Als Führungskraft ist es vor allem wichtig, das große Ganze zu sehen und sich mit der zukünftigen Ausrichtung des Unternehmens zu beschäftigen. Soweit so gut. Doch: Durch dunklen Wald wird man geführt und nicht gemanagt! Wo genau liegt der Unterschied zwischen Führen und Managen? Ist das eine besser als das andere? Wie entwickelt sich Führung? Findet Führung nur hierarchisch statt? In diesem MeetUp ging es um diese und weitere Fragen und vor allem um Führungskompetenz. Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer standen im Mittelpunkt.

„Beschäftige dich mit unterschiedlichen Formaten“

herCAREER: Was ist heute die wichtigste Kompetenz, die Führungskräfte mitbringen oder sich erarbeiten müssen?

Bastien: Wenn es um Führung geht, gibt es in regelmäßigen Zyklen von zumeist ein paar Jahren das nächste große Ding, das Führungskräfte unbedingt in ihren Führungsalltag integrieren sollten. Derzeit besonders im Trend sind Purpose und Self-Branding. In so ziemlich jeder Diskussion taucht die Frage nach Purpose auf, also warum machst du, was du tust, was treibt dich dazu an. Damit einhergeht die Aufforderung, dass du als Führungskraft eine klar verständliche Botschaft brauchst, am besten mit Hashtag versehen. Natürlich ist es wichtig, sich zu zeigen und seine eigenen Überzeugungen auf den Punkt zu bringen. Das ist für Mitarbeiter/innen für deren eigene Orientierung im Unternehmen wichtig. Zu schnell wird daraus aber eine Broadcast Show. Dauerführungsbeschallung in mehreren Episoden. Das hält die Führungskraft zwar beschäftigt, fördert aber leider nicht das Verständnis für die Situationen, in denen sich die Mitarbeiter/innen und die Organisation befinden.

Wesentliche Fähigkeit, die ich dabei meistens vermisse, ist die altbekannte Empathie. Führen ist meinem Verständnis nach nicht Dauer-Broadcast, sondern sehr viel mehr Rezipieren. Kontakt vor Kooperation ist dabei mein Lieblings-Mantra. Natürlich muss eine Führungskraft in der Lage sein, adäquat zu kommunizieren. Wenn jedoch vorher nicht das Hinhören und/oder Hinsehen steht und keine Bemühungen in den zwischenmenschlichen Kontakt geflossen sind, kann die eigene Wirkkraft als Führungsperson nur gering sein. In Organisationen arbeiten Menschen, die auch als Menschen gesehen und behandelt werden wollen. Um das zu leisten, muss ich als Führungskraft nicht besonders begabt sein, aber ich muss Bock auf ebendiese Menschen haben. Wenn ich keinen Reiz daraus ziehe, andere dazu zu bewegen, mit mir als Führungskraft in die gemeinsame Richtung zu schauen und eine Aufgabe zu lösen, dann sollte ich mir über meine Jobwahl dringend Gedanken machen.

herCAREER: Wie merke ich selbst, dass ich nicht führe, sondern manage? Und was kann ich dann tun?

Bastien: Diesen Unterschied im Alltag festzustellen, ist eine ziemliche Herausforderung. Denn beide Anteile gehören zu einer Führungsrolle und beide Anteile sind noch dazu eng miteinander verwoben. Es gibt dazu einen guten alten Spruch, der es für mich am besten auf den Punkt bringt: Durch dunklen Wald wird man geführt und nicht gemanagt. Dazu ein Praxisbeispiel: Als Führungskraft einer Abteilung bin ich für die Zielerreichung ebendieser verantwortlich. Dafür muss ich einen gewissen Anteil an administrativen Anstrengungen unternehmen, wie z. B. Monitoring von KPIs, was ich vielleicht in einem einfachen Excel-Sheet erledige. Dabei bemerke ich vielleicht, dass zwei meiner Mitarbeiter/innen erkrankt sind und dass ich zur fristgerechten Zielerreichung mindestens x Arbeitsstunden an externer Hilfe benötige. Das alles ist managen – nicht führen. Die Dinge laufen weitgehend nach Plan und sind in standardisierten Abläufen abbildbar. Meine Führungskompetenz ist aber genau dann gefragt, wenn mein Team und ich aufgrund unvorhersehbarer Änderungen (wie z. B. Wegfall eines Großkunden oder Umweltverschmutzung) das Ziel nicht mehr durch einen standardisierten Plan B erreichen können. Für das gesamte Team (einschließlich Führungskraft) ist das eine Krise. Der Weg ist unklar, Orientierung nicht vorhanden. Sowohl das Team als auch ich als Führungskraft stehen im dunklen Wald.

Die Emotionen beginnen sich erst als Aufregung und irgendwann durch Konflikte zu zeigen. Das Führen besteht in dieser Situation darin, einen Rahmen zu schaffen und vor allem auch zu halten, in dem sich das Team mit allem auseinandersetzen kann, um alternative Ziele oder alternative Wege zu finden. Es geht um einen Umgang mit Ungewissheit. Solche Situationen fordern Sicherheit – des Einzelnen und der gesamten Gruppe. Ein Team, das sich nicht sicher fühlt, wird keine neuen Ideen produzieren können und folglich nicht performen. Insgesamt stecken neben der eingangs erwähnten Empathie drei Fähigkeiten, die die Führungskraft für ihre Wirkkraft braucht: die Fähigkeit zur persönlichen Präsenz, die Fähigkeit zur Veränderung und die Fähigkeit, andere in ihrer Entwicklung einer (Selbst)Führungskompetenz zu unterstützen. Dann findet sich auch der Weg durch unbekanntes Terrain.

herCAREER: Wie erkenne ich auch neue Trends in der Führung und binde diese smart in meine Arbeit ein?

Bastien: Diverse Forschungen haben gezeigt, dass die innovativsten Köpfe deshalb so innovativ sind, weil sie einerseits viel in Kontakt und Gespräch mit Menschen sind und sie sich andererseits auf einer breiten Themenskala mit vielen, teilweise auch sehr widersprüchlichen Aspekten beschäftigen. Zudem lesen diese Personen sehr viel. Für die eigene Führungsaufgabe kann daraus eine Menge abgeleitet werden:

  1. Sprich mit so vielen unterschiedlichen Menschen wie möglich über das Thema Führung: Was denken sie darüber? Was bewegt sie dazu?
  2. Suche ganz gezielt Situationen, die für dich unbekannt sind bzw. die außerhalb deines Biotops liegen. Dazu können Netzwerke zählen, TED-Veranstaltungen und auch die herCAREER. Höre zu, sprich mit Menschen über das, was dich dort bewegt.
  3. Beschäftige dich mit unterschiedlichen Formaten, die zum Thema Führung angeboten werden. Es gibt exzellente Podcasts und grandiose Bücher, die das Denken fördern. Im Grunde ist es also eher eine Haltung, um die es bei der eigenen Entwicklung als Führungskraft geht, als eine bestimmte Fähigkeit, die dringend zu erlernen wäre.

herCAREER: Wie können oder möchten Sie kontaktiert werden?

Über die Person

Nicole Bastien ist seit über 10 Jahren Geschäftsführerin der mbw, einer Agentur für Kommunikationslösungen mit Sitz in München. Als Sozialwissenschaftlerin hat sie von Beginn an eine andere Perspektive in die Firma und Branche eingebracht. Statt bloßer Zahlenorientierung stehen bei ihr die zwischenmenschlichen Töne im Mittelpunkt. Und das mit Erfolg. Aufgrund ihres ungewöhnlichen Führungsverständnisses, ihres ausgeprägten Sinns für Klarheit und feinem Sinn für Humor ist sie mittlerweile nicht nur Expertin für Leadership sondern auch Beraterin von Unternehmen und Business-Coaches. Durch ihre vielseitigen Coachingausbildung und Coachingpraxis schaut sie anders auf Menschen und hat sich dadurch ein umfassendes Wissen zur Inszenierung von Führungskompetenz entwickelt. Nicole Bastien hat Sozialwesen in Bamberg und Organisationsberatung/Coaching in Augsburg studiert. Vor der mbw arbeitete sie als Sozialarbeiterin und Führungskraft im sozialen Bereich sowie auch als Lobbyistin für Arbeitgeberverbände. Insgesamt verfügt sie über eine 20jährige Berufserfahrung, zumeist in Führungsverantwortung. Nicole Bastien ist Beirätin bei PANDA | The Women Leadership Network. Sie lebt mit ihren zwei Kindern und Mann in München.

Dieses MeetUp war Teil der Karriere-MeetUps bei der herCAREER 2019, Ort und Zeitpunkt finden Sie im Programm.