Franzi von Kempis ist Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt e.V., Journalistin und Autorin des Buches “Anleitung zum Widerspruch – klare Antworten auf populistische Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien”.
Das Buch hat sie bereits vor der Pandemie geschrieben, es hat jedoch an Aktualität nichts eingebüßt.

Beim Authors MeetUp auf der herCAREER Expo 2023 hat Franzi mit herCAREER-Chefredakteurin Julia Hägele darüber gesprochen, warum es ohne Vielfalt nicht geht, wie es dazu kam, dass sie als ehemalige Daimler-Managerin zur Leiterin eines Berliner Impfzentrums wurde, und ob es ihr persönlich leichtfällt, zu widersprechen.

Thema

Persönlichkeits- & Kompetenzentwicklung | Gesellschaft

Angaben zur Referent:in

Franzi von Kempis ist Journalistin, Autorin und seit 2022 Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt e.V. “Überzeugungstäterin” nannte sie der Tagesspiegel in einem Porträt 2022. Ihr beruflicher Weg führt sie dorthin, wo sie Teams und Themen mit aufbauen und Wirkung erzeugen kann. So war sie als Chefin vom Dienst für t-online.de zuständig, bevor sie 2020 bei der Daimler AG den Aufbau des Daimler Mobility Labs übernahm. In der Tat macht die Kommunikationsexpertin alles, was sie anfasst, mit Leidenschaft und aus Überzeugung. Ihre vielleicht ungewöhnlichste berufliche Entscheidung: Im Pandemiewinter 2021 ihren Job zu kündigen und in Berlin ein Impfzentrum mit aufzubauen und zu leiten. Seit 2022 setzt sie sich jeden Tag als Co-Geschäftsführerin des Charta der Vielfalt e.V. für Diversität und Inklusion in der Arbeitswelt ein, damit diese Themen die Bedeutung bekommen, die sie verdienen. Bekannt ist sie auch als Meinungsmacherin: Als „Besorgte Bürgerin“ kommentierte die Journalistin mit viralen Videos das politische Geschehen und setzte sich gegen Hass im Netz ein. In ihrem Buch „Anleitung zum Widerspruch“ liefert sie Argumente gegen Vorurteile und Populismus. Außerdem berät sie Organisationen zu den Themen Leadership, Demokratie, KI und Kommunikation/Social Media.

Der Beitrag wurde im Rahmen der herCAREER Expo 2023 aufgezeichnet und als Podcast aufbereitet.

Abonniere den Podcast herCAREER Voice auf Apple PodcastsSpotify oder wo immer Du Deine Podcasts hörst

00: 00:00 Franzi von Kempis: Es gibt so viele Möglichkeiten, sich einzusetzen. Die sind teilweise gar nicht so groß, sondern haben was im ganz kleinen Rahmen zu tun. Ich glaube, wir vergessen manchmal, wie wichtig dieser kleine Rahmen ist, weil ich glaube, dass man dieses Bedürfnis – ich will was tun – am besten da ansetzen kann, wo man sich sicher fühlt. Und das ist ja meistens in der eigenen Gruppe. Und da muss man anfangen.

00: 00:29 Julia Hägele: Herzlich willkommen beim herCAREER Podcast. Hier kommen Menschen zu Wort, die sich für eine vielfältige und gerechte Arbeitswelt einsetzen. Von der herCAREER Expo Live und aus der herCAREER Community. Franzi von Kempis ist Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt e.V., Journalistin und Autorin des Buches „Anleitung zum Widerspruch: Klare Antworten auf populistische Parolen, Vorurteile und Verschwörungstheorien“. Das Buch hat sie bereits vor der Pandemie geschrieben. Es hat jedoch an Aktualität nichts eingebüßt. Ich bin Julia Hägele von herCAREER. Beim Authors‘ Meet-up auf der herCAREER Expo 2023 habe ich mich mit Franzi darüber unterhalten, warum es ohne Vielfalt nicht geht. Wie es dazu kam, dass sie als ehemalige Daimler Managerin zur Leiterin eines Berliner Impfzentrums wurde, und ob es ihr persönlich leicht fällt, zu widersprechen.

00: 01:33 Julia Hägele: Herzlich willkommen, Franzi.

00: 01:35 Franzi von Kempis: Dankeschön. Schön, dass ihr alle da seid.

00: 01:38 Julia Hägele: Bevor wir über deine Aufgabe als Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt sprechen, lass uns gerne über dein Buch sprechen. Du hast es bereits 2019 veröffentlicht, also noch vor der Pandemie. Wieso ist es immer noch aktuell?

00: 01:52 Franzi von Kempis: Also es ist ein Buch, was sehr unterschiedliche Kapitel beinhaltet, und ich habe mir sechs Themen vorgenommen. Ich lese sie vielleicht mal ganz kurz vor, damit alle noch mal wissen, worum es geht. Das Buch hat Antworten an Menschen, die den Klimawandel leugnen. Antworten an Menschen, die Antisemitismus verbreiten. Antworten an Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben. Antworten an Menschen, die denken, dass der Islam ihr Abendland zerstöre. Antworten an Menschen, die ein Problem mit Frauen oder Gender haben. Antworten an Menschen, die gegen Geflüchtete hetzen. Meine persönliche Auffassung ist: Keines dieser Themen ist nicht mehr aktuell. Alle diese Themen sind aktuell und werden es leider gefühlt jeden Tag mehr. Deswegen würde ich sagen, es ist genauso aktuell. Vielleicht nicht alle Zahlen darin. Das passiert aber mit Büchern.

00: 02:38 Julia Hägele: Eine große Themenvielfalt. Ich stelle mir das sehr rechercheintensiv vor, weil es eben so viele unterschiedliche Themen sind. Was hat dich angetrieben, dieses Buch zu schreiben?

00: 02:47 Franzi von Kempis: Ich habe damals, 2017, also die Jahre davor, einen Job gehabt, in dem habe ich viel mit YouTuberinnen zusammengearbeitet. Meine Aufgabe war es, mit YouTube, wie es damals war, also noch YouTuber und Youtuberin, noch nicht wie heute Instagrammer und Tiktokern. Da war es mein Job, mit denen Bildungsformate zu machen zu den Themen Politik oder Wirtschaft. Und es hat sich als nicht so leicht rausgestellt, junge Menschen zu begeistern, politische Themen zu machen, weil die große Sorge hatten davor, was ihnen an Schrott in den Kommentaren dann droht. Dass sozusagen ihre Community und auch viele Erwachsene in den Kommentaren dann fürchterliche Sachen schreiben würden und das auch taten. Und deswegen war ein Teil meines Jobs junge Menschen dabei zu begleiten. Wie reagiere ich, wenn schreckliche Sachen oder komplizierte Sachen oder sehr anti Sachen in den Kommentaren stehen? Und ich habe mir dieses Buch gewünscht für mich, weil ich ganz oft genau solche Handlungsempfehlungen geschrieben hab und so gedacht habe Was sag ich denn, wenn jemand den Holocaust leugnet im Kommentar? Man ist ja erst mal so baff. Was mache ich denn, wenn da fürchterliche Geflüchtetenhetze steht? Und wir erinnern uns ja auch alle an das Jahr 2015/2016, was da teilweise für Schlagzeilen hochkamen, die jetzt leider schon fast normal scheinen manchmal. Und ich habe ganz viele solcher Sachen diskutiert, aufgeschrieben und mir überlegt. Und dann hat mich jemand gefragt, ob ich ein Buch schreiben will. Ich hab gesagt: Ne, eigentlich nicht. Ich glaube, es ist fürchterlich anstrengend. Aber ich glaube, es braucht dieses Buch.

00: 04:12 Julia Hägele: Wie ist es bei dir privat? Fällt es dir leicht, zu widersprechen? Beziehungsweise: Wie wichtig ist dir Harmonie?

00: 04:19 Franzi von Kempis: Ich glaube, es hängt davon ab, wem ich widersprechen soll. Ich sag mal so: Mein inner circle weiß natürlich, dass ich die Person bin, die im Zweifelsfall hochrot anläuft und sich dann dreimal beruhigte oder sagt: Okay, jetzt reden wir drüber. Ich versuche tatsächlich zu widersprechen, egal in welcher Situation. Aber ich bin mir auch bewusst, dass das auch bei mir nicht immer geht. Es hängt immer sehr vom Kontext ab. Es hängt sehr von der Situation ab. Es hängt sehr von den Leuten ab. Es hängt davon ab: Ist es eine Person, die mir nah ist oder ist es ein random berufliches Event? Oder bin ich alleine? Passiert etwas in der Straßenbahn und ich beobachte etwas. Es ist sehr situationsabhängig.

00: 04:56 Julia Hägele: Wir sind jetzt hier auf der herCAREER. Es geht viel um Geschlechtergerechtigkeit. Was sage ich denn, wenn jemand sagt, Frauen und Männer sind längst gleichberechtigt?

00: 05:04 Franzi von Kempis: Dann sage ich: nice try. Auch da hängt es ein bisschen davon ab: Wer sagt es denn? Ich würde tatsächlich immer unterscheiden zwischen Personen, die das als Provokation sagen. Ich glaube, wir kennen alle diese Situationen, wo das jemand sagt, um einen herauszufordern und so ein bisschen aufs Glatteis zu führen, einfach mal zu gucken, wie sehr man sich aufregt. Und dann kann ich ganz cool sein und sagen: Dann sag mir doch mal wo. Und es gibt die Menschen, die das sagen, weil sie es vielleicht, in Anführungszeichen, nicht besser wissen, weil sie wirklich denken, es ist so, oder weil sie eine ganz andere Auffassung davon haben als ich, was Gleichberechtigung bedeutet. Klar, da kann ich auf die Verfassung gehen, da kann ich auf die Realitäten gehen. Da kann ich darauf verweisen, dass wir auch im Westen große Staaten haben, die komplett weibliche Reproduktionsmedizin einschränken und dass uns das hier auch droht, wenn bestimmte Parteien gewählt werden. Also auch da: Es geht um den Kontext, es geht darum, wer es sagt. Und ich lasse mich mit diesem Thema tatsächlich inzwischen, das ist aber auch lange geübt, nicht mehr provozieren, weil ich es nicht einsehe, über Gleichberechtigung der Geschlechter zum Spaß von anderen Menschen zu diskutieren. Das versuche ich zu vermeiden.

00: 06:11 Julia Hägele: Verstehe. Ein Thema in deinem Buch ist das Impfen. Also beispielsweise widerlegst du Argumente, Wenn jemand sagt, es braucht keine Impfungen mehr, weil ja sowieso so viele Menschen geimpft sind. Du konntest nicht wissen, dass dieses Thema noch sehr groß werden würde. Hättest du dir das damals vorstellen können?

00: 06:28 Franzi von Kempis: Nein, das Thema war ein persönlicher Spaß von mir, weil ich mich sehr viel mit Verschwörungstheorien beschäftigt habe, weil man einfach sehr viele Verschwörungstheorien sieht im Internet, in Kommentaren. Und ich dachte, ich wollte es unbedingt mit aufnehmen, weil ich es halt im Freundeskreis auch so ein bisschen kannte vom Impfthema und Masern und was macht man jetzt mit Kindern oder nicht? Und ich dachte ehrlich gesagt, das ist so special interest, aber es ist mein Buch. Ich darf bestimmen, was rein darf, und vielleicht hilft es der einen oder anderen Elternperson so ein bisschen, in der eigenen Familie sich zu wappnen. Hätte ich gewusst, dass es so wichtig wurde, hätte ich das gesamte Impfbuch vorher geschrieben oder alle anderen Themen in ein eigenes Buch gepackt, weil das Buch hätte es sehr dringend gebraucht ein Jahr später.

00: 07:11 Julia Hägele: Du hast ein Jahr lang das Berliner Impfzentrum, das zweitgrößte, geleitet. Kannst du uns erzählen, wie es dazu kam? Denn du warst Managerin bei Daimler und auf einmal Leiterin eines Impfzentrums. Was ist dazwischen passiert?

00: 07:24 Franzi von Kempis: Eigentlich ist die Geschichte so, dass ich dachte, ich habe das Buch geschrieben. Da war ich gerade CVD, also Chefin vom Dienst bei T-Online und hab da den Videobereich geleitet. Und dann habe ich das Buch geschrieben und habe unter anderem das Klimakapitel geschrieben. Und ich hatte so einen awakening moment und dachte, ich muss. Es ist die größte Krise, in der wir alle leben. Ich möchte etwas damit machen. Ich möchte meinen Teil beitragen. Ich möchte auf die Industrieseite gehen und da etwas tun. Und das machte ich im Jahr 2020. Und am 1. März 2020 fing ich bei Daimler an mit der Aufgabe als Abteilungsleiterin für den zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen Industrie und Zivilgesellschaft. Am 1. März 2020. Am 8. März 2020 wurde ich mit der gesamten Daimlerbelegschaft ins Homeoffice geschickt, weil wir hatten eine globale Pandemie. Am 15. März 2020 hatte ich Corona, ungeimpft, wie alle damals die es am Anfang hatten. Und dann lag ich erst mal zwei Monate im Bett und davon sechs Wochen wirklich mit Fieber. Das hatte ich noch nie. Ich habe das große Privileg, keine chronische Krankheit zu haben und nie lange krank gewesen zu sein. Und Corona hat mich komplett aus dem Leben gebügelt. Ich war so krank, wie ich mich nicht erinnern konnte, jemals krank gewesen zu sein. Dann kam ich zurück und habe meinen Job gemacht, habe aber nebenher auch sehr viele Workshops gemacht, online, öffentlich, nicht-öffentlich. Zum Thema Coronaprävention: Wie reden wir darüber? Wir reden wie bei einer Krankheit, wo zu dem Zeitpunk, ich weiß nicht, ob ihr euch erinnert, noch die Hälfte der Leute sagte Ja, ist ja nur eine Grippe, ist ja egal. Und ich saß da und war geheilt nach zwei Monaten und konnte kaum Treppen gehen und sagte: Das ist keine Grippe. Und ich bin übrigens fit. Und das habe ich gemacht. Über dieses Jahr 2020 und Ende des Jahres 2020 kamen die Malteser auf mich zu und haben mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte, weil die mitgekriegt haben, dass ich mich dazu öffentlich positioniere. Ob ich mir vorstellen könnte, für eine Zeit lang in dieses Zentrum zu gehen. Und dann habe ich das mit meinen damaligen Chefs besprochen. Und die waren supercool und haben das alles möglich gemacht. Ich meine, ich weiß nicht, wie viele von euch in Großkonzernen arbeiten. Wenn man zwei Wochen vor Weihnachten ankommt und sagt, ich möchte übrigens ein Sabbatical haben, dann ist meistens die erste Reaktion: Also wir sind jetzt übrigens im Jahresabschluss, wir sind im Urlaub, wir sind geschlossen. Aber die haben das alles möglich gemacht. Innerhalb von zwei Wochen war mein Sabbatical freigestellt. Aber das ist schon sehr, sehr cool.

00: 09:40 Julia Hägele: Ein Impfzentrum ist ja wie eine Mini.Gesellschaft. Jede Schicht, jedes Alter, jedes Geschlecht, es ist ist wie ein Brennglas auf die Gesellschaft. Wie hast du das beobachtet?

00: 09:51 Franzi von Kempis: Ich glaube, ich habe für mich im Zentrum vor allen Dingen das erste Mal gelernt, was es heißt, in einer wirklich diversen Umgebung zu arbeiten. Ich dachte immer vorher, ich bin mir bewusst, dass ich eine weiße, privilegierte Frau bin. Und dann kam ich in diesen Job, in dem das alles auf einmal so in Frage gestellt wurde, weil wir waren ein derart diverses Team aus allen möglichen verschiedenen Bereichen, beruflich Hintergründe, eigene Geschichten, Alter, da war einfach alles dabei, was ich in keiner anderen Jobposition erlebt hatte. Und da ist der Journalismus in Deutschland ja auch einfach noch sicher nicht so weit, wie er sein könnte. Und dementsprechend arbeiteten in diesem Zentrum Ärzte und Ärztinnen, Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, Securities, die Studentinnen und Studenten, die in diesem Impfzentrum sozusagen das alles angeleitet haben. Dann hatten wir natürlich die Bundeswehr mit dabei. Also wir hatten einen derartigen Mix an Personen. Und dann machst du die Türen auf am 18. Januar und öffnest dieses Impfzentrum. Und dann kommt ganz Berlin und ganz Berlin ist ja auch komplett divers und komplett unterschiedlich. Und dann lernst du das erste Mal, was es eigentlich bedeutet, wenn du mit komplett diversen Patientinnen umgehst und alle Themen auf einmal in der Kabine oder meistens schon davor auftreten.

00: 11:07 Julia Hägele: Was waren deine schönsten Erinnerungen daran und was vielleicht die weniger schönen?

00: 11:12 Franzi von Kempis: Ich habe so eine lange Latte an schönen Erinnerungen. Ich glaube, ich werde einfach diese ersten vier Wochen nicht vergessen. Also das war ja so: Ich weiß nicht – wer von euch wurde in einem Impfzentrum geimpft? Viele, relativ viele. Und dieser Moment, wenn man in dieses Impfzentrum reinkam und wir die waren, die das ermöglichen konnten und die Leute in den ersten vier Wochen, das war ja die erste Prio-Gruppe, das waren die wirklich älteren Menschen, die teilweise seit einem Jahr eingesperrt waren in ihrem Zuhause, weil sie die waren, die durften, weil sie so hochgefährdet waren. Und diese Menschen, die schon weinten, als sie reinkamen und dann weinend im Aufwachbereich saßen, weil sie sagten: Jetzt noch drei Wochen, dann kommt die zweite Spritze und dann fühle ich mich endlich sicher und kann mein Enkelkind, was inzwischen geboren wurde, sehen. Also das sind so Geschichten, das vergisst du einfach nicht, wenn du so viele Menschen quasi aus der Distanz, aber dann eben doch mit Maske sozusagen dabei begleitest, wie sie sich das erste Mal wieder sicher fühlen. Und das war traumhaft. Und dann dieses Team, was sich so gekloppt hat über Themen und so unterschiedlich war und was so schwierig zusammenzubringen war an manchen Stellen. Und wo sich dann so schöne Freundschaften draus ergeben haben. Wo du dann immer gemerkt hast, dass die dann alle doch wussten und alle wieder ankamen und sagten, wir haben uns da vorne was überlegt und wir haben hier eine Wand aufgemacht und da können jetzt alle selbstgemalte Bilder aufhängen, weil auch Erwachsene gerne malen, wenn sie lange warten müssen. Und hier haben wir eine Dankeswand aufgemacht und, guck mal, die Leute haben so schöne Gedichte geschrieben, da sitzt du einfach da und fließt über. Das werde ich nicht vergessen, weil das ist so ein krasses Brennglas. Es ist eine wahnsinnig erleichternde Situation, aber ich, aus einer privilegierten akademischen Position vorher heraus hatte es so einfach noch nicht erlebt. Das war wahnsinnig schön.

00: 12:52 Julia Hägele: Gab es auch Situationen, die sehr angespannt waren?

00: 12:57 Franzi von Kempis: Ja, also ich glaube, es hat viel damit zu tun, dass man sich überlegt: Du machst die Türen auf und alle möglichen Menschen treffen auf alle möglichen Menschen. Wir hatten unfassbar viele Unstimmigkeiten. Wir hatten sehr viele rassistische Übergriffe, das muss man einfach ehrlich sagen. Und es waren einfach ab Tag eins unzählige. Und ich kann ja nur über die sprechen, die bis zu mir vorgedrungen sind. Und es ist grauenhaft, wenn du jeden Tag dann wieder sagen musst: Nein, du gehst jetzt, weil du behandelst gerade die Person, die hier nur versucht, vernünftig den Prozess durchzuführen, auf eine menschenfeindliche Art und Weise. Das halten wir so nicht. Das machen wir so nicht. Das ist sehr nachdrücklich auch bei mir geblieben. Und tatsächlich muss ich auch sagen, natürlich ist es sehr nachdrücklich gerade diese Priorisierungszeit, wo ganz viele Menschen noch nicht dran war. Und wir waren halt die mit dem Impfstoff. Und dann stellen sich natürlich jeden Tag Menschen vor dieses Zentrum, Menschen, die fürchterlich krank sind, die dir alle ihre Papiere zeigen und die sagen: Aber warum bin ich noch nicht dran? Und du kannst nichts machen. Du bist wirklich das erste Mal in dieser Position. Und ich habe stundenlange Gespräche geführt mit Menschen, die an schrecklichen Krankheiten leiden, die dann auch später bei uns oder vielleicht auch bei ihrem Arzt geimpft werden konnten, aber die einfach laut gesetzlicher und festgelegter Prio-Liste nicht dran waren, weil wir viel zu wenig Impfstoff hatten. Und diese Hilflosigkeit, auch dieses Ausgeliefertsein selber. Wenn du sagst: Ich bin doch an der Stelle, wo ich helfen kann, aber ich bin trotzdem nur ein so kleines Glied der Kette, das auch nur den Impfstoff zu verteilen hat, der gerade da ist. Und du hast nicht genug für alle. Dieser Moment, wo du draußen im Schnee sitzt, neben einer Frau, die Krebs hat und im Rollstuhl sitzt, und, das werde ich nicht vergessen, mit ihr gemeinsam weinst, weil du nichts machen kannst. Es ist grauenhaft.

00: 14:40 Julia Hägele: Franzi, woher kommt dein Antrieb, dich gesellschaftlich zu engagieren? Du machst das ja auf sehr vielen Ebenen. Du hast es im Journalismus gemacht. Im Impfzentrum. Wieso stellst du dich nach vorne und engagierst dich? Denn es ist ja nicht nur schön. Du hattest vorhin gerade das Thema Hass im Netz erwähnt. Du kriegst auch ordentlich ab oder hast ordentlich abgekriegt. Wieso machst du das trotzdem?

00: 15:06 Franzi von Kempis: So eine schwierige Frage. Weil ich glaube, dass es viel damit zu tun hat, dass ich irgendwie verstanden hab, dass ich es kann. Dass ich viel weniger Angst haben muss, als andere Leute, es zu machen. Ich glaube, erst mal richtig verstanden hab ich es damals, als ich angefangen hab, mit Youtubern zu arbeiten. Das war 2019/20/21, und die mir gesagt haben, ich trau mich nicht, weil dann killt mich die Community, dann kriege ich so fürchterliche Kommentare und ich habe gesagt, ja okay, wenn du dich Großer, mit deinen einer Million Followern, da mach ich jetzt einen Youtube-Kanal auf, und ich dichte jetzt Loriot um und stelle das online. Und wenn das nicht peinlich genug ist, dann – also wenn ich mich das traue, dann traust du dich auch, mit deinen Followern über ein politisches Thema zu reden, was dir wichtig ist. Das waren das, was ich ganz oft gemacht hab. Also gibt es jetzt sehr viele umgeschriebene Loriotgedichte von mir im Internet. Enjoy. Unter dem Namen „Die besorgte Bürgerin“. Und so fing es eigentlich alles an, weil ich verzweifelt nach irgendwas gesucht hab, wo ich sagen konnte: Ich traue mich auch, wenn du dich traust, die du dich ja schon exponierst, dann trau ich mich auch. Und daraus wurde irgendwann die Erkenntnis: Wenn ich es nicht mache – und die Erkenntnis ist jetzt vielleicht zehn, 15 Jahre alt, die stimmt aber genauso, wenn ich sonntagabends die AfD-Wahlergebnisse gucke – wenn ich es nicht mache – und ich bin am wenigsten gefährdet. Ja, ich bin eine ,Frau und es gibt heute auch einen coolen Vortrag von einer coolen Ärztin, die nochmal sehr genau erklärt, hier auf der Agora, wie gefährdet wir Frauen sind, wenn die AfD wirklich gewählt wird. Aber ich kann es trotzdem machen, weil ich bin weiß und privilegiert, und das ist glaube ich auch etwas, dessen ich mir einfach bewusst geworden bin. Ich kann mich hinsetzen und jemandem sagen: Nein, ich finde deine Meinung nicht richtig, weil ich genauso hier lebe, und ich bin nicht gefährdet in dem Moment von dir und ich muss keine Angst haben, dass du mich in der Straßenbahn anspuckst.

00: 16:47 Julia Hägele: Wie geht es dir mit der aktuellen Nachrichtenlage? Du hast die Wahlergebnisse von Hessen und Bayern schon erwähnt. Dann haben wir den brutalen Überfall der Hamas auf Israel. Wie geht es dir damit?

00: 16:59 Franzi von Kempis: Ich finde es grauenhaft, was in Israel passiert. Ich finde es fürchterlich, was die Hamas macht. Aber ich habe es schon immer wieder gesagt, noch die letzten Tage. Ich stehe 100%ig an der Seite Israels, was in der aktuellen Situation passiert. Ich finde es grauenhaft. Ich habe gar keine Worte dafür. Auch ich bin sprachlos, wenn es um diese unglaublichen Leiden von Zivilistinnen und Zivilisten geht in dieser jetzigen Situation, weil es immer die Menschen sind, die nicht die Macht haben, die leiden in so einem Moment. Und dann gucke ich auf die AfD, die Wahlergebnisse, und dann denke ich mir, um das jetzt als eigenes Thema nochmal anzusprechen, nicht um es in Kontext zu setzen, und denke mir bei den AfD-Ergebnissen, da kann ich was machen. Das klingt jetzt irgendwie so, vielleicht absurd optimistisch, aber ich finde, ich lebe hier. Ich habe hier ein Wahlrecht und hier kann ich was machen. Mit jedem Gespräch, mit jedem Buch, von mir aus auch mit jedem Post, mit jedem Mal, wo ich oder wir alle uns hinstellen und sagen: Nee, so nicht. Wir wählen die nicht oder wir wollen nicht, dass sich das hier so verändert. Und wir haben eine bessere Alternative. Und wenn wir sie nicht haben, dann erfinden wir sie vielleicht noch. Also damit fühle ich mich tatsächlich nicht ganz so hoffnungslos wie mit diesem Weltschmerz und dieser Entgeisterung, wenn ich auf die Wochenendsituation schaue.

00: 18:14 Julia Hägele: Du weißt, wie man sich engagiert, wenn jetzt im Publikum die eine oder andere überlegt: Ich würde mich sehr gerne engagieren, hab aber irgendwie keine Lust, in eine Partei einzutreten. Politik ist nicht so mein Geschäft. Was kann man tun?

00: 18:30 Franzi von Kempis: Also ich glaube nicht, dass man in eine Partei eintreten muss. Man kann. Es ist eine gute Option. Ich kann es nur aus meinem eigenen Werdegang sagen. Ich hatte nie vor, daraus irgendwas zu machen. So, es hat sich einfach ergeben. Ich habe Themen gefunden, wo ich gemerkt habe, da kann ich was dazu sagen, da brenne ich dafür. Und das ist auch so ein bisschen das, was ich immer sage. Ich finde das Thema, was dir so wichtig ist, dass du dich dafür einsetzen möchtest. In dem Thema wirst du etwas finden. Ich finde, wir haben inzwischen so ein so Kampf um: Wer ist noch sichtbarer und wer zeigt noch besser, wie man sich einsetzt und wofür. Ich finde, es gibt Menschen, die können das öffentlich machen. Aber es gibt ganz, ganz viele Menschen, die machen es jeden Tag. Die machen es ehrenamtlich. Die machen Gottesdienstbegleitung oder bei der Tafel Aushelfen, oder Wahlhelfer:innen Sein. Also es gibt so viele Möglichkeiten, sich einzusetzen, die sind gar nicht so, teilweise gar nicht so groß und die haben nichts mit big speeches zu tun oder eben sich aufstellen lassen für den Bundestag oder so, sondern die haben was im ganz kleinen Rahmen zu tun. Und ich glaube, wir vergessen manchmal, wie wichtig dieser kleine Rahmen ist und wie wichtig es ist, dass man genau da, wo man ist, in diesem – jeder von uns hat ja so einen Nukleus, wir haben eine Familie, wir haben Freundinnen, wir haben Kinder. Und das ist der Nukleus, in dem man anfangen kann. Und wenn du dich in dem Nukleus sicher fühlst, was zu machen, dann machst du weiter und dann gehst du weiter raus. Weil ich glaube, dass man dieses Bedürfnis – ich will was tun – am besten da ansetzen kann, wo man sich sicher fühlt. Und das ist ja meistens in der eigenen Gruppe und da muss man anfangen. Das glaube ich, damit man dann weitergehen kann, wenn man das möchte.

00: 20:15 Julia Hägele: Ich würde gern über deine Tätigkeit als Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt sprechen. Was ist die Charta der Vielfalt?

00: 20:22 Franzi von Kempis: Die Charta der Vielfalt ist ein Verein, ein gemeinnütziger Verein. Den gibt es schon ein paar Jahre und die Charta der Vielfalt wurde gegründet ursprünglich aus der Politik und aus der Wirtschaft heraus mit dem Ziel, Vielfalt in der Arbeitswelt zu fördern. Aber die Charta der Vielfalt macht ganz unterschiedliche Sachen. Aber in erster Linie ist die Charta der Vielfalt tatsächlich eine Charta, eine Urkunde, die man als Organisation, nicht nur als Unternehmen unterzeichnen kann, als freiwilliges Bekenntnis, dass man sich für Vielfalt einsetzt. Und ja, es ist ein Freiwillig-Sein und freiwillige Selbstverpflichtung. Und was wir als Verein machen, ist Menschen dabei begleiten, indem wir Handlungsempfehlungen erstellen, Studien machen und Menschen dabei begleiten, in ihren Organisationen die ersten oder die nächsten Schritte zu tun, um Diversity Management, wie man das professionell nennt, wenn man über Vielfalt in der Arbeitswelt spricht, umzusetzen. Und das ist das, was wir machen. Und wir machen das in einem großen Spektrum und da ist intersektionell alles dabei, also die Vielfalt, die Dimensionen sind wirklich bei uns. Wir haben sieben Vielfaltsdimensionen. Das heißt, die Karte hat sogar nicht nur die klassischen sechs und da ist ja alles dabei, von sexueller Orientierung über ethnische Herkunft, über Religion, sondern die Charta der Vielfalt hat vor ein paar Jahren auch soziale Herkunft als eigene Vielfaltsdimension mit aufgenommen, weil wir eben sagen: Man muss und sollte und tut es auch mal mehr soziale Herkunft noch mitbedenken, wenn es darum geht, warum manche Menschen nicht ihr volles Potenzial entwickeln können, wenn es darum geht, irgendwo zu arbeiten.

00: 21:54 Julia Hägele: Wer hat denn diese Charta unterschrieben?

00: 21:57 Franzi von Kempis: Ganz unterschiedliche Leute. Wir sind über 5000 Unterzeichner im Netzwerk inzwischen. Also wir sind ein Verein, das heißt ja Mitglieder, feste Mitglieder, 38 Stück und das Bundeskanzleramt bzw. die Integrationsbeauftragte des Bundes mittlerweile, Reem Alabali-Radovan, ist bei uns ein ständiges Mitglied im Vorstand, und die Unterzeichner sind über 5000. Das sind ganz unterschiedliche Organisationen, da sind sehr viele Unternehmen dabei, aber da sind auch Verwaltungen dabei, da sind auch gemeinnützige Organisationen dabei, da sind sogar Einzelpersonen dabei, da sind auch Städte dabei. Also tatsächlich, weil das Thema Vielfalt in der Arbeitswelt ja größer ist als ein reines „das hat jetzt ein wirtschaftliches Unternehmen zu sein“.

00: 22:35 Julia Hägele: Also ihr begleitet die Unternehmen mit Workshops oder wie sieht das aus?

00: 22:41 Franzi von Kempis: Wir sehen uns als Mittler zwischen denen, die gerade anfangen, und denen, die schon den ersten Schritt gemacht haben, indem wir gemeinnützig das zur Verfügung stellen, was sich vielleicht auch nicht alle leisten können. Weil es ist ja auch was anderes, ob es ein großer Konzern ist oder ein mittelständisches oder ein kleineres oder mittleres Unternehmen in Deutschland. Und dann hast du relativ wenig Möglichkeiten, dir alles irgendwie selber zusammenzusuchen. Das heißt, wir stellen sehr viele Studien zusammengestellt, sehr viele Handlungsempfehlungen zusammen, dass man eben auch gemeinnützig, wie gesagt, eben auch ohne dafür etwas zu bezahlen, auf Informationen zum Thema Vielfalt der Arbeitswelt zugreifen kann.

00: 23:16 Julia Hägele: Gibt es Fragen zum Buch oder zur Charta der Vielfalt?

00: 23:23 Fragenstellerin: Ich habe selbst in der Arbeit Erfahrungen gemacht, weil ich auch jemand bin, der sich sehr oft einsetzt, wenn Leute diskriminierende Äußerungen machen, egal wem gegenüber oder auch allgemein. Aber ich habe Kollegen, bei denen ist es schwierig zu dem Punkt zu kommen, weil egal was man sagt, sie setzen immer einen drauf. Und ich habe mich gefragt, ob du irgendwie einen Punkt hast, wo du sagen kannst, es macht keinen Sinn mehr. Oder eher, was man dann macht, wenn man auf so was trifft.

00: 23:56 Julia Hägele: Eine gute Frage. Wann ist Schluss mit der Diskussion? Oder gibt es rhetorische Kniffe?

00: 24:03 Franzi von Kempis: Also ich glaube, ich wünsche mir, dass man nicht Schluss macht, wenn es darum geht, anderen beizustehen. Also gerade wenn es darum geht, einzuspringen, wenn es um diskriminierende Äußerungen geht, dann geht es ja gegen Menschen. Dann ist das ja eine menschenfeindliche Äußerung. Wo andere Menschen von betroffen sind, die da sind, die es dann auch mitbekommen. Und dann gibt es im Zweifelsfall natürlich ein Ende, wo man sagt, ich komme nicht weiter. Aber dann muss man, finde ich, auch irgendwann die nächste Ebene ziehen und sagen das geht nicht, wir müssen das auch auf eine andere Ebene setzen. Wir müssen das auch mal mit einer Chefin oder mit einem Chef besprechen, dass das hier die ganze Zeit passiert. Das, finde ich, ist schon etwas, was man auf andere Ebenen bringen muss, Weil diesen ständigen Mikroaggressionen ausgesetzt zu werden, weil Menschen eben immer, wie du sagst, noch einen draufsetzen, ist etwas, was Menschen dazu bringt, einen Job zu verlassen, was man ja auch verstehen kann. Deswegen, da wünsche ich mir kein Ende des Sich-Einsetzens. Ich kenn aber auch natürlich die Situation, wo man sagt, es bringt nichts, ich komme hier nicht weiter. Deswegen sage ich, ich finde schon, dass man dann eine andere Hierarchieebene dazuholen muss. Schlimm ist es natürlich, wenn es der eigene Chef oder die eigene Chefin ist. Das erlebt man ja auch manchmal, dass es sozusagen die ist, dass es diese Stufe ist. Und ich finde schon, dass man, wenn man sich das zutraut, die Person sein kann, die dann im Unternehmen jemand findet, dem man das sagt. Je nach Unternehmen ist das möglich. Je nach Unternehmen gibt es Anlaufstellen, wo man das machen kann. Und wenn es diese Anlaufstellen nicht gibt, gibt es im Zweifelsfall mehr als einen selber, mit denen man Bande schmieden kann und sagen kann: Siehst du das nicht auch so? Sind wir nicht eigentlich mehr als nur ich? Es ist sowieso grundsätzlich das, was ich immer versuche, was ich auch bis heute, was ich immer mache. Ich suche mir andere Menschen, mit denen ich gemeinsam mich einsetzen kann, weil es nicht nur mehr Masse ist dann, sondern weil man dabei auch merkt Ich bin hier nicht alleine, ich bin hier nicht alleine im Kampf sozusagen.

00: 25:59 Julia Hägele: Ich persönlich finde ja, ich weiß nicht, wie es dem Publikum geht, die Auseinandersetzungen innerhalb der Familie oder der Verwandtschaft fast am herausforderndsten. Also im Beruf kann ich zumindest irgendwie noch relativ klar formulieren, was ich so meine. Aber wenn es dann so an die Familientreffen geht und man sich denkt, ach, jetzt weiß ich überhaupt nicht, da laufe ich gegen eine Wand. Ich habe manchmal das Gefühl, da würde die größte Expertin in gewaltfreier Kommunikation sich die Zähne ausbeißen bei den Familientreffen von mir. Was würdest du da raten bei nahestehenden Personen, die man ja auch nicht auf Dauer verärgern will?

00: 26:34 Franzi von Kempis: Also du hast auch im engen Familienkreis die Möglichkeit zu sagen: Stopp, nicht weiter, das kannst du immer machen. Fühlt sich im engeren Familienkreis immer noch anstrengender an, weil man das Gefühl hat, man tritt ja auch jemandem auf die Füße. Oft sind es ja auch dann eben ältere Bezugspersonen oder Bezugspersonen, wo man sagt, sonst ist sie doch super, die Tante oder meine Cousine. Aber da ist sie halt nicht gut und so und, weil sie denkt, sondern man neigt dazu, das dann so wegzuwischen. Und ich glaube, es gibt so Themen, wo man sagen kann we agree to disagree, aber ich möchte nicht daneben sitzen, wenn du dich rassistisch äußert. Ich möchte das nicht hören, wenn ich dabei bin, will ich diese Worte nicht hören. Und will ich diese Ausdrucksweisen nicht hören. Ich weiß, dass das schwer ist. Ich kenne es von mir selber, dass es mir schwerfällt, immer wieder bestimmte Punkte anzubringen und dass man dazu neigt zu sagen, ja, komm, muss ich jetzt schon wieder unbequem sein? Muss ich schon wieder hier als die linke Feministin mich irgendwie bezeichnen lassen? Aber ich kann schlechter schlafen, wenn ich es nicht mache. Bei mir sitzt das hier. Bei mir sitzt es hier, wenn ich das Gefühl habe, ich hab’s nicht nochmal gesagt. Und selbst wenn die Personen dann eben immer weitermachen und immer sagen: Ich lasse mir das nicht verbieten, das hat man früher auch gesagt, das darf ich jetzt auch weitersagen. Dann habe ich genauso das Recht zu sagen: Das ist aber nicht so, es ist mir egal, was man früher immer gemacht hat, man macht es nicht so, ich halte es für falsch. Und das ist die rote Linie, die man selber ziehen kann. Und ich arbeite für mich persönlich sehr viel mit roten Linien, weil ich merke, es auch nicht immer in dem Moment, aber ich merke es auch hinterher, wenn rote Linie überschritten wurde für mich, weil das bleibt bei mir, wenn ich merke, ich habe nichts gesagt oder wenn ich merke, das war sowieso verquer in der Situation, da hätte ich eigentlich gerne was gesagt. Aber ich war so in dem Moment so: Oh Gott, und soll ich jetzt? Und der Flow hier: Gerade hat irgendjemand noch die Kartoffeln drüber gebracht und alles war super. Und dann waren wir doch angeregt beim nächsten Gespräch. Aber ich hätte den Punkt machen sollen und ich verpasse den Punkt auch ganz oft. Wir alle verpassen den Punkt ganz oft. Es ist ja auch menschlich, aber sich so selber dahin zu arbeiten, dass man vielleicht den Punkt nicht jedes Mal verpasst, sondern dass man auch so eine Aussage für sich selber parat hat, mit der man sich selber wohlfühlt und die man für sich selber aushält. Das ist, glaube ich, was, was man üben kann.

00: 28:47 Julia Hägele: Bitte schön.

00: 28:49 Fragenstellerin: Ich bin Diversity-Trainerin und wir haben im Moment eine Auftragslaute. Und für mich ist es total schwierig, zu verstehen, weil wir natürlich in einer Rezession sind, da wird immer als erstes gespart. Aber andererseits finde ich es schade, weil alle reden jetzt davon. Aber ich hab das Gefühl, es wird wenig investiert in Budgets und so. Da wollte ich fragen: Was kann man denn dagegen tun?

00: 29:12 Julia Hägele: Also ein bisschen auch die Frage nach: Wie ernst meinen es die Unternehmen vielleicht mit Diversity? Ist das jetzt irgendwie gut auf der Homepage stehen zu haben, oder wie tief geht das wirklich in die DNA des Unternehmens auch ein?

00: 29:26 Franzi von Kempis: Also ich fürchte, im unternehmerischen Kontext wird man nicht drum rum kommen, weiter dafür zu sprechen und sich dafür einzusetzen. Du wirst darum herumkommen, immer wieder die Vorteile und die Wichtigkeit dessen zu betonen. Da gibt es ja auch gefühlt jeden Monat eine neue Studie, die das betont. Jetzt gerade in diesem Jahr, da wird man, glaube ich, nicht darum herumkommen. Ich glaube, dass man sich tatsächlich aber gerade, was das Thema Vielfalt insgesamt angeht, sehr genau überlegen muss. Was ist vielleicht auch der angle, der für die jeweilige Organisation funktioniert, weil es funktioniert ja nicht für Person A dasselbe wie für Person B, es ist eben kein 08/15-Programm. Und was vielleicht für einen Mittelständler im Schwabenland funktioniert, funktioniert in Zweifelsfall nicht für den kleineren Betrieb an der an der Grenze Thüringens. Ich glaube, dass sich der ganze Bereich Vielfalt einerseits unfassbar schnell verändert, also auch in den Ansprüchen daran, was wir da machen, andererseits aber auch, dass man sehr genau beobachten muss: Was brauchen die Leute gerade, was wollen sie gerade, worüber wollen sie reden? Was sind die neuen Gesetze, die jetzt kommen? Was sind die neuen Zwänge, unter denen die Unternehmen auch stehen oder auch die Organisationen tatsächlich stehen? Wenn man sich anguckt, hat das Thema Vielfalt in der Arbeitswelt ja auch sehr viel mit der Gesetzeslage zu tun auf europäischer Ebene. Ich glaube, man muss sich sehr klarmachen: Einerseits müssen wir es sehr hochhalten und sagen, es bleibt und ist wichtig, weil die Menschen in Unternehmen, die von Diskriminierung betroffen sind und die davon, wie wir alle profitieren würden, wenn wir diverse Teams haben und diverse Unternehmen haben. Die sind im Zweifelsfall gar nicht in der Position, es zu verändern. Das heißt, du musst immer dir überlegen: An wen kann ich rangehen? Wer ist im Unternehmen in der Lage, das zu entscheiden?