpfung zu einer anderen Person her. Mit der Zeit gewöhnt sich das Gehirn daran, Verknüpfungen zu sehen.

herCAREER: Du engagierst dich aktiv in Netzwerken – was haben Netzwerke mit Zufall zu tun?

Prof. Dr. Christian Busch: Netzwerke vergrößern den Möglichkeitsraum exponentiell. Wenn wir beispielsweise über soziale Ungleichheit sprechen, plädiere ich dafür, Benachteiligungen nicht nur mit Instrumenten wie Stipendien auszugleichen, sondern auch Zugang zu Netzwerken ermöglichen. herCAREER ist dafür ein gutes Beispiel.

herCAREER: Gehst Du eigentlich selbst immer offen und positiv durchs Leben?

Prof. Dr. Christian Busch: Es ist für mich eine tägliche Praxis geworden, mit Unerwartetem gelassener umzugehen als früher. Aber ich muss mich selbst immer wieder daran erinnern, wie wichtig das ist. Während der Pandemie bin ich an Corona erkrankt, ein schwerer Verlauf, ich war alleine in meinem New Yorker Apartment. Da musste ich mir sagen: “Practice what you preach, Christian, überlege dir, wie Du hier Sinn finden kannst!”. Ich habe dann wieder Viktor Frankl gelesen, der Psychiater und Neurologe, der über seine Zeit im Konzentrationslager das Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ geschrieben hatte. Ich habe immer leidenschaftlich gearbeitet, mich aber nicht um mein Privatleben gekümmert. Dann habe ich meine Augen auch mal für dieses Thema geöffnet.

herCAREER: Und was ist dann passiert?

Prof. Dr. Christian Busch: Der größte und schönste Zufall meines Lebens: meine jetzige Frau. Wir kannten uns schon lange, sind uns dann aber zufällig wiederbegegnet. Während des Lockdowns habe ich eine Mail an ein paar alte Freunde geschickt: “Hey, habt ihr nicht Lust auf ein Rooftop-Konzert, natürlich mit ausreichend Abstand?” Sie kam zwar nicht, hat aber später auf meinen Instagram-Post reagiert.

herCAREER: Das heißt, aktives Glück funktioniert auch im Digitalen?

Prof. Dr. Christian Busch: Absolut. Wir trafen uns dann als Freunde. Sie hatte gerade eine Scheidung hinter ihr und erzählte mir, was sie sich wirklich von einer Beziehung wünschte. Mit jedem einzelnen Punkt stimmte ich überein. Wir haben unserem Bauchgefühl vertraut und haben es probiert. Heute haben wir eine einjährige Tochter.

Das Interview führte Julia Hägele.

Über die Person

Prof. Dr. Christian Busch ist der Direktor des CGA Wirtschafts-Studiengangs an der New York University (NYU) und lehrt und forscht auch an der London School of Economics (LSE). Er ist Mitbegründer von Leaders on Purpose (Netzwerk führender CEOs) und dem Sandbox Network (Netzwerk junger Innovatoren) und der ehemalige Co-Direktor des LSE Innovations-Zentrums. Er ist unter den „30 Management-Denkern, die die Zukunft prägen werden“ (Thinkers50), ein Mitglied im Expertenforum des Weltwirtschaftsforums (WEF) und ein Fellow der Royal Society of Arts. Seine Arbeit wurde in Fachzeitschriften wie dem Strategic Management Journal und Harvard Business Review veröffentlicht und in Medien wie der Wirtschaftswoche, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Forbes und BBC geteilt. Er erhielt seinen Doktortitel von der London School of Economics, und ist ein Gast-Kolumnist bei Psychology Today und anderen Publikationen.

Am 27. April 2023 hat Prof. Dr. Christian Busch in der herCAREER Academy vorgetragen. “Serendipity: Ungeahnte Möglichkeiten des glücklichen Zufalls” ist als Video on demand kostenfrei abrufbar.