Politik und Gesellschaft streiten über Kindergrundsicherung und Ehegattensplitting: Jutta Allmendinger vom WZB macht in der ZEIT Vorschläge für eine neue Familienpolitik.

„Die Debatte wirkt erratisch, die inhaltliche Stringenz fehlt, empirische Evidenz meist auch. Verteilungsfragen geben einen Blick auf unsere Gesellschaft frei, der erstaunt: Den Menschen fehlt das Wissen um die Situation der anderen. Unsere Spitzenverdiener(…)rechnen sich zur wirtschaftlichen Mitte, der Mittelstand fühlt sich bedroht durch Kürzungen bei Höchstverdienern. Für einen Sozialstaat ist das gefährlich.“

Anders als früher, so Allmendinger, teilten sich in der Modellfamilie von heute zwei Erwachsene die Erwerbs- und Sorgearbeit partnerschaftlich. „Das ist für Eltern und ihre Kinder ein riesiger Gewinn, unsere Volkswirtschaft profitiert ebenfalls. Für die Familienpolitik aber entstand ein riesiges Problem: Ihre Bausteine passen nicht mehr zum neuen Ideal – mit fatalen Konsequenzen.“

Mit dem Ehegattensplitting versage der Staat Eltern mit ähnlichen Einkommen die steuerliche Entlastung und fördere damit Familien gerade nicht. Besonders gravierend sei die Entwertung von Sorgearbeit. Heute herrsche die Erwartung vor, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten und die Sorgearbeit nebenbei erledigen.

„Wenn Kinder gegen die Karriere gestellt werden (müssen), verzichten Menschen eher darauf, Eltern zu werden. Kinder und Karriere für Mütter und Väter, beides für beide, ist bei Vollzeit schlicht zu viel.“ Eine 32-Stunden-Woche für alle wäre auch für die Wirtschaft besser.

Familienpolitik „aus einem Guss“ sollte diesen Leitgedanken folgen: Schutz von Ehe & Familie, Recht auf Teilhabe, Gleichstellung von Mann und Frau, Vermeidung sozialer Ungleichheit, Förderung von Sorgearbeit (mit finanziell abgesicherter Bereitstellung von Zeit für Kindererziehung & Pflege von Älteren).

  • Unterstützung von Kindern: so, dass alle teilhaben können. „Alles muss darangesetzt werden, Bildungsarmut zu vermeiden und die Bildung von Kindern von den Ressourcen des Elternhauses zu entkoppeln.“

  • Eine Kindergrundsicherung mit Ansprüchen aus einer Hand als „Bringschuld des Staates“.

  • Umgestaltung des Ehegattensplittings, etwa ein steuerlicher Grundfreibetrag für Paare in Kombination mit einer Individualbesteuerung.

  • Elternzeit: Ausweitung der Partnermonate, am besten gleich lange Elternzeiten für beide Elternteile.

  • Elterngeld: Mindest- und Höchstsatz ausgerichtet am individuellen Gehalt statt am Haushaltseinkommen.

„So könnten die Leitsätze und Elemente einer modernen Familienpolitik für Deutschland aussehen. Über ihre konkrete Ausgestaltung müssen wir reden, manchmal auch streiten. Wichtig aber ist: Es geht um zentrale Fragen unseres Gemeinwesens, die unsere volle Achtsamkeit brauchen. Für das Sommerloch, für Streichdebatten, für überhastete Umsetzungen taugt gerade die Kinder-, Eltern- und Familienpolitik ganz und gar nicht.“
Ein wohltuend sachlicher und fundierter Debattenbeitrag. Was meint Ihr?

Ein Beitrag von Natascha Hoffner, Founder & CEO of herCAREER I WiWo-Kolumnistin I LinkedIn-TOP-Voice 2020 I W&V 2019 – 100 Köpfe
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