Emotionale Führung ist bessere Führung – oder?

Neun von zehn Angestellten würden bei ihrem Arbeitgeber bleiben, wenn der direkte Vorgesetzte empathischer wäre – umgekehrt heißt das: 90 Prozent bleiben nicht, wenn sich der Führungsstil nicht ändert. Es ist Zeit für eine neue Führungsgeneration, die alle ihre Intelligenzsysteme nutzt: Hirn, Herz und Bauch. Nur dann gelingt es, Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen zusammenzubringen und gemeinsam Lösungen zu finden, die kein einzelner alleine schafft.
Darüber, wie das gehen kann, klärt heute Professor Heidi Stopper auf.

Thema

Führung & Kommunikation | Wirtschaft, Arbeit & New Work

Angaben zur Referent:in

Stopper hat viele Jahre als Führungskraft und Vorstand im Personalbereich gearbeitet. Coaching und Beratung von Führungskräften aller Ebenen. Heute ist sie Unternehmerin, eine der gefragtesten Topmanagement-Coaches und Beraterin zum Thema Karriere und berufliche Positionierung. Sie sitzt in etlichen Beiräten, ist Kuratoriumsvorsitzende der Macromedia und leidenschaftliche Förderin von Frauen im Berufsleben. Mitte Oktober 2019 wurde Heidi Stopper die Honorarprofessur für Leadership & Organizational Behaviour an der Hochschule Macromedia verliehen.

Der Beitrag wurde im Rahmen der herCAREER-Expo 2022 aufgezeichnet und als Podcast aufbereitet.

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00:00:09-0 Moderation: Herzlich willkommen zum herCareer Voice Podcast, Du bist hier richtig, wenn Du diverse und vor allem weibliche Perspektiven auf arbeitsmarktpolitische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Themen hören willst. Lerne dabei von Role Models, Expert:innen und Insidern und nimm wertvolle Anregungen für Deine eigene Karriereplanung mit. Mit herCAREER Voice fangen wir vielfältige Sichtweisen ebenso wie ganz persönliche Einblicke und Erfahrungen spannender Frauen ein – von der herCAREER-Expo live und aus der herCAREER-Community.

00:00:39-7 Moderation : Emotionale Führung ist bessere Führung, oder? Neun von zehn Angestellten würden bei Ihren Arbeitgebern bleiben, wenn der direkte Vorgesetzte empathischer wäre. Umgekehrt heißt das, 90 Prozent bleiben nicht, wenn sich der Führungsstil nicht ändert. Es ist Zeit für eine neue Führungsgeneration, die alle ihre Intelligenzsysteme nutzt, Hirn, Herz und Bauch. Nur dann gelingt es, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenzubringen und gemeinsam Lösungen zu finden, die man nicht alleine schafft. Darüber, wie das gehen kann, klärt heute Professor Heidi Stopper auf. Stopper hat viele Jahre als Führungskraft und Vorstand im Personalbereich gearbeitet. Heute ist sie Unternehmerin. Eine der gefragtesten Topmanagementcoaches und Beraterin zum Thema Karriere und berufliche Positionierung. Sie sitzt in etlichen Beiräten, ist Kuratoriumsvorsitzende der Macromedia und leidenschaftliche Förderin von Frauen im Berufsleben. Mitte Oktober 2019 wurde Heidi Stopper die Honorarprofessur für Leadership und Organisational Behavior an der Hochschule Macromedia verliehen.

00:01:53-4 Heidi Stopper: Oh Gott, oh Gott, ich komme immer schon ins Schwitzen, wenn ich angekündigt werde, eine mit ganz langjähriger Erfahrung. Ja. Da kommen die vielen Falten und die grauen Haare her. Ich spreche heute in 20 Minuten abschließend und umfassend zum Thema Gamechanger emotionale Intelligenz und Führung. Also man kann schon erahnen, dass mir das nicht so ganz gelingen wird. Aber ich versuche, euch so eine Inspiration mitzugeben, die jeder von euch für sich selber anwenden kann. Vielleicht mal vorne weg: Wer denkt, dass es für ihn besser gewesen wäre, wenn seine Führungskraft emotional intelligenter wäre? Ja, also das Thema ist abgehandelt in einer Minute. So denken im Übrigen die meisten da draußen, ich komme nachher noch dazu. Was ist eigentlich emotionale Intelligenz? Emotionale Intelligenz hat so zwei Stoßrichtungen. Die eine ist, unsere eigene Emotion zu verstehen und handeln zu können. Das klingt schon viel einfacher als es ist. Wenn man Führungskräfte heute fragt, welche Emotionen sie bei der Arbeit kennen, sagen die, was meint ihr, was kommt raus? Frust, Ärger, Wut. Andere Emotionen haben sie nicht oder können sie nicht benennen. Im Übrigen ist das auch bei uns so, dass die meisten von uns, wenn in uns irgendwas rumort, wir sind nicht mehr gut geübt zu erkennen, was ist eigentlich gerade das Gefühl, das mich umtreibt. Und in dem Moment aber, wenn wir das Gefühl an die Oberfläche holen können und benennen können, passiert was mit uns, meistens im Guten. Wer schon mal Liebeskummer hatte weiß, wovon ich spreche. Aus dieser emotionalen Intelligenz für uns selbst kommen so Themen wie Stressresistenz und Resilience im weitesten Sinne. Und der zweite Flügel ist emotionale Intelligenz mit anderen. Wie können wir verstehen, welche Emotionen unser gegenüber hat? Und wie können wir mit diesen Emotionen, mit diesem unglaublichen Emotionspotpourri, mit dem wir zu tun haben, können wir besser zurechtkommen. Hier kommen solche Begriffe rein wie Empathie oder soziale Intelligenz. Jetzt könnte man ja meinen, mal ganz ehrlich, das ist nicht rocket science und das ist nichts neues. Schon 2002 gab es den Wirtschaftsnobelpreis für einen Verhaltensökonom, Kahnemann hieß der, der damals schon belegt hat, dass rationale Entscheidungen nicht die Stärke von Menschen ist. 2017 gab es einen Wirtschaftsnobelpreis zum gleichen Thema von Thaler, Wirtschaftsökonom, der bewiesen hat, dass der sogenannte Homo Ökonomicus nicht existiert. Das heißt, ich habe 2017 erfahren, was ich intuitiv erahnt habe, dass alles Quatsch war, was mir meine Führungskräfte vorher erzählt haben. Meine Führungskräfte habe mir erzählt, Heidi es geht nur um rationale Dinge hier bei der Arbeit, jetzt lach mal nicht so viel. Heidi jetzt hier sei mal logisch, sei doch nicht so emotional. Der absolute Killer, den wir Frauen ja regelmäßig hören, da geht es ja nicht um Emotionen, sondern das ist ein Totschläger. Das heißt, 2017 spätestens hätte die Wirtschatswelt zuhören sollen, haben wir festgestellt, emotionale Intelligenz ist weit wichtiger wie Ratio bei der Arbeit, weil alles, alles wird aus der Beziehungsebene bestimmt und fast gar nichts aus der Inhaltsebene.

00:05:37-8 Heidi Stopper: Und warum hat dieses Thema jetzt so an Bedeutung zugenommen? Wenn man neusten Umfragen glaubt, ja vorher haben fast alle die Hand gehoben, diejenigen deren Chef daneben saß, nicht, aber der Rest hat die Hand vorher gehoben, als ich gefragt habe, wer wünscht sich einen Chef mit mehr emotionaler Intelligenz. Da seid ihr voll im Markttrend sozusagen, 92 Prozent sagen, sie würden bei ihrem Arbeitgeber bleiben, wenn ihr Chef emotional intelligenter wäre, wenn er mehr Empathie hätte. 85 Prozent, fast in allen Umfragen, die in den letzten drei Jahren zum Leadership gemacht wurden, bescheinigen ihren Arbeitgebern katastrophales Leadership. Es geht so weit, dass 15 Prozent der Befragten bereit wären, 10 Prozent Gehaltseinbuße in Kauf zu nehmen, wenn nur ihr Chef entlassen würde. Ich will es gar nicht werten. Es ist immer so die Frage, wie stellt man Fragen und welchen Gehalt haben Umfragen. Aber es zeigt doch, an Führung sind heute andere Erwartungen oder die Erwartung im Sinne von emotionaler Intelligenz sind gestiegen. Es gibt schöne Forschungen von namhaften Universitäten, die belegen, wenn man einen emotional intelligenten Chef hat, sind 61 Prozent der Mitarbeiter innovativ. Wenn man einen Chef hat, der emotional nicht intelligent ist, sind es nur 13 Prozent. Jetzt krankt es in unserem Wirtschaftsstandort so oder so an Innovation. Alle Firmen, mit denen ich arbeite erzählen mir, wir brauchen mehr Innovationskraft. Vielleicht könnte Empathie und mehr Training auf der Führungsseite und auch bei uns selbst dazu führen, dass wir deutlich innovativer werden. Und der letzte aus meiner Sicht noch allerwichtigste Punkt ist, die Welt ist so komplex geworden. Es funktioniert nicht mehr, so wie ich es eingeübt bekommen habe, dass ich als Führungskraft sagen kann, da geht es lang, ich weiß wo es langgeht und dann nur sicherstellen muss, dass diese Ziele runterkaskadiert werden, und dass jeder das macht, was er tun soll und man kontrolliert es. Heute weiß man, dass Führungskräfte so komplexe Fragestellungen haben, dass sie unterschiedliche Leute in einen Raum zusammenbringen müssen. So, wer schon mal unterschiedliche Leute in einem Raum hatte, weiß, dass das nicht in der Regel ein freundschaftliches Ablaufschema hat. Sondern wenn sehr sehr unterschiedliche Typen in einem Raum sitzen, ist das Konfliktpotenzial enorm hoch. Man hält den anderen automatisch für einen Idioten, wenn der so andere Dinge sagt wie das, was wir sehen. Multiperspektivität führt immer dazu, dass wir einfach uns wahnsinnig reiben und erfordert von Führungskräften, dass sie mit diesen Emotionen, die da im Raum entstehen, dass sie die handeln können. Und die meisten Führungskräfte können es nicht. Deswegen oh Wunder ist es auch so, dass man in Untersuchungen diverse Teams so viel erfolgreicher sind wie nicht diverse. Das ist leider Quatsch, das ist widerlegt. Man weiß heute, dass heterogene Teams erfolgreicher sind als schlecht geführte diverse. Aber gut geführte diverse Teams schlagen alles andere um Weiten.

00:08:50-7 Heidi Stopper: Also wenn wir wollen, dass wir Topperformance liefern, dass wir innovativ sind in Unternehmen, kommen wir am Thema emotionale Intelligenz überhaupt nicht mehr vorbei. Und selbst diejenigen, die das für Schi Schi und Gedöhns halten, wie die meisten meiner Kunden im Übrigen. Die meisten meiner Kunden sind 20 Jahre älter als ihr, haben ein anderes Chromosomenset als ihr und sind ähnlich sozialisiert wie ich in den letzten 20-30 Jahren in der Industrie, die halten das ganze Emotionszeug für einen absoluten Quatsch. Und bei genauer Betrachtung halten sie es deswegen für einen Quatsch, weil sie wahnsinnig Angst haben, sich damit zu beschäftigen, es macht ihnen Angst. Sie können es nicht, sie haben es nie richtig gelernt. Und sie haben das Gefühl, ihnen entgleitet alles, ihnen entgleitet die Kontrolle. Dann lieber schön die alten Instrumente, denn mit denen kann man so eine Illusion zumindest von Kontrolle herstellen. Ich habe vorher auf dem wunderbaren Paypal-Stand einen Becher geklaut. Warum habe ich das gemacht? Also ich habe gefragt und durfte ihn dann mitnehmen. Wir wissen heute, das sind wir. Wir haben zwei Ebenen von Entwicklung. Die eine Ebene ist die horizontale Entwicklungsebene und die zweite Ebene, die wir meistens total brach liegen lassen, das ist die Vertikale. Auf der horizontalen Ebene fangen wir an, in der Schule uns auszubilden, da lernen wir Skills, da lernen wir Know-how. Das lernen wir in der Ausbildung, im Studium und natürlich im Learning by Doing, was habe ich alles im Doing mir angeeignet. Wir lernen die ganze Zeit, wir verbreitern unsere Skills-Basis. Aber wenn ich ein großes Gefäß, eine große Persönlichkeit sein möchte, die wirksam schwierige Themen bewältigen kann, muss ich vor allem auf dieser Ebene hier lernen. Das nennt man vertikales Lernen. Und in diesem vertikalen Lernen lernen wir total andere Sachen und wir lernen auch anders. Also die Form ist nicht, wir sitzen in einem Klassenraum oder wir machen ein digitales Tutorial, wo uns was beigebracht wird. Nein, hier auf dieser Ebene lernen wir viel besser, unsere Emotionen erst mal zu erkennen und unsere Emotionen zu steuern. Ich hatte gestern eine Kundin, Vorständin, die ein sehr hartes Jahr hatte und die total blockiert war. Und irgendwann sagte ich zu ihr, ich spüre Scham. Ich spüre so starke Scham bei ihr, und dann ist sie total in Tränen ausgebrochen und sagt, das wäre verrückt, dass ich das benennen kann, sie schämt sich so, sie schämt sich für so viele Dinge und diese Scham hat sie so umgetrieben, aber sie konnte es gar nicht beschreiben. Jetzt ist ausgerechnet Scham eins der Gefühle, das nur gedeiht im Keller, wenn wir es im Dunkeln lassen. In dem Moment, wo wir es hochholen, kann Scham gehen. Bei der Arbeit bei meinen Kunden, die 80 Prozent männlich sind, 20 Prozent weiblich, habe ich mit allen Gefühlen zu tun. Da ist Neid, Scham, da ist sogar Ekel, da ist alles, da finden alle Gefühlsbandbreiten statt. Auch ihr hier ihr habt alle Gefühle bei der Arbeit, wir haben sie alle. Wir sind nur nicht mehr gut darin, sie zu erkennen und überhaupt zu benennen. Und da gibt es Instrumente, ich komme da gleich zu zwei davon.

00:12:11-2 Heidi Stopper: Das andere, was wir hier lernen, da komme ich auch gleich noch dazu, ist, dass wir nicht immer die gleichen Reaktionen auf einen bestimmten Reiz zeigen. Also ich bin seit 33 Jahren verheiratet, ich verstehe was von Reiz-Reaktions-Mustern. Und diese Reiz-Reakions-Muster gibt es auch bei der Arbeit. Jemand sagt was und wir spüren schon, wie bei uns was aufsteigt. Manchmal ist das was gutes, bei mir steigen aber oft auch andere Dinge auf. Und dieses, wie schaffen wir es, auf der Klaviatur unserer Handlungsmöglichkeiten so viel breiter zu werden. Wenn wir wirksam sein wollen in der Arbeitswelt. Als Führungskraft ist das ganz wichtig, aber auch als Mitarbeitende ist es wichtig, dass wir nicht nur hier auf den Oktaven, auf zwei Oktaven, wie am Klavier, fließend spielen und so gut sind. Nein, wenn wir komplexe Musikstücke spielen können, müssen wir gelegentlich da oben und da unten einen Ton treffen. Und das heißt, wir müssen den ersten Reflexen, die hochkommen, an Reaktionen müssen wir lernen, ein bisschen widerstehen zu können. Und ich habe zwei einfache, was heißt einfach, einfach ist nicht in diesem Zusammenhang, aber ich habe zwei sehr praktikable und umsetzbare Ideen für euch mitgebracht. Die erste ist, vertikales Lernen ist Reflexionslernen, ist ein anderes Lernen. Ich kann mich nicht hinsetzen und vier Bücher lesen und dann bin ich besser. Vertikales Lernen, um das große Gefäß zu sein bedeutet, dass ich mich selbst reflektieren muss. Es braucht Reflexionszeit. Wenn wir jetzt mal anschauen, wie wir unseren Tag typischerweise verbringen, steigen wir morgens, die meisten meiner Kunden, wenn ich die frage, wie startet ihr den Tag, ich mache die Augen auf, ich schaue in meine Emails. Ich mache die Augen auf, ich schaue in den Börsenkurs. Ich mache die Augen auf und schaue in die Quote, so war es bei meinem letzten Arbeitgeber. Also die stehen auf, auf Alarm, sofort ins Hamsterrad, direkt rein ins Hamsterrad. Und dann von einem Meeting ins nächste. Wenn ein Meeting dann noch ganz Grütze war, spielt es auch keine Rolle, wir schütteln das auch nicht ab, wir gehen einfach direkt ins nächste. Wer von euch hat die tollen Bilder von Nadal gesehen, der tröstend die Hand von Federer gehalten hat und beide Männer saßen weinend auf dieser Bank? Ein wunderschönes Bild. Federer war deswegen so stark und hat sechs Jahre die Weltspitze dominiert, weil er mental einer der stärksten Spieler war. Man weiß heute, der, der gewinnt, ist nicht der, der die beste Technik hat. Wenn ich das in die Businesswelt übertrage, ist es genau das gleiche. Der, der am wirksamsten ist und auch die schönste Karriere macht und Dinge am besten nach vorne bringt, ist nicht derjenige, der inhaltlich am besten Bescheid weiß. Sondern derjenige ist am meisten wirksam, wie im Tennis auch, der sogenannte in between Point Rituals hat. Zwischen den Punkten liegenden Rituale. Bei den Tennisspielern, immer wenn es ungerade Punkte sind, dann gehen die auf die Bank und dann sitzen die da drei Minuten. Die meisten gucken nach unten und schmeißen sich noch das Handtuch über den Kopf. Die Bilder kennt ihr aus der Presse. Was machen die in diesen drei Minuten, die die da haben? Die geißeln nicht sich selbst, warum sie den letzten Punkt vergurkt haben. Die grübeln auch nicht in den drei Minuten, wie sie es im letzten Punkt hätten besser machen können. Wenn sie das nämlich tun, gehen sie mit negativer Aufladung in den nächsten Punkt. Was ist entscheidend ist, um den nächsten Punkt zu machen, dass ich abschütteln kann, was vorher war und dass ich mit einer positiven Haltung in den nächsten Punkt gehe. Dass ich mich fokussiere auf das was kommt. Und wenn wir uns jetzt alle mal ganz ehrlich fragen, wie wir unseren Tag eigentlich mit unseren Meetings verbringen, dann sieht es so aus, wenn ich mir das erklären lassen, ich renne von einem Meeting in das andere, manche sind besser, manche sind schlechter, manche sind ganz Grütze, aber auch aus den mit den Grützen renne ich, ohne darüber nachzudenken, mit meiner grauenvollen negativen Haltung ins nächste. Oft sage ich auch noch, oh mein Gott, jetzt muss ich noch den Deppen treffen. Oh mein Gott, und das ausgerechnet jetzt auch noch. Wenn ich mit so einer Haltung reingehe, wird es nichts. Das heißt, was müssen wir tun? Wir müssen sogenannte kleine Abstandsrituale über den Tag verteilen. Das weiß man aus der Stressforschung, das weiß man allerdings auch aus der Glücksforschung, von beiden Seiten kommt da eins zusammen. Man weiß heute, wenn ich den ganzen Tag als Hamster im Käfig renne, werde ich eher kein Tiger, sondern wir müssen zwischendrin Pausen machen und die müssen ritualisiert sein.

00:16:40-4 Heidi Stopper: Das heißt, ihr könnt euch überlegen, was passt in euren Alltag rein? Als ich noch in der Industrie war in meiner letzten Station, hatte ich ein wahnsinnig anstrengendes erstes Jahr, weil ich einen krassen Branchenwechsel gemacht habe, von Hochtechnologie in Medien. Und nach einem Dreivierteljahr habe ich festgestellt, ich kann so nicht weitermachen, ich muss irgendwas verändern. Und dann habe ich meinen Tag anders strukturiert. Statt morgens auf den letzten Drücker erst aus dem Bett zu gehen und manchmal den Kaffee noch unter der Dusche zu trinken, ich gebe zu, so war es, habe ich morgens meinen Wecker eine Stunde früher gestellt. Ich habe erst mal in Ruhe Zeitung gelesen, habe ein bisschen Klavier geklimpert. Dann bin ich eine Stunde bevor der Meeting-Marathon losgegangen ist ins Büro und habe nicht meine Mails angeguckt, sondern ich habe mir heute überlegt, was ist heute wirklich wichtig? Und dann hatte ich noch eine halbe Stunde, wo meine Mitarbeiter kommen konnten und ich immer auch so ready für ein Pläuschchen war. Da habe ich irgendwie Socializing gemacht. Ich sehe hier ein paar Gesichter, da haben wir Kaffee getrunken und das war so eine Social Bonding Zeit für mich auch mit meinen Mitarbeitern. Und in der Mittagszeit bin ich immer zum Mittagessen gegangen, und zwar immer mit meinen Stakeholdern. Und um 16 Uhr, das war mein Lieblingsritual, bin ich spazieren gelaufen, und zwar völlig egal wie das Wetter war und völlig egal wer mit mir einen Termin wollte. Im Zweifel in Gummistiefeln. Und am Anfang haben das alle belächelt diesen 16 Uhr Termin. Oh Gott, jetzt sie wieder, naja HR und irgendwie Exotin so oder so, jetzt macht sie das halt mal. Irgendwann hat meine Assistentin zu mir gesagt, der 16 Uhr Termin war der gefragteste am Tag, weil die Leute das gut fanden, mit mir zu laufen und was anderes mal. Unser Kopf bewegt sich besser, wenn der Körper in Bewegung ist. Und bevor ich nach Hause gegangen bin hatte ich auch ein Ritual, ich habe irgendwie meine Mails noch überflogen, ob irgendwas brennt, so dass ich in Ruhe heimgehen konnte. Habe mir kurz überlegt, was war heute gut und was muss ich morgen unbedingt beachten? Dann habe ich mir einen Zettel geschrieben und habe ihn mir auf den Schreibtisch gelegt. Und viele meiner Kunden führen Rituale ein, die in ihren Alltag passen. Einer, ein CEO, der geht mittags um 14:30 Uhr mit der Kaffeetasse im Treppenhaus spazieren und quatscht mit jedem, den er da findet. Einer, der fliegt sehr viel, der macht den Kutschersitz am Flughafen. Es ist egal was ihr macht, es ist ganz ganz wichtig, dass ihr Abstandsrituale über den Tag einbaut. Ihr wollt nicht als Hamster enden.

00:18:54-6 Heidi Stopper: Das zweite ist Reiz-Reaktion-Schemen. Eins meiner Lieblingsthemen. Ist übrigens eins der Hauptthemen, die ich mit Vorständen besprechen, weil die wollen überhaupt nicht steuerbar sein von anderen. Und wenn die einen geschickten Spieler haben, der weiß genau, auf welchen Knopf der drücken muss und dann macht es jedesmal bums und die Souveränität ist dahin. Und wenn wir unsere Bandbreite verbreitern wollen, müssen wir üben, in diesen kleinen winzigen Sekundebruchteil zwischen Reiz und Reaktion reinzugehen. Ich höre schon, hehe, ich bin schon wieder eine Minute drüber, ich brauche noch drei Minuten. Und es reicht aus, uns kurz auszubremsen, bevor wir gleich rausplatzen mit dem ersten, was uns in den Sinn kommt. So was war mein Trick? Was war mein Trick? Ich habe immer mein Brillenetui genommen, also ich habe schon gemerkt, oh es steigt etwas in mir auf oder ich will sofort reinspringen mit irgendwas. Dann habe ich erst mal mein Brillenetui rausgeholt, meine Brille geputzt, Brille wieder rein. Und das hat schon ausgereicht oft, dass ich nicht dem ersten Reflex gefolgt bin. Ihr könnt auch ein Wasserglas nehmen. Ihr könnt euch was einschenken und trinken. Wichtig ist, dass ihr in dem Bruchteil der Sekunde, wenn ihr spürt, es kommt der Reiz, dass ihr so einen ganz kleinen Stopp reinhaut. Einer meine Vorstandskollegen in meinem letzten Job, der war sehr gut geübt und geschult offensichtlich in der Richtung. Da habe ich schon gemerkt, wenn dem total der Blutdruck ansteigt, dann steht der auf und macht das Fenster auf, also auch wenn es hagelt draußen, das war egal. Es war dem sein Weg, zwischen sich und seine Erstreaktion einen ganz kleinen Puffer zu bringen. Das heißt, was ihr mitnehmen solltet ist, Abstandsrituale über den Tag verteilen, die in Stein gemeißelt sind. Ich sage deswegen Ritual, weil wenn es kein Ritual ist und euer Chef anruft oder irgendwas brennt, schwupp schmeißen wir als erstes das über Bord, was wir eigentlich am wichtigsten brauchen. Ein Ritual müsst ihr machen. Und ich kann nur ganz dringend ermutigen, das hier mal in Augenschein zu nehmen. Ich habe die ersten 15 Jahre meiner Karriere irgendwie nur hier drauf gearbeitet. Ich habe drei abgeschlossene Studien, ich habe irgendwie zwei Ausbildungen, ich war in allen Businessschools dieser Welt. Und soll ich euch sagen, warum ich erfolgreich war? Weil ich irgendwann das hier entdeckt habe, vertikales Lernen, gebt euch Zeit für diese Themen. Nehmt euch Zeit für die Reflexion und werdet so große Gefäße, dass ihr hier gar nicht mehr reinpasst. Ihr habt nämlich drei Intelligenzsysteme. Nicht nur das hier oben, ihr habt nicht nur den Kopf, ihr habt auch das Herz und den Bauch und benutzt es auch. Vielen Dank.