Einen Plan zu haben, hilft in vielen Situationen. Gerade im Führungsalltag wird das planerische Handeln auf die Probe gestellt. Bedingungen ändern sich und schon passt der Plan nicht mehr. Gerade für Frauen, die neu in Führungspositionen sind, ist viel Klarheit wichtig. Das betrifft Führungsrolle und Führungsverhalten. Nur so entwickelt sich ein individueller Führungsstil. Überzeugende Kommunikation und authentisches Auftreten stärken dabei die Professionalität, um in Machtstrukturen kompetent zu wirken, sich Anerkennung und Akzeptanz zu verschaffen und souverän Interessen durchzusetzen.

„Wichtig für den eigenen Führungsstil ist es, sich selbst so gut wie möglich kennenzulernen.“

herCAREER: Wie entwickle ich einen eigenen Führungsstil? Wo fange ich an?

Bastien: Gerade in Unternehmen, die auf standardisierte Weiterbildungsprozesse zurückgreifen, werden junge Führungskräfte oder -aspirantinnen vielfältig auf ihre neue Rolle vorbereitet. Jedoch vermitteln solche Maßnahmen immer auch den Anschein von „Weil ich xy gelernt habe, kann ich führen“. Das hat aber mit der Realität oft nichts gemein. Gerade Aspekte wie ein gesunder Selbstbezug (ich meine damit z. B. den eigenen Emotionshaushalt kennen), Gespür für das Gegenüber, Mut, Klarheit, Selbstpräsentation, das eigene Menschenbild etc. sind nur bedingt Aspekte, die ich in einem Seminar lernen kann. Wichtig für den eigenen Führungsstil ist es deshalb, sich selbst so gut wie möglich kennenzulernen. Coachings und Mentorings helfen. Nicht zu unterschätzen sind jedoch auch vor allem Achtsamkeitspraktiken wie Yoga und Meditation. Sie helfen zu fokussieren, sich zu konzentrieren und die Gedanken auf das Wesentliche auszurichten. Wer als Führungskraft schon einmal durch turbulente Zeiten gegangen ist (und das tun wir Führungskräfte alle früher oder später), weiß, wie hilfreich Klarheit, Geduld und Selbstmilde sind.

Tools zu erlernen, also z. B. Konfliktgespräche führen oder nonverbale Kommunikation in der Führung, rate ich immer erst, wenn die Frau bereits etwas Erfahrung gesammelt hat. Am konkreten Fall arbeitet es sich besser und hat mehr Effekt für die Frau. Alles andere ist dem Trockenschwimmen ähnlich. Oder: Theoretisch weiß man über die Praxis viel. Alles, was einer Frau hilft, strukturierter, also effektiver und effizienter zu arbeiten, sind dagegen sehr gute Qualifikationen. Auch wenn man bereits weiß, dass man z. B. ein Team, das agile Methoden nutzt, übernehmen wird, ist es hilfreich, diese Methoden zu kennen und darin firm zu sein. Viele agile Ansätze haben bereits Aspekte von Führung inkludiert und man lernt auf diesem Weg gleich auch für diese Ebene mit.

Führen hängt meines Erachtens auch sehr stark damit zusammen, ob man sich selbst in seiner Persönlichkeit weiterentwickeln möchte. Mehr und mehr Unternehmen wünschen sich Mitarbeiter/innen, die aktiv gestalten, mitdenken, in Frage stellen. Zwangsläufig ist von diesem „in Frage stellen“ auch die Führungskraft und ihre Entscheidung/en betroffen. Das muss man aushalten können oder aber für sich als Ressource begreifen, wachsen zu können. Das hat vielmehr mit Stärke als mit Schwäche zu tun. Der eigene Stil entwickelt sich aus dem heraus fast von selbst. Denn wenn man nah am Menschen ist, arbeitet man mit ihm der Situation entsprechend.
Ansonsten gilt: locker machen. Niemand möchte mit einer Führungskraft zusammenarbeiten, die verbissen den Job machen will.

herCAREER: Was ist der häufigste Fehler, den Frauen machen, wenn sie erstmals eine Führungsposition innehaben?

Bastien: Ich bin in einigen Frauennetzwerken aktiv und erfahre dort immer wieder, dass sich die „neuen“ Führungsfrauen der Marter der Selbstzweifel hingeben. Bin ich gut genug? Was ist, wenn mich alle als Zicke sehen? Hoffentlich denkt niemand von mir, dass … etc. pp. Mir sind auch genügend Frauen begegnet, die in die Überkompensation gehen: Ich zeige es euch allen! Sie arbeiten doppelt so hart und sind sich selbst gegenüber gnadenlos kritisch. Genau durch diese Phase bin ich auch durch.

Ich war 31, als ich Geschäftsführerin einer GmbH wurde. So viele Menschen um mich herum wussten so viel ungefragten Rat zu geben. Mich hat das sehr verunsichert. Ich habe Jahre gebraucht, um den Mut zu haben, mich als Führungsfrau so zu zeigen, wie ich es für richtig halte. In meinem MeetUp werde ich darauf genauer eingehen und einerseits erzählen, wie es dazu kam, und andererseits einige Essenzen aus meiner mehr als 20-jährigen Berufserfahrung (und die zumeist als Führungskraft) mit den Frauen teilen.

herCAREER: Was ist Ihr Top Tipp für Frauen in Führung? Der eine, ganz besondere Tipp?

Bastien: Kontakt kommt vor Kooperation! Das ist mein absoluter Top Tipp. Selbst erfahrene Führungskräfte haben das oft nicht auf dem Radar oder waren sich niemals darüber bewusst. Wir kennen das doch auch aus dem Privaten: Bevor ich jemand Fremdes auf der Straße helfe, mache ich mir ein Bild. Ich kläre für mich, ob ich bereit bin, mich für eine gewisse Zeit einzulassen. Im Unternehmen ist das nicht anders. Gerade Anfangssituationen haben in zwischenmenschlichen Beziehungen eine enorme Bedeutung.

Wir kennen alle den alten Spruch: „There is no second chance for a first impression.“ Und genau so ist es. In der Rolle z. B. einer neuen Teamleitung empfiehlt es sich daher, viel Zeit auf das Zwischenmenschliche zu legen. Damit meine ich nicht den berühmten Einstand bei Selbstgebackenem und Prosecco. Sondern es sind die qualitativen Gespräche, in denen man den/die Mitarbeiter/in kennenlernt. Hilfreich sind z. B. Einzelgespräche gleich zu Beginn in den ersten Tagen. Fragen wie „Was ist aus Ihrer Sicht bisher in diesem Team gut gelaufen?“ oder „Welche Ihrer Qualifikationen oder Talente können Sie bislang hier nicht einbringen, würden Ihnen aber Freude bereiten?“ geben sehr viel Auskunft über Haltungen der Mitarbeiter zu Team und Aufgabe und auch über die ungenutzten Ressourcen. Gerade letzteres wollen viele Mitarbeiter/innen sehr gerne in ihrer täglichen Arbeit einflechten.

Im nächsten Schritt ist es gut, wenn man die Arbeitsweise Einzelner bzw. einzelner Bereiche kennenlernt. Mitlaufen, über die Schulter schauen, bei Kundengesprächen dabei sein etc. sind alles Punkte, die helfen. Die meisten Mitarbeiter deuten dies als sehr große Wertschätzung ihnen und ihrer Arbeit gegenüber.

Der dritte Schritt wäre irgendeine Form der offiziellen Ansprache, nachdem man sich einen Überblick verschafft hat. Das kann ein Teammeeting sein. Jedoch sollte es dann z. B. an einem anderen Ort stattfinden als die regulären Teammeetings. Auf der symbolischen Ebene verstehen die Mitarbeiter dadurch sehr schnell, dass es um etwas Wichtiges geht. In dieser Ansprache müssen Inhalte kommen, die für Klarheit und Orientierung sorgen. Außerdem sollte deutlich werden, worin die Führungskraft ihre Schlüsselaufgaben sieht. Und die muss sie dann auch im laufenden Geschäft selbst besetzen und dürfen nicht delegiert werden. Wenn es z. B. um Steigerung der Agilität oder um Innovationen geht, muss die Führungskraft entsprechende Arbeitsgruppen selbst führen, zusammensetzen, organisieren etc.
Im Normalfall tritt nach den genannten Schritten so langsam Routine ein. Die Bedeutung von „Kontakt vor Kooperation“ sollte dabei immer noch hoch sein.

herCAREER: Wie können oder möchten Sie kontaktiert werden?

Über die Person

Nicole Bastien ist seit über 10 Jahren Geschäftsführerin der mbw, einer Agentur für Kommunikationslösungen mit Sitz in München. Als Sozialwissenschaftlerin hat sie von Beginn an eine andere Perspektive in die Firma und Branche eingebracht. Statt bloßer Zahlenorientierung stehen bei ihr die zwischenmenschlichen Töne im Mittelpunkt. Und das mit Erfolg. Aufgrund ihres ungewöhnlichen Führungsverständnisses, ihres ausgeprägten Sinns für Klarheit und feinem Sinn für Humor ist sie mittlerweile nicht nur Expertin für Leadership sondern auch Beraterin von Unternehmen und Business-Coaches. Durch ihre vielseitigen Coachingausbildung und Coachingpraxis schaut sie anders auf Menschen und hat sich dadurch ein umfassendes Wissen zur Inszenierung von Führungskompetenz entwickelt.

Nicole Bastien hat Sozialwesen in Bamberg und Organisationsberatung/Coaching in Augsburg studiert. Vor der mbw arbeitete sie als Sozialarbeiterin und Führungskraft im sozialen Bereich sowie auch als Lobbyistin für Arbeitgeberverbände. Insgesamt verfügt sie über eine 20jährige Berufserfahrung, zumeist in Führungsverantwortung. Nicole Bastien ist Beirätin bei PANDA | The Women Leadership Network. Sie lebt mit ihren zwei Kindern, Mann und Hund in München.

Dieses MeetUp ist Teil der Karriere-MeetUps bei der herCAREER 2019, Ort und Zeitpunkt finden Sie im Programm.